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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel VI. Der Mensch im Universum

Des Menschen Seele, ein Reisender, wandert in diesem Zyklus des brahman, gewaltig groß, eine Totalität von Lebensabläufen, eine Totalität von Zuständen. Sie wähnt sich verschieden von Ihm, der den Impuls gibt zur Reise. Ist sie von Ihm angenommen, erlangt sie ihr Ziel der Unsterblichkeit.

Svetasvatara Upanishad, I.6.

Die fortschreitende Offenbarung einer großen, lichtvollen, transzendenten Wirklichkeit, deren Mittel und Material, Grundlage und Feld die vielfachen Relativitäten dieser Welt sind, die wir sehen, und jener anderen Welten, die wir nicht sehen, erscheint mithin als der Sinn des Universums, – da es eine Bedeutung und ein Ziel hat und weder zwecklose Illusion noch ein zufälliges Ereignis ist. Dieselbe logische Überlegung, die uns zu dem Schluß führt, das Welt-Dasein sei kein irreführender Kunstgriff des Mentals, rechtfertigt gleicherweise die Gewißheit, daß das Universum keine blinde, träge, aus sich selbst seiende Masse gesonderter äußerer Erscheinungen ist, die auf ihrer Bahn durch die Ewigkeit so gut sie können zusammenhalten und miteinander ringen. Es ist auch keine ungeheure Selbst-Schöpfung, kein Selbst-Impuls einer unwissenden Kraft ohne geheime Intelligenz im Innern, die sich ihres Ausgangspunktes und ihres Zieles bewußt ist und ihren Verlauf wie ihre Bewegung lenkt. Vielmehr hält ein seiner selbst voll bewußtes Sein, das uneingeschränkter Herr seiner selbst ist, das phänomenale Wesen, in das es involviert ist, in seinem Besitz, verwirklicht sich in Gestaltung und entfaltet sich im Individuum.

Dieses lichtvolle Hervortreten ist der Tagesanbruch, den die arischen Ahnen anbeteten. Seine erfüllte Vollkommenheit ist jener höchste Schritt des die Welt durchdringenden Vishnu, den sie schauten, wie wenn ein Auge seine seherische Kraft bis in die reinsten Himmel des Mentals ausweitet. Denn dieses Licht existiert schon als alles offenbarende und lenkende Wahrheit der Erscheinungen. Es wacht über die Welt und zieht den sterblichen Menschen zu sich hin, zuerst ohne die Erkenntnis seines bewußten Mentals durch den allgemeinen Gang der Natur, zuletzt aber bewußt durch fortschreitendes Erwachen und Selbst-Ausweitung, empor zu seinem göttlichen Aufstieg. Dieser Aufstieg zum Göttlichen Leben ist des Menschen Reise, sein Werk der Werke, sein willkommenes Opfer. Er allein ist des Menschen wirkliche Aufgabe und die Rechtfertigung für sein Dasein in der Welt. Ohne ihn wäre er nur ein Insekt, das zwischen anderen Eintagsfliegen auf einem Fleck aus Schlamm und Wasser herumkriecht, der es fertig brachte, sich inmitten der schauerlichen Unermeßlichkeiten des physischen Universums zu gestalten.

