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Mutters

Agenda

zwölften Band

15. Mai 1971

Was bringst du?

Mir kam die Idee, einen Artikel über "Sri Aurobindo und Bangladesh" zu schreiben... Aber ich weiß nicht, ob das nützlich ist oder ob man überhaupt etwas darüber sagen soll.

Wo willst du ihn denn veröffentlichen?

Ich glaube, in einer der indischen Zeitungen ist das leicht.

Was schreibst du? Das interessiert mich.

(Satprem liest den Artikel vor. Im Laufe des Texts umreißt er kurz, was jedes Land seiner Meinung nach repräsentiert: Frankreich die Klarheit des Intellekts; Deutschland den Erfindungsgeist; Rußland die Brüderlichkeit der Menschen... Mutter unterbricht:)

Hast du nichts über die Vereinigten Staaten gesagt?...

Was stellen sie dar?

Die praktische Organisation.

(Satprem beendet seine Lektüre 1)

Oh, das ist gut!... Es muß in ein angemessenes Englisch übersetzt werden.

Ist das von Nutzen – ist es NOCH von Nutzen?

Oh, ja! – Es muß sofort...

Ist es noch nicht zu spät?

Nein... Wir müssen es auf jeden Fall versuchen.

Es muß gutes Englisch sein... Wer kann das schreiben?

Kann Sujata es versuchen?

Sujata, bist du eine Literatin? (Lachen)

Es ist voller Kraft, die Kraft muß erhalten bleiben.

(nach weiteren Erwägungen zur Wahl des Übersetzers)

Was tun wir dann mit der Übersetzung?

Wir können versuchen, es an eine Zeitung in Madras, eine in Delhi und eine in Kalkutta zu schicken.

Man müßte... Die Zeitungen werden es nicht wagen – sie werden Angst vor Repressalien der Regierung haben.

Oh, liebe Mutter, alles in allem war ganz Indien gegen die Entscheidung von Delhi. Überall, in allen Zeitungen, sah ich, daß sie die Entscheidung von Delhi völlig mißbilligten. Ganz Indien ist in diesem Punkt gegen Indira.

Man muß darüber nachdenken; man darf es nicht aufs Geratewohl schicken, jemand muß es persönlich überbringen. Wir müssen einen Weg finden, damit es sofort erscheint.

Wieviel Zeit brauchst du, um so etwas zu schreiben?

Einen Vormittag.

(Schweigen)

Du bist nicht pessimistisch?

Nein, verstehst du: Was Gott will, wird sein. Und ich nehme Gott in dem Sinn...

Es ist so, wie ich gesagt habe... N.S. 2 sandte U ausdrücklich, um mich zu fragen, was sie tun könne, denn Indira höre überhaupt nicht mehr auf sie, sie sei anscheinend ganz... wie von einer feindlichen Formation überflutet 3 . Ich habe geantwortet, daß ich persönlich nur noch eine Hoffnung habe (Mutter schließt ihre beiden Fäuste vor sich, wie um sich anzuklammern): "Daß sich der göttliche Wille erfülle", und "Alle, die fähig sind, den Kontakt zu erleichtern und die Aufnahmefähigkeit hier für diesen Willen zu beschleunigen, müssen ihr ganzes Bewußtsein und ihre ganze Aspiration hineingeben." Das habe ich geantwortet... Und dies (auf den Artikel deutend), ist im Sinne der Aktion eine letzte Chance – nicht, daß die Leute wirklich darauf hören würden, aber es schafft einen Kraftstrom.

(Schweigen)

Die große Ausrede ist, daß es den Leuten von Bangladesh egal ist und daß sie aufgehört haben, die Verteidigung zu organisieren.

Aber...

Schon mehr als zwei Millionen [Flüchtlinge] sind nach Indien gekommen, und man erwartet, daß es zehn Millionen werden. Und Indien wird nicht mehr genügend Nahrungsmittel haben. Das steht unmittelbar bevor. Ein bodenloses Loch... Zehn Millionen, die dabei sind, in den Norden Indiens einzudringen.

Ich habe gerufen – gerufen und um Unterstützung gebeten –, und dies kam [der Artikel], und das ist gut, sehr gut. Es ist wie eine letzte Hoffnung gekommen.

Man muß eine große Anzahl von Zeitungen finden, in allen Landesteilen.

Ich würde nicht deinen Namen als Unterschrift nehmen sondern... "A lover of India" [einer, der Indien liebt], etwas in der Art.

