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Mutters

Agenda

dreizehnten Band

5. April 1972

(Zuerst geht es um die Übersetzer der "Notizen auf dem Weg". Einer von ihnen will seine Arbeit niederlegen.)

Alle Probleme entstehen, weil das Ego will, daß man es bei allem gebührend berücksichtigt – (lachend) das Ego verlangt nach Achtung!... Es protestiert aufs heftigste, bevor es abtritt.

Ach, ich habe da hoch interessante Dinge gesehen, mein Kind. Ich verbrachte Stunden als Zuschauer: Das Bewußtsein beobachtete die Begegnung des Egos mit dem Bewußtsein des Übermenschen... (lachend) eine wahre Schlacht! Und das Ego verteidigte sich auf eine äußerst gewandte Art. Es sagte: "Seht, wenn ihr mich fortschickt, wird die Welt zur Hölle!" Es zeigte die schrecklichsten Szenen und erklärte: "Wenn ich mich von dieser Person zurückziehe, seht, was er tut; wenn ich mich von jenem zurückziehe, seht, was geschieht ..." (Mutter lacht) Die schrecklichsten Dinge, die unglaublichsten Katastrophen... Stundenlang.

Nachts schlafe ich nicht – ich bleibe still und beobachte all diese Szenen.

Wenn das im Detail erzählt würde, wäre es wirklich interessant... Vielleicht später?

(Schweigen)

*
*   *

Die Darsteller der Geschichte

Das folgende Gespräch erfordert eine Klarstellung der Situation um Mutter herum. Satprem sah noch nicht, was sich abspielte, denn Mutter hüllte ihn in solch einen Kokon aus Licht – sie kannte seinen ungestümen Charakter und wußte, daß er niemals die Schliche der Leute ertragen hätte, wenn er wirklich verstanden hätte, was geschah. Aber langsam drangen gewisse Dinge in sein Bewußtsein ein.

Ich war Zeuge einer Tragödie, ohne es zu wissen.

Die "Tragödie" erkennt man nachher, wenn es geschehen ist. Während es noch geschieht, sind es Wesen, die kommen und gehen, mit ihren alltäglichen Gesten, ihren eitlen Worten und kleinen unausgesprochenen Wünschen – nicht besser und nicht schlechter als die anderen –, die weder ihre Bestimmung kennen noch wissen, wohin sie gehen. Und dennoch ist die Tragödie bereits geschehen in dieser kleinen Geste, jener unbedachten Tat oder jenen flüchtigen Worten. Wie war der Trojanische Krieg "von Tag zu Tag"? Oder der Tod Alexanders eines "schönen Tages"? Die Bestimmung bemächtigt sich einiger Wesen und kristallisiert plötzlich einen großen historischen Moment, aber die Akteure waren weder "grausam" noch "gut": nichts unterschied sie von den Alltagsmenschen außer ein kleiner Unterschied des Herzens. Und jeder spielt seine Rolle in weiß und schwarz für ein unvorhersehbares Ziel, wo alles versöhnt ist.

Doch unterdessen...

Mutters Umgebung sah folgendermaßen aus: Pranab, ihr "Wächter", ein ehemaliger Boxer, ein gewalttätiger und stolzer Charakter, dessen offensichtliche Fehler die Kehrseite einer Liebe waren, die er niemals annehmen wollte, denn dann hätte er sich hingeben müssen. "Ein gewaltiger Stolz", sagte Mutter eines Tages 1 . Er hatte keinerlei Glauben außer an seine Bizepsmuskeln, und er war enttäuscht, seinen Traum vom "Übermenschen" ohne konkrete physiologische Verwirklichung zu sehen. Auf seine Art war er vollkommen ergeben, das heißt, nach Art eines Sportsmanns, der sein Spiel verloren hat, das er zu gewinnen hoffte, der aber dennoch die Spielregeln bis zum Schluß befolgt. Er behandelte Mutter wie ein Rohling und sprach zu ihr wie ein Grobian, aber er diente ihr rückhaltlos, ohne sich zu schonen, wenn auch mit wachsender Ungeduld. Er diente Mutter mehr als fünfundzwanzig Jahre lang. Pranab empfand Satprem gegenüber eine instinktive Abneigung, auch gegen Pavitra (den er so schlecht behandelte) und gegen alles, was seinen beschränkten Verstand im geringsten überstieg – Pranab konnte nur lieben, was er beherrschen konnte. Er war vollkommen fremdenfeindlich: die "Sahibs" wie er sie nannte, ungeachtet der Tatsache, daß Mutter ebenfalls eine "Fremde" war. Pranab und Satprem sprachen nie miteinander, ihre Welten waren völlig verschieden, und die Beschäftigungen des einen berührten nicht die des anderen. Er manifestierte einfach seine Verärgerung oder seine Geringschätzung für Satprem, wenn er breitbeinig in Mutters Zimmer trat und Mutter in Betrachtung versunken fand, Satprems Hände haltend – vielleicht sehnte er sich nach einer Liebe, die sich ihm entzog.

