Mutters
Agenda
dreizehnten Band
4. April 1972
(Gespräch mit S.S., dem dritten Mitglied des rivalisierenden Trios. Er berichtet Mutter, daß gewisse Aurovillianer "amerikanische Spione" seien.)
Einige behaupten, diese Leute seien Spione, die von der amerikanischen Regierung dort plaziert wurden, andere (einige Amerikaner) sagen mir, die Amerikaner würden niemals so unfähige Spione nehmen. Ich persönlich sehe also nicht... Um die Wahrheit zu sagen, schätze ich sie nicht besonders, aber ich habe keine wirklich echten Einwände gegen sie. Das ist alles. All diese Dinge...
Ich versuchte mein Bestes, sie zum Weggehen zu bewegen, d.h. zu erreichen, daß sie von selbst gehen WOLLEN. Aber es geschah nicht, sie wollten wirklich bleiben. Wenn wir eindeutige Beweise hätten, daß sie tatsächlich Spione sind, dann wäre es sehr leicht. Ich würde sie fortschicken. Aber sie sind seit vielen Jahren hier. So etwas muß bewiesen sein, das darf nicht bloß ein Gefühl oder eine Idee sein – es muß einen konkreten Beweis geben.
Ich möchte, daß der göttliche Wille sich sehr klar und eindeutig manifestiert. Denn die menschlichen Einschätzungen taugen nichts. Er allein kennt die Wahrheit, und Er selbst muß entscheiden. Ich weiß nicht, ob ihr versteht und folgt. Was ich sage, mag nicht klar sein. Aber um die Wahrheit zu sagen: ich habe keinerlei Respekt für menschliche Einschätzungen und Ansichten, und ich bin absolut überzeugt, daß nur das Göttliche die Wahrheit sehen kann. Ich kann also nur möglichst deutlich Seinen Weg darlegen und zeigen, damit wir allein das tun, was Er sagt, was Er sieht. Wir sind nicht fähig zu sehen. Wir werden dem Göttlichen folgen.
(Schweigen)
Möge Dein Wille geschehen – WIE AUCH IMMER er sei. Das ist meine Einstellung.
(Aurovilles Architekt kommt herein)
(Der Architekt:) Eine Folge von Ereignissen zwingt mich, Ihnen eine Frage zu stellen. Ich las diese Frage S.S. vor, denn wir sprachen lange miteinander, da wir fühlen, daß gewisse Entscheidungen getroffen werden müssen, um zu versuchen, die Situation in Auroville zu verbessern. Aber wir stoßen immer wieder auf dasselbe Problem, das ich in diesem Brief zusammengefaßt habe:
"Auroville ist belastet von einer kleinen Gruppe von Leuten, die sein Leben und seinen Geist verderben und seinen Fortschritt hindern. Sie vereiteln jede Anstrengung, Sicherheits- und Hygienemaßnahmen und Arbeitsgrundlagen einzuführen. Sie verhalten sich gegensätzlich zu Aurovilles Ideal. Eine Lösung wäre, manche dieser Leute wieder nach Hause zu schicken und für eine gewisse Zeit Neuankömmlinge auf jene zu beschränken, die für den Aufbau Aurovilles direkt von Nutzen sind.
Wir sehen, daß diese Möglichkeit in der Praxis nicht deine Unterstützung fand. Ist die Gegenwart dieser Elemente – die nach unserer Ansicht unerwünscht sind – nötig für Auroville aus Gründen, die allein dem göttlichen Bewußtsein bekannt sind? Wird von uns verlangt, daß wir Auroville inmitten dieser Schwierigkeiten, die sie repräsentieren, aufbauen? Und sind sie für Aurovilles Entwicklung nützlich?"