Möchtest du nicht, daß man schreibt: "A letter from the Sri Aurobindo Ashram"?... [ein Brief vom Sri Aurobindo Ashram] Nein, du hast recht, "A lover of India" ist das richtige Wort.

Ja, das impliziert viele Dinge.

Richtig.

Es wäre gut zu schreiben: "A disciple of Sri Aurobindo, a lover of India" [Ein Schüler Sri Aurobindos, einer, der Indien liebt]. Aber das... werden wir sehen.

 

ADDENDUM

Sri Aurobindo und Bangladesh

Hinter dem Gewirr der vorübergehenden Anschauungen und unmittelbaren Interessen stehen die großen ewigen Orientierungspunkte, und diese zu verlieren, heißt, seinen Weg zu verlieren und unser Boot auf das Riff eines bequemen Kompromisses oder einer momentanen Zweckmäßigkeit hinzusteuern, die uns eine Minute später verschlingen wird. Hinter den kleinen Geschichten steht eine große Geschichte, und sie zu vergessen, heißt, ihren Sinn zu verlieren und den goldenen Faden loszulassen, der uns zu unserer vollkommenen Erfüllung führt, individuell wie national. Diejenigen, die im Labyrinth der Geschichte ein höchstes Zeichen hinterlassen haben, sind jene, die diesen Faden ergriffen und entgegen allen unmittelbaren Gründen und vorübergehenden Zweckmäßigkeiten die große Geschichte und den großen Sinn bestätigt haben.

Die große Geschichte sagt uns, daß die ganze Erde ein einziger Körper ist und daß sie eine einzigartige Bestimmung hat, aber daß in dieser einzigartigen Bestimmung jeder Teil des großen Körpers und jede Nation ihre besondere Rolle hat und ihre seltenen Minuten der Wahl, wo sie ihre entscheidende Geste zu erbringen hat – ihre wahre Geste in der Gesamtsumme der großen ewigen Geschichte. Jede Nation ist ein Symbol, jede Geste jeder Nation stellt potentiell einen kleinen Sieg des großen Sieges über alles dar, oder eine kleine Niederlage der großen Niederlage von allem. Manchmal spielt sich die ganze Geschichte in einem symbolischen Punkt des Globus ab, und diese kleine Geste, jene winzige Wendung nach links oder rechts hat ihren Widerhall in den Zeitaltern und auf dem ganzen Körper der Erde, zum Guten wie zum Schlechten.

Gerade Indien ist eines dieser Symbole, und Bangladesh ist ein anderes Symbol, ein kleiner Wendepunkt der großen irdischen Wende. Jetzt ist der Augenblick, diese ewigen Orientierungspunkte ins Auge zu fassen und die große Geschichte in der kleinen Geschichte zu lesen. Diese große Geschichte sagt uns, daß die Rolle Indiens im Körper der Erde die ist, das spirituelle Herz der Welt zu sein, ebenso wie es die Rolle Frankreichs ist, die Klarheit des Intellekts auszudrücken, oder die Deutschlands der Erfindungsgeist, die Rußlands die Brüderlichkeit der Menschen und die der Vereinigten Staaten der Enthusiasmus für das Abenteuer und die praktische Organisation, usw. Aber diese Rolle kann Indien nur spielen, wenn es EINS ist, denn wie könnte etwas, das geteilt ist, die anderen führen? Die Teilung Indiens ist die erste Lüge, die verschwinden muß – sie ist das Symbol der Teilung der Erde. Solange Indien nicht eins ist, wird die Welt nicht eins sein können. Die Einheit Indiens ist das symbolische Drama, in dem die Einheit der Welt entschieden wird.

Von dieser einfachen ewigen Tatsache leiten sich alle Schlußfolgerungen und jegliche Politik ab, die in Richtung der irdischen Bestimmung gehen – Sri Aurobindo verkündete das schon im Jahre 1947: "Die Teilung muß verschwinden und wird verschwinden." Und wenn wir nicht auf diesen ewigen Grundsatz hören, bedeutet dies einen großen Schaden für den Körper Indiens und für den Körper der gesamten Erde: "Die alte religiöse Trennung zwischen Hindus und Moslems scheint sich verhärtet zu haben und wurde zu einer dauerhaften politischen Teilung des Landes. Man muß hoffen, daß diese festgelegte Tatsache nicht als etwas für immer Festgelegtes oder für mehr als nur eine vorübergehende Notlösung genommen wird. Wenn sie andauert, könnte Indien sonst ernstlich geschwächt, ja sogar verstümmelt werden: ein Bürgerkrieg bliebe immer möglich, wenn nicht sogar eine erneute Invasion und Fremderoberung." Jetzt, vierundzwanzig Jahre nach dieser prophetischen Erklärung, wissen wir, daß China vor unseren Toren steht und auf seine Stunde wartet, um in den ganzen Kontinent einzufallen, sich gerade dieser Teilung Indiens bedienend, um das spirituelle Herz der Welt zu treffen und vielleicht die Bestimmung der ganzen Erde zu vereiteln oder ihre Durchführung auf ein nächstes Jahrhundert zu verschieben, nach vielen Leiden und Komplikationen.