Diese Wahrheit der Dinge, die aus den Widersprüchen der Welt der Erscheinungen hervorleuchten soll, wird als unendliche Seligkeit und ein seines Selbsts bewußtes Sein erklärt, das überall, in allen Dingen, zu allen Zeiten und jenseits der Zeit dasselbe ist, seiner selbst bewußt hinter all diesen Phänomenen. Durch deren intensivste Vibrationen von Aktivität oder umfassendste Totalität kann es nie völlig ausgedrückt oder irgendwie eingeschränkt werden. Es existiert in sich selbst und hängt bezüglich seines Daseins nicht von seinen Manifestationen ab. Diese repräsentieren es hier, erschöpfen es aber nicht. Sie weisen auf es hin, enthüllen es aber nicht. Dieses Sein ist innerhalb ihrer Gestaltungen nur sich selbst gegenüber offenbar. Das in die Formen involvierte bewußte Sein gelangt bei seiner Evolution zur Erkenntnis seiner selbst durch Intuition, Selbst-Schau und Selbst-Erfahrung. Es wird in der Welt es selbst, indem es sich selbst erkennt. Es erkennt sich selbst, indem es es selbst wird. Indem das Sein sich innerlich auf diese Weise besitzt, teilt es auch seinen Gestaltungen und Eigenschaften die bewußte Seligkeit von saccidananda mit. Die beabsichtigte Umwandlung sowie Wert und Zweck des individuellen Daseins ist das Hervortreten von unendlichem Seligkeit-Sein-Bewußtsein im Werdeprozeß von Mental, Vital und Körper, – denn unabhängig von ihnen existiert saccidananda ewig. Es offenbart sich so durch das Individuum in der Beziehung, wie es in der Identität in sich selbst ist.

Daß das Unerkennbare sich selbst als saccidananda erkennt, ist die eine erhabene positive Grundthese des Vedanta. Sie enthält alle anderen, oder diese sind aus ihr abgeleitet. Das ist die eine wirkliche Erfahrung, die übrig bleibt, wenn wir alles abgerechnet haben: entweder negativ, indem wir ihre äußeren Gestaltungen und Hüllen eliminieren, oder positiv, indem wir ihre Namen und Formen auf die beständige Wahrheit zurückführen, die sie enthalten. Um das Leben zur Erfüllung zu bringen oder um es zu transzendieren, ferner ob Reinheit, Stille, Freiheit im Geist unser Ziel ist oder Machtfülle, Freude und Vollkommenheit, saccidananda ist dafür der unvorstellbare, allgegenwärtige, unentbehrliche Begriff, nach dem das menschliche Bewußtsein im Erkennen und Fühlen oder im Empfinden und Handeln ewig sucht.

Das Universum und das Individuum sind die beiden wesentlichen Erscheinungen, in die das Unerkennbare herniederkommt und durch die man sich ihm nahen muß. Denn die anderen Kollektive zwischen diesen beiden entstehen nur aus ihrem Zusammenwirken. Dieses Herabkommen der höchsten Wirklichkeit ist seiner Natur nach Selbst-Verhüllung. Bei dem Herabkommen entstehen aufeinanderfolgende Ebenen, bei der Verhüllung immer weitere Schleier. Notwendigerweise nimmt die Enthüllung die Form eines Aufstiegs an, und ebenso müssen Aufstieg und Enthüllung beide progressiv sein. Denn jede der aufeinanderfolgenden Ebenen des Herniederkommens des Göttlichen Wesens wird für den Menschen zur Stufe eines Aufstiegs. Jede Hülle, die den unbekannten Gott verbirgt, wird für den Gott-Liebenden und Gott-Suchenden zum Anlaß, Ihn zu enthüllen. Um sich aus dem rhythmischen Schlummer der materiellen Natur zu befreien, die der Seele und Idee noch unbewußt ist, die jedoch den geordneten Wirkungsablauf ihrer Energie in ihrer dumpfen, mächtigen materiellen Trance aufrechterhalten, ringt sich so die Welt empor in einen rascheren, unterschiedlicheren, aber auch ungeordneteren Rhythmus des Lebens, das sich bis zu den Grenzgebieten des Selbst-Bewußtseins müht. Aus dem Leben kämpft sich die Welt weiter hinauf bis zum Mental, in dem das Einzelwesen zu sich selbst und seiner Welt gegenüber zum Bewußtsein erwacht. Durch dieses Erwachen gewinnt das Universum den erforderlichen Hebel für sein höchstes Werk. Es gewinnt die ihrer selbst bewußte Individualität. Das Mental nimmt dieses Werk jedoch nur auf, um es fortzusetzen, nicht um es zu vollenden. Es ist ein Arbeiter mit scharfer aber begrenzter Intelligenz, der das Durcheinander von Materialien aufgreift, das ihm vom Leben angeboten wird. Wenn er diese nach seinen Kräften verarbeitet, angepaßt, abgeändert und eingestuft hat, reicht er sie weiter an den erhabensten Künstler unseres göttlichen Menschseins. Dieser Künstler hat seinen Sitz im Supramental, denn supermind is superman, das Supramental ist der Obermensch. Deshalb muß unsere Welt noch über das Mental emporkommen zu einem noch höheren Prinzip, zu einem höheren Zustand und einer höheren Kraftentfaltung, in der Universum und Individuum das erkennen und in Besitz nehmen, was beide eigentlich schon sind. Darum stehen beide sich nun in vollem gegenseitigen Verstehen gegenüber, in Harmonie und geeint.