Im allgemeinen und von einem absoluten Standpunkt aus gesehen sind Schwierigkeiten IMMER ein Segen. Und nur... (wie soll ich sagen?) nur die menschliche Schwäche bewirkt, daß sie nicht helfen. Schwierigkeiten sind IMMER eine Gnade. Diesmal bin ich schon lange auf der Erde, und immer – ohne Ausnahme – sah ich zum Schluß, daß Schwierigkeiten nichts als Gnade sind. Und ich kann nichts anderes fühlen oder hören, denn während meines ganzen Lebens war es so. Anzufangen zu schimpfen und sich zu sagen: "Warum?... Ich bin doch voll guten Willens, und trotzdem stellen die Dinge sich gegen mich ..." Und nachher hätte ich mir ganz einfach eine Ohrfeige geben können mit den Worten: "Dummkopf, dies ist so, um den Charakter und die Arbeit zu vervollkommnen!"
(Schweigen)
Manche Leute wurden vom Ashram nach Auroville abgeschoben. Zugegebenerweise sind sie problematisch und erschweren die Dinge. Mir wäre lieber, wenn sie ganz natürlich dazu bewegt würden, Auroville zu verlassen... woanders hin. Das wäre zwar auch nicht sehr nett für die Welt – aber das macht nichts, im freien Leben können sie vielleicht besser absorbiert werden. Als äußere Maßnahme müßte man mit jedem Individuum sprechen.
Jetzt fahre fort mit dem, was du zu sagen hast.
(Der Architekt:) Nein, liebe Mutter, ich wollte einfach wissen, ob wir die Anwesenheit dieser scheinbar unerwünschten Leute als eine Notwendigkeit für den Fortschritt Aurovilles akzeptieren sollen. In diesem Fall müßten wir uns dementsprechend verhalten und den Schwierigkeiten, die sie darstellen, ins Gesicht blicken; oder ist es besser, durchgreifende Maßnahmen zu treffen, um die Probleme der Sicherheit und der Hygiene zu lösen.
Welche Probleme der Hygiene? Was für Probleme der Sicherheit?
Es ist zum Beispiel völlig nutzlos, ihnen Feuerlöscher, Schläuche und Wasser zu geben, wenn sie sich nicht bemühen, zu lernen, wie man die Feuerlöscher benützt und die Schläuche in sauberem Zustand hält, um sie benutzen zu können.
Ja, das ist klar.
Mit der Hygiene verhält es sich genau so.
Gibt es niemanden, dem wir das anvertrauen können?
Wir müssen mit dem zurechtkommen, was wir haben.
Ja. Wir sollten etwas mit den Leuten arrangieren, denen wir vertrauen können, und wenn die anderen nicht zufrieden sind, gehen sie von selbst. Verstehst du? Anstatt eine aktive Haltung einzunehmen: "Macht, daß ihr wegkommt!" (was aus vielen Gründen sehr schwierig ist), unterstellen wir sie einer Autorität, die sie nicht akzeptieren, und so werden sie gezwungen sein, zu gehen. Anfänglich werden sie protestieren, dann müssen wir ihnen sagen: "Nein, das ist so."
Wir brauchen fähige Leute mit der nötigen Charakterstärke. Wenn wir die gefunden haben, dann können wir ihnen die Autorität übertragen, und wenn die anderen nicht zufrieden sind, können sie gehen. So ist das. Diejenigen, die da sind, können wir nicht wegschicken, solange wir nicht eine oder mehrere Personen haben, die aktiv diese Position einnehmen können.
Ja, klar. Dann ist da noch das Problem der Aufnahme in Auroville.
Ach! In welcher Hinsicht?
Gewisse Elemente erscheinen uns zum Beispiel von vornherein absolut unerwünscht. Manchmal werden diese Elemente angenommen. Gibt es dafür einen Grund?
Auf Probe. Niemals anders als versuchsweise.
Aber liebe Mutter, wenn sie auf Probe angenommen werden, können wir sie nachher nicht mehr wegschicken.
Ach, wenn sie die Bedingungen nicht erfüllen, können sie weggeschickt werden. Ich spreche von denen (was ich gerade S.S. sagte), die ich aus dem Ashram ausweisen mußte, denn sie waren im Ashram vollkommen unerwünscht 1 . Sie gingen dann nach Auroville; diese müssen von selber gehen oder fühlen... eben fühlen, daß es für sie hier keinen Platz gibt. Aber die Neuankömmlinge, diejenigen, die versuchsweise angenommen wurden und unerwünscht sind, können fortgehen. Ich gebe euch volle Autorität, sie wegzuschicken.