Die große Geschichte sagt uns, daß Indien wieder eins werden muß. Und dieser Strom der Geschichte ist so zwingend, daß das Geschick sich schon zweimal derart gestaltete, daß Indien vor die Möglichkeit seiner Wiedervereinigung gestellt wurde. Ein erstes Mal, 1965, erlaubte Pakistans törichter Angriff Indien, den Gegenangriff zu führen und die Schlacht bis zu den Vororten Lahores zu tragen – und sogar bis nach Karachi, wenn es den Mut gehabt hätte, die Bestimmung seiner Geschichte auf sich zu nehmen. Das war die Stunde der entscheidenden Wahl. Mutter hatte kategorisch erklärt: Indien kämpft für den Triumph der Wahrheit und muß solange kämpfen, bis Indien und Pakistan wieder EINS werden, denn dies ist die Wahrheit ihres Wesens... In Taschkent haben wir auf dem Grat eines kleinen Kompromisses nachgegeben, der uns nur zu einer zweiten, noch schmerzhafteren und blutigeren Klippe führen mußte, nach Bangladesh. Auch dort bot das Schicksal Indien gütig die Möglichkeit an, zur Rettung seiner niedergemetzelten Brüder zu eilen – selbst die berüchtigte Flugzeugentführung Mitte Januar 4 war wie von der Gnade arrangiert, um Indien davor zu bewahren, erst später einzugreifen, wenn es zu spät war (oder um ihm die Schmach eines Nichteingreifens zu ersparen und Pakistan zu erlauben, seine Flugzeuge voll Waffen und Henkern zum Brudermord über Indiens Kopf zu steuern). Und auch da, den kleinen Forderungen des Augenblicks und schnöden kurzsichtigen Interessen gehorchend, wollten wir uns nicht auf den großen Sinn unserer Geschichte einlassen. Jetzt stehen wir am Rande eines neuen Kompromisses, der uns zu einem neuen und dritten unvermeidlichen Hindernis führen wird, noch verhängnisvoller und noch blutiger – denn es ist unvermeidlich, daß Indien eines Tages der Tatsache ins Gesicht blicken muß, vor der es schon zweimal geflohen ist. Jedesmal werden die Bedingungen vernichtender für es und die Welt – vielleicht sogar so vernichtend, daß die ganze Erde sich in einen neuen allgemeinen Konflikt geworfen sieht, während sich die ganze Geschichte an diesem kleinen symbolischen Punkt von Bangladesh abspielen könnte – zur richtigen Stunde, mit der richtigen Geste und einem Minimum an Leiden.

Denn man täusche sich nicht: Die Geschichte von Bangladesh ist kein Ereignis Indiens sondern ein Weltgeschehen. Die Teilung Indiens ist keine lokale Zufälligkeit sondern eine weltweite Lüge, die verschwinden muß, wenn die Teilung der Welt verschwinden soll. Und wieder hören wir Sri Aurobindos Stimme – sechs Monate vor seinem Tod – angesichts eines anderen Phänomens, das so unwichtig, so weit entfernt und eine so kleine lokale Geschichte am anderen Ende der Welt zu sein scheint: die Invasion Süd-Koreas im Jahre 1950, vor einundzwanzig Jahren. Und dennoch trägt dieses kleine Symbol Koreas, wie das kleine Symbol Bangladeshs (oder das der Tschechoslowakei 1938) im Keim den ganzen fatalen Verlauf, der die Welt zu einer finsteren Bestimmung tragen will: "Die Korea-Affäre," schrieb Sri Aurobindo, "ist die erste Bewegung des kommunistischen Angriffsplans zur Vorherrschaft, indem sie zuerst diese nördlichen Gebiete einnehmen und darauf Südostasien als Vorspiel ihrer Pläne für den Rest des Kontinents – und Tibet im Vorbeigehen als Tor nach Indien." Heute, einundzwanzig Jahre später, wissen wir, daß ganz Südostasien und Tibet verschlungen worden sind und daß das "Tor nach Indien" weit offen steht durch die Wunde der Lüge Pakistans – schon, oder bald, sind oder werden die Chinesen in Khulna sein, hundertzwanzig Kilometer vor Kalkutta, um Yahya Khan zu helfen, Bengalen zu "befrieden". Und Sri Aurobindo fügte hinzu: "Wenn sie Erfolg haben, gibt es keinen Grund, daß dem die Eroberung der ganzen Welt nicht allmählich folgt, bis sie bereit sind, sich mit Amerika anzulegen."