Die Unordnungen von Leben und Mental hören auf, wenn wir das Geheimnis einer Ordnung entdecken, die vollkommener ist als die physische. Die Materie unterhalb von Leben und Mental enthält zwar in sich die Ausgewogenheit vollkommener Ruhe und der Aktion unermeßlicher Kraft, aber sie ist nicht im Besitz dessen, was sie in sich enthält. Ihr Friede trägt die Maske stumpfer, unerleuchteter Trägheit, eines Schlafes in Unbewußtheit oder gar eines betäubten, eingesperrten Bewußtseins. Da sie von einer Kraft getrieben wird, die ihr wahres Selbst ist, deren Sinn sie aber nicht begreifen, noch sich zu eigen machen kann, besitzt sie nicht die voll erwachte Freude an ihren eigenen harmonischen Energien.

Leben und Mental erwachen zum Empfinden dieses Mangels in der Form ringender und suchender Unwissenheit und verworrenen, gehemmten Verlangens. Das sind die ersten Schritte zur Selbst-Erkenntnis und Selbst-Erfüllung. Wo ist dann aber das Reich ihrer Selbst-Erfüllung? Es kommt dadurch zu ihnen, daß sie über sich selbst hinausgelangen. Jenseits von Leben und Mental gewinnen wir bewußt in seiner göttlichen Wahrheit, was die Ausgeglichenheit der materiellen Natur in grober Weise darstellte, – Ruhe, die weder Trägheit noch in sich verschlossene Trance des Bewußtseins ist, vielmehr Konzentration einer absoluten Kraft und Selbst-Erkenntnis, das Wirksamwerden einer unermeßlichen Energie, die zugleich ein Aufwallen unsagbarer Seligkeit ist. Denn nun ist jeder einzelne Akt Ausdruck nicht mehr von Mangel und unwissendem Mühen, sondern von absolutem Frieden und Selbst-Meisterschaft. Wenn unsere Unwissenheit das erlangt, nimmt sie das Licht wahr, dessen verdüsterter, partieller Widerschein sie war. Dann kommen unsere Begehren zur Ruhe in Überfluß und hoher Erfüllung, worauf sie, selbst in ihren groben materiellen Formen, stets ihre wenn auch verdüsterte und gefallene Sehnsucht gerichtet haben.

Universum und Individuum brauchen einander zu ihrem Aufstieg. Tatsächlich existieren sie immer füreinander und haben voneinander ihren Nutzen. Das Universum ist eine Ausbreitung des göttlichen Alls in die Unendlichkeit von Raum und Zeit. Das Individuum ist dessen Konzentration innerhalb der Grenzen von Raum und Zeit. Das Universum sucht in unendlicher Ausdehnung nach der göttlichen Totalität, die zu sein es fühlt, ohne sie völlig verwirklichen zu können. Denn bei der Ausbreitung treibt das Sein hin zu einer pluralistischen Summe seiner selbst, die weder die ursprüngliche noch die letzte Einheit sein kann, vielmehr eine sich wiederholende Dezimale ohne Ende oder Anfang. Darum erschafft das Universum in sich eine ihres Selbsts bewußte Konzentration des Alls, durch die es sein Streben befriedigen kann. Im bewußten Individuum wendet sich prakriti nach innen, um purusha wahrzunehmen; die Welt sucht nach dem Selbst. So wie Gott ganz und gar zur Natur geworden ist, sucht die Natur nun fortschreitend danach, Gott zu werden.