Die zweite Person in Mutters Umgebung war ihr Arzt Dr. Sanyal – ein vollkommen ergebener Mann, klar und ohne Kalkül, aber ohne irgendeinen Glauben außer an seine Medizin und Arzneien. Er lebte zwanzig Jahre bei Mutter, ohne zu verstehen, was sie tat. Und er säte in ihr körperliches Bewußtsein alle seine Zweifel und seine medizinischen Unmöglichkeiten. Mutter sprach mehrmals darüber in dieser Agenda.

Die dritte Person war Mutters Diener, Champaklal, der schon Sri Aurobindos Diener gewesen war. Ein Mann reinen Herzens, einfach und völlig ergeben. Von ihm läßt sich nichts sagen, außer daß wir ihm unseren Respekt bezeugen. Er stammte aus einem Dorf in Gujarat und war fünfzig Jahre zuvor im Alter von 18 Jahren direkt im Ashram gelandet. Zwischen Sri Aurobindo und seinem Dorf hatte es keinen Übergang gegeben. Er verstand wenig vom Geschehen – er diente einfach und tat, was ihm geheißen wurde.

Die vierte und letzte Person war Mutters neue Assistentin. Sie wird im folgenden Gespräch auftreten. Gerade diesem Wesen gegenüber war Satprem am blindesten, denn sie war jung und warmherzig – aber sie stand völlig unter Pranabs Einfluß und dem ihrer Leidenschaften. Satprem merkte sehr wohl, daß sie unsere Gespräche belauschte, was eine Störung in der Atmosphäre bewirkte und unsichtbar Mutters Worte hemmte – denn selbstverständlich spürte Mutter alles, was in der Atmosphäre vor sich ging. Wieviele Male hielt sie doch inne, unsichtbar unterbrochen, und sagte Satprem: "Ich kann nicht sprechen" – und dies nicht bloß aus Atemnot. Die Atmosphäre der Gespräche war nicht mehr so wie in den vergangenen fünfzehn Jahren, bis 1970. Zusätzlich kam es durch Satprems Schuld zu einer traurigen Entwicklung. Er sah, daß Mutter häufig mit dem einen oder anderen Schüler über Auroville sprach, und bedauerte, daß diese Worte verlorengehen sollten – es schien ihm, daß keines ihrer Worte ohne Bedeutung für die Welt war, selbst wenn er noch nicht fähig war, wirklich zu verstehen, was sie sagte. So wurde mit Mutter vereinbart, daß ihre Assistentin wichtige Gespräche aufzeichnen und dann Satprem geben sollte, um sie der Agenda hinzuzufügen. Zuerst bemerkte Satprem, daß die Assistentin die Aufnahmen zurückbehielt, aber er wollte nichts sagen, um nicht den Eindruck zu erwecken, etwas an sich reißen zu wollen oder sich in den Vordergrund zu stellen, auch wußte er nicht genau, in wessen Auftrag sie handelte. Dann hörte die Assistentin ganz auf, ihm die Aufnahmen zu geben, selbst jene von Mutter und Sujata. Die Situation war aber bereits so angespannt in Mutters Zimmer, daß er nichts sagen wollte, aus Furcht, einen Ausbruch zu provozieren, der auf Mutter zurückgefallen wäre. Auch spürte er die unsichtbare Barriere gegen die Anwesenheit Sujatas, deren Name systematisch beim geringsten Anlaß aus der Besucherliste gestrichen wurde, so wie jene einiger anderer junger Mädchen, die zu den freundlichen und stillen Elementen des Ashrams zählten. Und wie konnte er protestieren, wenn Sujata gesagt wurde: "Mutter kann nicht... Mutter ist krank."? Einmal sagte Sujata etwas zu Mutter, aber als es sich drei, vier, ja, zehn Mal wiederholte, gab es nichts mehr zu sagen. Ohne zu wissen warum, empfand Satprem auch seine eigene Anwesenheit bei Mutter als bedroht und gefährdet. Tatsächlich waren wir allein inmitten einer lautlos operierenden Opposition. Warum diese Opposition? Darauf gibt es keine Antwort, oder dann war es jener menschliche Kleingeist, der nichts versteht und alles verabscheut, was ihn übersteigt. Sogar Mutters Sohn war eifersüchtig darauf, daß Satprem bei ihr diesen Platz einnahm – ohne von jenen anderen zu sprechen, den offensichtlichen "Lügnern" in Mutters eigenen Worten, welche die Angelegenheiten des Ashrams verwalteten und dies heute noch tun. Und schließlich – sehr viel später – bemerkte Satprem, daß jener Kassettenrekorder, von dem er keine Aufnahmen mehr erhielt, heimlich dazu diente, Satprems eigene Gespräche mit Mutter zu belauschen... Auf wen ging das zurück?