Manche Leute kommen zu mir: ich kenne ihre Namen nicht, ich weiß nicht, was sie tun, ich weiß überhaupt nichts; einer von euch muß mir die neuen Anträge übergeben (jemand, der die Situation und die Leute kennt). Leider schreiben mir haufenweise Leute, und ich erinnere mich nie an die Namen der Leute, ich weiß es nur, wenn mir gesagt wird, wer sie sind, was sie tun und all das. Wenn ihr Erfahrung mit den Leuten habt, könnt ihr mir sagen: "Der da ist so und so." Ich verlasse mich auf euer Urteil, und wenn ihr mir sagt: "Dieser Mensch ist unerwünscht", dann muß er eben weggehen. Nur muß ich vorgewarnt werden, denn die Leute haben die Angewohnheit, von einer Person zur anderen zu gehen und mir die Anträge zukommen zu lassen. Ich erinnere mich nicht, ich weiß nichts. Verstehst du die Situation? Ich gebe eine allgemeine Antwort, und für sie ist das... Weil ich glaube, daß man von jemand anderem spricht. Ich erinnere mich nicht mehr, ich vergesse die Namen – eine Minute später habe ich das vergessen. Mein Kopf ist voll von... etwas viel Weiterem. Eine oder zwei Personen (zwei ist besser) müssen mich über die Neuaufnahmen in Auroville informieren. Ich bin völlig einverstanden, diejenigen wegzuschicken, die ihr für unerwünscht haltet.
Versteht ihr?
Ja, liebe Mutter. Aber jetzt läuft es so, daß alle Anträge von S.S. weitergereicht werden. Niemand anderer unterbreitet die neu eingereichten Anträge. So sollte es möglichst einfach sein.
Ist das sicher?
Neulich (ich nehme ein Beispiel, denn für mich war das ein Problem) wurde ein drogensüchtiges Mädchen von Auroville weggeschickt, und sie bat S.S., zurückkommen zu dürfen. Und wir haben...
Ein Mädchen?
Ja. Daraufhin fanden S.S. und ich, dies sei nicht wünschenswert, doch Sie haben gesagt: "Wir müssen ihr noch eine Chance geben."
Ja – ja, für einen Monat 2?
(S.S.:) Jetzt sind diese Leute seit einer Woche auf Probe da.
Man muß mindestens einen Monat abwarten. Aber wenn sie die geringste Unaufrichtigkeit zeigen, versteht ihr, wenn sie sagen: "Ich tue dies nicht, ich tue das; ich will das nicht und ...", braucht ihr ihnen nur zu sagen "Geht weg!" Ihr braucht mich nicht einmal zu fragen. Aber gebt mir Bericht: diese Person wurde als ungeeignet befunden. Ich gebe euch die Autorität, das zu tun. Ich würde nicht protestieren. Ihr müßt mich nur davon unterrichten, denn viele Leuten kommen... sie sind sehr listig: sie versuchen, andere Leute zu finden, um mir ihren Antrag zu überbringen.
(Der Architekt:) Wir stellten uns die Frage, ob Sie meinen, daß selbst diese Leute einen Nutzen haben, indem sie Auroville mit besonderen Schwierigkeiten konfrontieren.
Nein, ganz und gar nicht. Ich bin nicht dafür, absichtlich die Schwierigkeiten zu vergrößern. Ich weiß, daß sie kommen, um... Aber man darf sie nicht auf sich ziehen – im Gegenteil. Man muß die Dinge so leicht wie möglich gestalten. Nur darf man sich nicht von Schwierigkeiten einschüchtern lassen. Ich sage auf keinen Fall, man solle die Schwierigkeiten akzeptieren – zieht sie nicht auf euch, ganz und gar nicht! Das Leben ist schon schwierig genug, so wie es ist. Aber wenn eine Schwierigkeit auftritt, muß man ihr mutig ins Gesicht blicken.
