Mutters
Agenda
zwölften Band
26. Juni 1971
Es sieht so aus, als sei der Krieg unvermeidlich.
Ist er unvermeidlich?
Er wird von einem auf den anderen Tag erwartet... Amerika hat mit Waffen beladene Schiffe nach Pakistan entsandt; vor der Kriegserklärung will die indische Regierung Amerika auffordern, die Waffenlieferungen nach Pakistan einzustellen, die Schiffe aufzuhalten 1 .
Auf das warten sie, und wenn es entschieden ist, wird man den Krieg erklären. Das habe ich quasi aus erster Hand erfahren
Was siehst du denn?
(Mutter geht in sich)
Es ist sehr konfus. Man kann nicht sagen, daß die guten Kräfte klar auf der einen Seite und der Widersacher auf der anderen steht – so ist es nicht. Pakistan steckt zwar voll in der Lüge, aber selbst da... Es ist konfus, es ist sehr konfus.
Indien auch.
Die Kraft arbeitet eindeutig zugunsten Indiens, das sehe ich, aber... Was wolltest du sagen?
Ich wollte sagen, daß Indien ebenso in der Lüge steckt wie Pakistan.
Das ist es ja gerade! Das ist das Unglück. – Aber immerhin nicht ganz so stark.
Nicht ganz, nein.
Indira schickte mir gerade (das gibt dir eine Vorstellung) eine Mitteilung durch J, den Gouverneur, mit der Bitte, wenn es etwas zu sagen gebe, solle ich es ihr in einem doppelten Umschlag durch den Gouverneur schicken, denn es gibt Leute [im Ashram], die ihr in meinem Namen Lügen erzählen, deshalb... beginnt sie, mißtrauisch zu werden.
(Schweigen)
Es ist wirklich ein Schlamassel, weiß du.
(Schweigen)
Die Leute haben große Furcht vor einer Hungersnot.
Und wir haben Mühe, uns gegen eine Invasion 2 zu verteidigen. Man muß äußerst achtsam sein.
(Mutter geht in sich)
Hast du nichts zu fragen?
Ich habe selber das Gefühl, in einem völligen Zusammenbruch zu leben.
(Mutter geht lange in sich)
Ich habe nichts zu sagen.
(Mutter geht wieder in sich,
dann zieht sich Satprem zurück,
und Sujata nähert sich Mutter)
(Sujata:) Liebe Mutter, wenn du so schaust, was siehst du?
(nach einem Schweigen)
Es ist äußerst vermischt. Eben das Gefühl, daß es keine klar abgegrenzte Trennung zwischen der Wahrheit auf der einen und der Lüge auf der anderen Seite gibt, daß alles ein Mischmasch ist.
Ich habe den Eindruck, daß die Dinge so gehalten werden (Bewegungslosigkeit unter einem Druck andeutende Geste): Man will, daß die Jahrhundertfeier für Sri Aurobindo stattfinden kann – wenn es Krieg gäbe, wäre das schwierig. In Delhi meinten sie, daß es in acht Tagen Krieg gebe – heute sagten sie es mir wieder: er steht unmittelbar bevor. Gleichzeitig macht etwas so (gleiche Geste eines immobilisierenden Druckes), um die Dinge in diesem ungewissen Zustand zu halten, bis Sri Aurobindos Jahrhundertfeier ihre volle Entwicklung entfalten kann – ich sehe diese Konfusion. Das Gefühl, daß die Jahrhundertfeier eine vorrangige Bedeutung hat, und zugleich sagt das äußere Bewußtsein, wenn es Krieg gibt, wird es das Ende der Jahrhundertfeier sein. So ist es. Ich sehe nichts Genaues, denn die Dinge sind alle vermischt... Wenn ich etwas deutlich sehe, werde ich es natürlich sagen, aber ich sehe nichts. Es ist alles sehr konfus – sehr konfus. Und ein hartnäckiger Druck wird auf uns ausgeübt, uns vor allem um die Jahrhundertfeier zu kümmern, daß dies unsere Hauptbeschäftigung sein soll: nicht zu sehr auf die äußeren Ereignisse achten. Das sehe ich – nicht so interessant! (Mutter lacht)
(Sujata:) Aber liebe Mutter, sollte das Problem zwischen Indien und Pakistan nicht gerade für die Jahrhundertfeier geregelt werden?
Das hatte ich gehofft.
(Sujata:) Ja, Mutter.
Aber es gibt keine klaren Zeichen. Das wäre natürlich großartig, aber... Um die Wahrheit zu sagen, bin ich immer mehr damit beschäftigt, ein vollkommen transparenter Übermittler zu sein, als zu wissen – es bedeutet mir nichts, die Dinge zu wissen; nur so klar wie möglich sein, damit sich Das wenigstens an einem Ort ohne allzu großen Widerstand manifestieren kann. Das ist alles.
Man muß nur Geduld haben.
Keine Ungeduld zu wissen. Man muß sich eher darum bemühen, ein Übermittler ohne Hindernisse zu sein, als zu wissen – verstehst du? Es ist wichtiger, die Atmosphäre so klar und transparent wie möglich zu halten. Das ist wichtiger, als im voraus zu wissen, was geschehen wird. So sehe ich das.
1 Amerika lehnte natürlich ab – einige Tage später sandten sie drei oder vier weitere Schiffe mit Waffen.
2 Eine Invasion von Flüchtlingen aus Bangladesh, verbunden mit einer Choleraepidemie.