Das war das Ende. Die Atmosphäre war derart verdorben, daß es offensichtlich nicht mehr lange dauern konnte – Mutter erstickte darin. Satprem entdeckte später selbst am eigenen Leib durch direkte Erfahrung, daß übelwollende Gedanken eine solche Bedrückung und Angst erzeugen, als litte man an Luftmangel. Selbst als man ihm die Tür zu Mutter verschloß, an jenem 19. Mai 1973, KONNTE er NICHT GLAUBEN, daß es das Ende war, er war überzeugt, daß die letzte Etappe bevorstand und Mutter im Begriff stand, die Sklaverei der Ernährung, das letzte Bindeglied zur alten Physiologie, abzuschütteln. Aber wie wir heute wissen: ihr "Wächter" sollte das nicht zulassen. In seiner Ansprache vom 4. Dezember 1973 erklärte er: "Zu Beginn [seit dem 20. Mai] verweigerte sie jegliche Nahrung und Flüssigkeit, aber auf die eine oder andere Weise überredeten wir sie." 2 Sie mochte kämpfen, wie sie wollte, und dann... Manchmal glaubte Satprem, ihre stockende, leise Stimme dort oben zu vernehmen: "Wo ist Satprem? Wo ist Satprem?..." und dann das Schweigen. Hätte er sich den Weg erzwungen, so hätte diese Agenda nie das Tageslicht erblickt. Das folgende Gespräch ist demnach gewissermaßen prophetisch.

Mutter war von diesen vier Personen umgeben: ein treuer, aber verständnisloser Diener, ein Arzt ohne Glauben, ein gewalttätiger und despotischer Wächter und ein blindes und fehlgeleitetes kleines Wesen, das seinen Leidenschaften und Pranab gehorchte.

Von nun an sprechen die Tatsachen für sich selbst.

*
*   *

(Nach einem Schweigen nimmt Mutter das Gespräch wieder auf.)

Der Körper ist geschwächt durch die Transformation, der Arzt sagt, er zeige Anzeichen von Schwäche.

Es ist wahr, daß eine Art Spannung auftritt, wenn er eine zu große Anstrengung machen muß. Aber ich glaube, das wird vorübergehen. Ich bin überzeugt, ich sagte es dir schon: Wenn ich die Hundert erreiche, werde ich wieder stark sein.