Wir müssen Ordnung, Harmonie und Schönheit anstreben... und eine kollektive Aspiration – alles Dinge, die im Augenblick noch nicht da sind. Als Organisatoren müssen wir den anderen ein gutes Beispiel für das geben, was wir von ihnen verlangen. Wir müssen jenseits aller persönlichen Reaktionen stehen, einzig mit dem göttlichen Willen verbunden, als gefügiges Instrument des göttlichen Willens – unpersönlich, ohne persönliche Reaktionen.
In aller Aufrichtigkeit sein. Damit das, was das Göttliche will, sei. Wenn wir das erreichen können, sind wir alles, was wir zu sein haben – DAS müssen wir sein. Alles andere... man tut sein Bestes.
Ich weiß, daß es nicht leicht ist, aber wir sind nicht hier, um leichte Dinge zu tun; denen, die ein leichtes Leben suchen, steht die ganze Welt offen. Die Leute sollen fühlen, daß der Wunsch, nach Auroville zu kommen, kein leichtes Leben bedeutet: es bedeutet eine Anstrengung für einen beträchtlichen Fortschritt. Und jene, die dem nicht folgen wollen, sollten gehen. Darum geht es. Ich möchte, daß der Drang zum Fortschritt und zur Vergöttlichung des Wesens so intensiv ist, daß jene, die sich dem nicht fügen können (oder nicht wollen), ganz natürlich und von selbst gehen: "Ach, so habe ich mir das nicht vorgestellt." Jetzt sagen alle, die ein leichtes Leben suchen und tun wollen, was ihnen beliebt: "Ach, laßt uns nach Auroville gehen!" Es muß das Gegenteil sein. Man muß wissen, daß der Entschluß, nach Auroville zu kommen, eine große Anstrengung für einen fast übermenschlichen Fortschritt bedeutet.
Die Wirkung hängt von der Aufrichtigkeit eurer Haltung und eurer Anstrengung ab. Die Leute müssen spüren, daß Unaufrichtigkeit und Lüge hier fehl am Platz sind – daß das nicht geht, daß man diejenigen, die ihr ganzes Leben dafür gegeben haben, die Menschheit zu überschreiten, nicht täuschen kann.
Es gibt nur eine Art, sie zu überzeugen, und zwar so zu SEIN.
Dann werden wir stark sein, und wir werden die ganze göttliche Kraft mit uns haben.
Wir sind hier, um eine Übermenschheit vorzubereiten, nicht um in Begierden und ein leichtes Leben zurückzufallen – nein.
Das müssen sie fühlen, und es muß so stark sein, daß die bloße Kraft unserer Aufrichtigkeit sie verdrängt – das müssen sie spüren. Dann sind wir das, was wir sein sollen. Die Macht der Aufrichtigkeit – der Aufrichtigkeit der Verwirklichung – ist so beschaffen, daß sie für die Unaufrichtigen UNERTRÄGLICH ist.
(Schweigen)
Das ist alles.
Ja, liebe Mutter.
(Schweigen)
Wenn man mit aller Aufrichtigkeit auf der Seite des Göttlichen steht, IST man alles, was man sein soll.
Sri Aurobindo hat das immer gesagt: Wenn die Menschen doch nur wüßten, daß sie, wenn sie sich in aller Aufrichtigkeit dem Göttlichen hingeben und auf die Seite des Göttlichen stellen, alles sein werden, was sie sein sollen.
Es mag lange dauern, es mag Aufruhr und Schwierigkeiten geben, doch man muß unbeirrbar sein: "Ich bin für das Göttliche und die göttliche Manifestation, komme was wolle!" Dann ist es die Allmacht – SOGAR ÜBER DEN TOD.
Ich sage nicht morgen, ich sage nicht unverzüglich, aber... das ist eine Gewißheit.
1 Unter ihnen Ns Neffe. Dieser Unerwünschte wird so weit gehen, eine lügnerische Klage beim höchsten Gerichtshof einzureichen, um die widerspenstigen Aurovillianer zu vertreiben und seinen Onkel als legalen Eigentümer Aurovilles einzusetzen.
2 Mutter hat kein so schlechtes Gedächtnis!