Dort stehen wir. Der Tatsache, der wir entfliehen wollten, werden wir mit zehnfacher Stärke wieder begegnen. Die Stunde für politisches Kalkül – für oder wider unsere kleinen unmittelbaren Berechnungen, die immer irren – ist vorbei. Die Zeit ist gekommen, den großen Sinn Indiens wiederzufinden, der in Wirklichkeit der große Sinn der Welt ist, und mehr an den Geist, der seine Bestimmung leitet, zu glauben als an die kleinen Ängste vor dem Phantom der weltlichen Meinung oder die kleinen Hilfsmittel, die nur dem Feind helfen. Morgen wird Amerika vielleicht seine Wirtschaftshilfe für Pakistan wieder aufnehmen unter dem Vorwand, der chinesischen Präsenz entgegenzuwirken, und das Morden in Bangladesh wird ehrenhaft gedeckt werden durch eine Pseudo-Regierung, die unter Billigung der internationalen Gemeinschaft funktionieren wird – aber den Verlauf der Geschichte täuscht man nicht: ein drittes Mal werden unsere kleinen Kompromisse zusammenbrechen, und wir werden vor einer schrecklichen Prüfung stehen, die wir durch unsere eigenen wiederholten Fehlentscheidungen genährt haben. Je eher nicht nur Indien sondern auch Amerika und Rußland die Irrealität Pakistans und die Höhe des Einsatzes, um den es an den Grenzen Indiens geht, verstehen, desto eher wird der Katastrophe Einhalt geboten, bevor sie total und endgültig katastrophal wird. "Eins ist sicher," schrieb Sri Aurobindo einige Monate vor seinem Dahinscheiden, "und zwar daß Amerika, wenn es zu lange zögert und wenn es jetzt seine Verteidigung Koreas aufgibt [man könnte dasselbe erst recht für die Verteidigung Bangladeshs sagen], gezwungen werden könnte [und Indien um so mehr], eine Stellung nach der anderen aufzugeben, bis es zu spät ist. Früher oder später wird es die Notwendigkeit eines drastischen Eingreifens akzeptieren müssen, selbst wenn dies zum Krieg führen sollte."

Denn die Schlacht Indiens ist die Schlacht der Welt, genau hier bereitet sich das tragische Schicksal der Erde vor – oder ihr letztes Aufflackern von Hoffnung auf eine Neue Welt der Wahrheit und des Lichts, denn, wie es seit jeher heißt, findet sich das Dunkelste stets an der Seite des Hellsten.

Der letzte Asura muß zu Füßen der ewigen Mutter sterben.

(Ein Liebhaber Indiens)

 

1 Der Text des Artikels wird als Addendum wiedergegeben.

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2 N.S. war eine Ministerin der indischen Regierung und damals mit Indira befreundet.

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3 Dies ist der Beginn des Bruches zwischen N.S. und Indira. Diese Äußerungen sind deshalb suspekt. Es sei erwähnt, daß Mutters eigene Abgesandte N und U die Partei von N.S. gegen Indira einnahmen. Man weiß nicht mehr, was man glauben soll von den Äußerungen, die Mutter von ihren intriganten Entsandten überbracht wurden. Mutter wurde von allen Seiten verraten.

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4 Zwei Monate vor dem Massaker in Bangladesh hatten einige Pakistani ein indisches Flugzeug entführt, was Indien guten Grund hätte geben können, das Überfliegen pakistanischer Flugzeuge zu untersagen, um Pakistan dadurch zu zwingen, für den Transport seiner Truppen nach Bengalen den Umweg über Ceylon zu machen. Das unterstreicht erneut die geographische Absurdität dieser beiden Teile ein- und desselben Landes, die durch zweitausend Kilometer indischen Gebiets voneinander getrennt sind.

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