Neulich hast du mit Sujata über diese Möglichkeit gesprochen, daß dein Körper den Anschein erwecken könnte, leblos, wie "tot" zu sein...

Ja.

... als notwendige Etappe der Transformation, und wenn dies eintreten sollte, müsse man darüber wachen, daß man dich nicht ins Grab steckt...

Ja.

Aber warum?... Kam dir dieser Gedanke aufs neue, daß du vielleicht gezwungen sein würdest, zu...

Ja... Ich weiß nicht. Aber ich möchte, daß jemand diese Dummheit verhindert, denn sonst wäre die ganze Arbeit verloren.

Ja, sicherlich. Aber Leute wie K werden da sein [Satprem dreht sich zur Badezimmertür und macht Mutters Assistentin ein Zeichen, sich zu nähern].

Ja.

Leute wie K werden in deiner Nähe sein.

Ja, mein Kind, aber K ist ein junges Mädchen, sie hat keine Autorität.

Doch, doch, liebe Mutter! (K lacht)

(Sujata:) Darum geht es ja gerade, liebe Mutter, wir haben auch keine Autorität.

Leute mit Autorität müssen da sein und sagen (Mutter spricht laut:) ES DARF NICHT GESCHEHENMUTTER WILL ES NICHT.

(Satprem:) Aber ich sehe nur K oder Sujata in deiner Nähe – was werden die anderen sagen?

Ja, aber du?

Ich? Was gelten schon meine Worte? Wer wird auf mich hören? Man wird sagen, ich sei verrückt – man wird mich nicht einmal zu dir hineinlassen 3 .

(Mutter lacht überrascht)

Es ist wahr, man wird mich nicht zu dir hineinlassen. Aber die anwesenden Leute wie K oder wie Sujata können MIT IHREM GLAUBEN etwas ausrichten – oder dann Pranab. Aber bei Pranab kannst nur du...

Aber Pranab... Pranab wird denken, ich sei tot.

Ja.

Nicht wahr.

Ja, Pranab glaubt nicht, ihm fehlt der Glaube.

(Mutter schüttelt den Kopf)

Mir scheint, daß nur das Vertrauen der Leute, wie eben dieser "jungen Mädchen" wie K oder Sujata mit ihrem Glauben, Autorität haben kann. Darauf vertraue ich. Sie müssen da sein.

(Mutter nickt zustimmend,
Sujata schweigt bis zum Schluß)

Es ist möglich, aber nicht sicher, daß es eintritt [diese kataleptische Trance]. Manchmal – eben wenn ich all diese Dinge sehe –, bin ich... Wegen dieser Schwäche kann ich nur mühsam sprechen; plötzlich fühle ich etwas wie... ich weiß nicht, ich kann nicht sagen, es sei Müdigkeit oder Erschöpfung, aber... als entwiche das Leben – dabei ist das Bewußtsein lebendiger und STÄRKER als je zuvor.

Nur der Körper weiß plötzlich nicht, ob er durchhalten wird, da liegt die Schwierigkeit.

Deshalb kann der Anschein vielleicht sehr täuschend sein.

(Satprem, zu K gewandt:) Kann denn jemand wie Champaklal das verstehen?

(K:) Ich glaube nicht.

Das Problem ist die Regierung: ein Haufen Idioten, die nichts wissen und nur den Regeln folgen wollen.

(Satprem:) Nein, nein, liebe Mutter, ich versichere dir...

(K:) Nein, nein!

(Satprem:) Jedenfalls werden wir, so lange wir leben, alles in unserer Macht Stehende tun und darüber wachen...

Ja.

Das ist sicher.

Mein Kind...

(Schweigen)

Nein, ich glaube, es wird nichts geschehen, liebe Mutter.

(K:) Ich auch.

(Satprem:) Ich glaube, daß nichts geschehen wird. Und wenn du aus einer bestimmten Notwendigkeit für eine gewisse Anzahl Tage im Zustand eines scheinbaren Samadhis verbleiben solltest, dann wirst du beschützt sein, und es wird gut gehen, das ist alles.

(Mutter nickt zustimmend)

EINE Person mit wirklichem Glauben genügt.