Andererseits wird das Individuum durch das Universum gezwungen, sich selbst zu verwirklichen. Das Universum ist ihm nicht nur Grundlage, Mittel, Feld und Stoff für das göttliche Wirken, der individuelle Mensch muß sich notwendigerweise auch universal und apersonal machen, damit er das göttliche All, das seine Wirklichkeit ist, manifest machen kann. Denn die Konzentration des universalen Lebens, das er ist, findet innerhalb von Beschränkungen statt und ist nicht, wie die intensivere Einheit von brahman, bar jedes Begriffs von Grenze und Ende. Dennoch ist ihm geboten, selbst dann, wenn er sich am weitesten in eine Bewußtseins-Universalität ausdehnt, ein geheimes, transzendentes Etwas zu bewahren, das sich ihm dunkel und ichhaft in dem Empfinden von Personalität darstellt. Andernfalls hätte er sein Ziel verfehlt, das ihm gestellte Problem würde nicht gelöst, und das göttliche Wirken, für das er die Geburt angenommen hatte, würde nicht geleistet.

Das Universum tritt dem Individuum als Leben entgegen, als ein Kräftespiel, dessen ganzes Geheimnis er zu meistern hat, als eine Masse zusammenprallender Ergebnisse, als ein Wirbel potentieller Energien. Er soll aus diesen eine erhabene Ordnung und noch nicht verwirklichte Harmonie freimachen. Das ist schließlich der wirkliche Sinn des menschlichen Fortschritts. Er soll nicht einfach nur in leicht veränderten Formulierungen das noch einmal feststellen, was die physische Natur bereits zustande gebracht hat. Auch darin kann das Ideal des menschlichen Lebens nicht bestehen, daß er einfach das Tierleben auf der höheren Stufe seiner Mentalfunktionen wiederholt. Sonst würden irgendein System oder eine Ordnung, die ein erträgliches Wohlbefinden und eine mäßige mentale Zufriedenheit sichern, unsern Fortschritt zum Stillstand bringen. Das Tier begnügt sich mit einer bescheidenen Befriedigung seiner Bedürfnisse. Die Götter sind mit ihren Herrlichkeiten zufrieden. Nur der Mensch kann erst dann dauernd zur Ruhe kommen, wenn er ein höchstes Gut erlangt hat. Deshalb ist er auch das höchste der lebendigen Wesen, weil er das unzufriedenste ist, das am meisten den Druck seiner Begrenztheit fühlt. Vielleicht ist er allein dazu fähig, vom göttlichen Wahnsinn der Sehnsucht nach einem fernen Ideal ergriffen zu werden.