Ja, JA, so ist es. Ja, das ist richtig. Ja.

Es sind mindestens drei hier, die wirklich glauben.

(Mutter lacht) Ja.

Und vier! (Vasudha, Mutters frühere Assistentin tritt ein 4)

(Die Uhr schlägt,
Mutter nimmt Satprems Hände,
sie scheint beruhigt,
langes Schweigen)

K hat noch viele Dinge aufgenommen – hat sie sie euch gegeben?

Heute morgen?

(K:) Nicht heute, gestern.

(Satprem:) Gestern, ja. Ich habe es noch nicht gesehen.

Leider spreche ich nicht mehr mit derselben Kraft wie vorher, denn es fällt mir schwer. Was ich sage, hat nicht mehr dieselbe Kraft.

Aber es steht eine Macht dahinter!

Ja, das Bewußtsein ist stärker als je zuvor.

Aber ja!... Im Gegenteil, ich finde, daß immer eine Macht dahinter steht... Du sprichst offensichtlich nicht wie eine Rednerin...

Weit entfernt davon!

Nun, meine Kinder, wir werden tun, was wir können, wir tun unser Bestes.

Aber ja, und du bist umgeben... WIR WERDEN DICH NICHT IM STICH LASSEN.

Gut. Ja, so ist es. (Mutter lacht)

Auf Wiedersehen, mein Kind!

(Zu Sujata mit großer Zärtlichkeit)

Mein Kind...

*
*   *

Postskriptum

"Wir werden dich nicht im Stich lassen ..." Wie diese Worte noch nach acht Jahren mit einem schrecklichen Fragezeichen nachzuklingen scheinen! Was hätten wir tun können? Einen Skandal auslösen? Nutzlos, er hätte einfach die Meute aufgestachelt, bevor wir Zeit gehabt hätten, diese Agenda in Sicherheit zu bringen. Hier die Tatsachen, wie sie von Pranab selbst in einer öffentlichen Ansprache am 4. Dezember 1973 berichtet wurden:

"Am Abend des 17. November 1973 kam ich ungefähr um fünf nach sieben in Mutters Zimmer und sah, daß Dr. Sanyal schon dort war und sie untersuchte. Dyumanbhai [der Schüler, der Mutter die Mahlzeiten brachte] war auch gekommen. Ich ging und fühlte Mutters Puls. Er war noch da, in langen Intervallen pulsierend. Leichte Atmung war noch da. Aber langsam hörte alles auf. Der Arzt gab ihr eine Herzmassage. Sie hatte keine Wirkung. Dann erklärte er, daß Mutter ihren Körper verlassen habe. Das war um 19:25. Da ich anwesend war und meine Verantwortung spürte, dachte ich darüber nach, was ich tun sollte. Zu dem Zeitpunkt waren André [Mutters Sohn], Champaklal [der Helfer], Dr. Sanyal, Dyumanbhai, Kumud [die Assistentin] und ich selbst anwesend. Ich sprach mit André und sagte ihm, daß ich vorhatte, für einige Zeit zu warten, um dann Mutters Körper hinunterzutragen und ihn in der Meditationshalle aufzubahren, damit die Leute ihn sehen konnten. Wir würden den Körper in einer Art bewahren, daß er nicht gestört würde, und dann entscheiden, was zu tun sei. André stimmte meinem Vorschlag zu. Er wollte bei uns bleiben, aber da er sich nicht wohl fühlte, schlug ich vor, er solle nach Hause gehen, sich ausruhen und am nächsten Tag wiederkommen. Er ging weg. Wir blieben da und diskutierten, was zu tun sei.

Jetzt überlegten wir, wenn die Leute sofort über Mutters Dahinscheiden Bescheid wüßten, würde es einen großen Ansturm geben, und die Menge würde laut fordern, sie zu sehen. Dann hätte es Lärm und Rufen und eine schreckliche Verwirrung gegeben. So beschlossen wir, das Ereignis eine Zeitlang geheimzuhalten. Dr. Sanyal sagte, wir dürften den Körper für einige Stunden auf keine Weise stören. So ließen wir Mutter, wie sie war, und nach elf Uhr, als das Ashramtor geschlossen war, reinigten wir ihren Körper mit Eau de Cologne, zogen ihr ein hübsches Kleid an und ordneten alles. Dann gingen Dyumanbhai und ich hinunter und riefen Nolinida. Nolinida kam herauf und sah alles und fragte, was wir tun wollten. Ich legte meine Pläne dar. Er sagte, Mutter habe ihm einst gesagt, wenn es für uns so aussähe, als habe sie ihren Körper verlassen, sollten wir nicht in Eile sein, sondern dafür sorgen, daß ihr Körper beschützt würde und abwarten. Ich sagte: "Genau das tun wir. Wir haben sie gereinigt, sonst wären Ameisen und Insekten gekommen. Wir zogen ihr ein neues Kleid an und werden sie ruhig und vorsichtig hinuntertragen und sie in die Meditationshalle legen. Nach einer Weile werden wir die Leute rufen." Er stimmte unserem Vorschlag zu... Um ungefähr zwei Uhr morgens brachten wir Mutters Körper herunter, legten sie auf das Bett und ordneten alles. Dann ging ich hinaus, rief Mona und trug ihm auf, mit vier anderen Jungen zu mir zu kommen, fünf Assistenten von mir, sozusagen. Als sie kamen, erklärte ich ihnen, was zu tun sei: Erst die Fotografen rufen, dann die Ashramverwalter, dann alle, die ihr nahestehen... Von drei Uhr an kamen die Leute, die gerufen worden waren. Während wir oben waren, bereiteten wir eine Art Erklärung für die Presse und All India Radio vor, damit keine falschen Informationen hinauskamen.... Wir ließen den Entwurf unserer Erklärung von Nolini korrigieren und gaben ihn Udar zur Verteilung. Um 4:15 morgens öffneten wir die Ashramtore, damit die Leute ein letztes Darshan haben konnten."

So brachten sie Mutters Körper SECHSEINHALB STUNDEN nach ihrem sogenannten "Tod" hinunter, entrissen ihren Körper dem Frieden und dem Schutz ihrer Atmosphäre... und warfen sie Tausenden von gierig wartenden Besuchern zum Fraße vor, unter brennenden Neonlichtern und dem Surren der Ventilatoren.

Was für eine allgemeine Komplizenschaft verband diese Leute, die ALLE sehr genau wußten, daß Mutters Körper in ihrem Zimmer in Frieden gelassen werden sollte, die ALLE Mutters "Anweisungen" kannten?

Hätten sie sich ihrer entledigen wollen, hätten sie sich nicht mehr beeilen können.

Pranab selbst erklärt schamlos in seiner Rede:

"Etwas wiederholte sie mir und einigen anderen Leuten gegenüber recht oft vor einiger Zeit. Sie sagte, daß ihre ganze Arbeit, die sie an ihrem Körper tat, auf zwei Arten zerstört werden könne – einmal, daß die Kraft, die sie in sich herabzog, zu stark, zu groß sein könnte und daß der Körper dem nicht mehr gewachsen sein und versagen würde. 5 Oder, falls sie in eine tiefe Trance versänke und es für uns so aussähe, als habe sie ihren Körper verlassen und wir sie fälschlicherweise ins Samadhi [Grab] legten, würde das ihre Arbeit absolut zunichte machen. Sie gab Anweisungen, daß wir dem Körper den nötigen Schutz geben sollten und über ihn wachen müßten, und erst wenn wir absolut sicher seien, daß sie ihren Körper verlassen habe, sollten wir sie ins Samadhi legen. Ich glaube, wir haben getan, was sie wollte."

Sie taten wahrlich alles Nötige, "um absolut sicher zu sein". Sie aus ihrem Zimmer zu entfernen, bedeutete in der Tat, sie dem sicheren Tod auszuliefern.

Natürlich informierte uns niemand über irgend etwas. Wir gehörten nicht zu jenen, die Mutter "nahe" standen. Sujatas Bruder, Abhay Singh – durch die öffentliche Unruhe aufmerksam geworden – benachrichtigte uns. Wir erreichten den Ashram gegen sechs Uhr morgens, entsetzt, Tausende von Leuten vorbeiziehen zu sehen – ich hatte Mutter seit sechs Monaten nicht gesehen. Kaum angekommen, fünf Minuten später, ließ mich Nolini rufen, um die Presseerklärung und seine eigene Botschaft ins Französische zu übersetzen – sie hatten alle eine "Botschaft" parat. Er reichte mir sein Stück Papier. Ich war sprachlos. Ich las wie ein Automat:

"Mutters Körper gehörte der alten Schöpfung an. Er war nicht dazu bestimmt, der neue Körper zu sein. 6 Er war dazu bestimmt, die Stütze für den neuen Körper zu sein. Er hat seinen Zweck gut erfüllt. Der neue Körper wird kommen... Die Wiederbelebung des Körpers hätte eine Wiederbelebung der alten Störungen im Körper bedeutet. Die Störungen des Körpers wurden beseitigt, so weit es zu Lebzeiten möglich war – weiterzugehen war nicht möglich. Für eine neue Mutation war ein neuer Prozeß nötig. Der "Tod" war der erste Schritt in diesem Prozeß."

Noch einmal las ich es, von ohnmächtiger Wut erfüllt: "Mutters Körper gehörte der alten Schöpfung an... Er war nicht dazu bestimmt, der neue Körper zu sein...." Ich schaute alle auf mich starrenden Leute in Nolinis Zimmer an. Ein schreckliches Schweigen breitete sich aus. Und dann sagte ich NEIN. "Ich werde das nicht übersetzen." Sie sahen mich an, als wäre ich verrückt geworden. Ich ging weg.

Die surrenden Ventilatoren, die dichtgedrängte Menge, die gleißenden Lichter unter dem Blechdach. Ihre kleine weiße Gestalt, die in einer fast wilden und so machtvollen Konzentration versunken zu sein schien. Schreien? Was schreien? An WEN gerichtet? Hätte mein Schrei sie in ihr Zimmer zurückbringen können? Hätten sie ihre Botschaften und vorbereiteten Mitteilungen für ungültig erklärt? Niemand war da, der hören wollte. Sie hatten alles bis zur Perfektion in die Wege geleitet. Keine einzige Stimme war dagegen. Sie waren sich alle einig.

 

1 Siehe Agenda Bd. 8 am 2. August 1967.

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2 Bleibt zu wissen, mit welchen Mitteln. Satprem mußte immer an diese Vision denken, die er elf Jahre zuvor hatte (siehe Agenda Bd. 2 vom 11. Februar 1961), wo Mutter starb, weil sie ein Reiskorn gegessen hatte.

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3 Und tatsächlich... am 19. Mai 1973, ein halbes Jahr vor Mutters Weggang, versperrte Pranab Satprem, sowie allen anderen, auch Sujata, die Tür zu Mutter.

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4 An Krebs erkrankt, konnte sie Mutter nicht mehr dienen, sie kam aber täglich für einige Augenblicke. Ihre Abwesenheit ist eine wirkliche Tragödie. Wäre sie dagewesen, hätte nichts geschehen können – sie wußte, sie verstand. Während vielen Jahren wachte sie mit einer solchen Diskretion nicht nur über Mutter, sondern auch über die Intimität und Vertraulichkeit unserer Gespräche, darauf achtend, daß niemand störte und besonders, daß niemand die Zeit schmälerte, die Mutter Satprem widmete. Dafür wird man ihr nie genug danken können. Jemand verstand in dieser Meute, und dieser Jemand wurde Mutter weggenommen – warum?

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5 Was nicht der Fall war, da Pranab in seinen eigenen Worten sagte: "Sie verlosch wie eine Kerze."

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6 Dieser letzte Satz ("Er war nicht dazu bestimmt, der neue Körper zu sein") wurde später aus der offiziellen Botschaft gestrichen, wahrscheinlich unter anderem auch wegen Satprems Reaktion.

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