Für den Geist im Leben ist darum das Individuum, in dem sich seine potentiellen Kräfte konzentrieren, in besonderer Weise der Mensch, purusha. Der Sohn des Menschen ist im höchsten Grade dazu ausersehen, Gott zu inkarnieren. Der Mensch ist manu, der Denker, mano-maya purusha, die mentale Person oder die Seele als Träger des Mentals nach der Auffassung der Weisen des Altertums. Er ist nicht nur ein Säugetier höherer Art, sondern eine geistig empfängliche Seele, die ihre Grundlage im animalischen Leib in der Materie hat. Er ist bewußter Name, numen. Er nimmt Gestalt an und verwendet sie als ein Mittel, durch das die Person mit der Substanz umgehen kann. Das aus der Materie hervortretende animalische Leben ist nur der untergeordnete Begriff seiner Existenz. Das Leben in Denken, Fühlen, Wollen und bewußtem Impuls, das wir in seiner Gesamtheit mit Mental bezeichnen und das sich müht, die Materie und ihre vitalen Energien in seine Macht zu bekommen und sie dem Gesetz seiner fortschreitenden Transformation zu unterwerfen, ist der mittlere Begriff, in dem der Mensch bei seinem Wirken vorübergehend Station macht. Auch hier gibt es aber einen noch höheren Begriff, nach dem das Mental im Menschen sucht. Ihn möchte er finden und ihm in seiner mentalen und leiblichen Existenz eine sichere Grundlage geben. Diese praktische Bejahung von etwas, das dem gegenwärtigen Ich des Menschen wesenhaft überlegen ist, ist das Fundament für das göttliche Leben im menschlichen Dasein. Ist der Mensch zu einem Wissen von sich erwacht, das tiefer ist als seine erste mentale Idee über sich selbst, beginnt er, sich von dem, was er so sicher zu bejahen hat, eine gewisse Formel auszudenken und ein Wahrnehmungsbild zu erfassen. Dann kommt es ihm aber vor, als sei diese Bejahung zwischen zwei Verneinungen gestellt. Wenn er jenseits dessen, was er bis jetzt erlangt hat, die Macht, das Licht, die Seligkeit eines seiner selbst bewußten unendlichen Seins wahrnimmt oder davon berührt wird und seine Gedanken darüber oder seine Erfahrung davon in die Begriffe überträgt, die seiner Mentalität entsprechen – Unendlichkeit, Allwissenheit, Allmacht, Unsterblichkeit, Freiheit, Liebe, Seligkeit, Gott –, scheint ihm diese Sonne seines Schauens zwischen einer doppelten Nacht zu leuchten, einer Finsternis unter und einer noch mächtigeren Finsternis über ihr. Denn wenn er sich müht, sie bis zum äußersten zu erkennen, scheint sie in etwas überzugehen, das weder ein einzelner dieser Begriffe noch ihre Summe darstellen kann. Sein Mental verneint schließlich Gott zugunsten eines Jenseits, zumindest scheint es zu finden, Gott transzendiere Sich Selbst und verweigere Sich begrifflicher Erfassung. Aber auch hier, in der Welt, in ihm selbst und in seiner Umgebung, begegnen dem Menschen stets die Gegensätze zu seinen Bejahungen. Immer ist der Tod bei ihm, Beschränkung umlagert sein Wesen und seine Erfahrung, Irrtum, Unbewußtheit, Schwäche, Trägheit, Kummer, Schmerz, das Böse – sie alle sind fortwährende Unterdrücker seines Bemühens. So wird er auch hier dazu getrieben, Gott zu verleugnen, zumindest scheint das Göttliche Wesen sich selbst zu verneinen, sich in einer äußeren Erscheinung oder in einem Ergebnis zu verbergen, das anders ist als seine wahre, ewige Wirklichkeit.

Die Begriffe dieses Leugnens sind nicht wie die jener anderen, entlegeneren Verneinung dem Verstehen des Menschen unerreichbar, darum natürlicherweise geheimnisvoll und für sein Mental unerkennbar, sie scheinen vielmehr erkennbar, bekannt und klar zu sein – und dennoch mysteriös. Er weiß nicht, was sie sind, warum sie existieren, wie sie ins Seiende gekommen sind. Er sieht ihre Vorgänge so, wie sie sich auf ihn auswirken und wie sie ihm erscheinen. Er kann aber ihre wesenhafte Wirklichkeit nicht ergründen.

Vielleicht sind sie unergründlich? Vielleicht sind sie in ihrem Wesen auch wirklich unerkennbar? Oder sie besitzen überhaupt keine wesenhafte Wirklichkeit, sind eine Illusion, asat ein Nicht-Seiendes. Die Negation auf höherer Ebene erscheint uns manchmal als ein Nihil, als ein Nicht-Sein. So mag auch die Negation auf der niederen Ebene ihrem Wesen nach ein Nihil sein, ein Nicht-Sein. Aber wie wir schon jene Ausflucht aus der Schwierigkeit im Blick auf die höhere Verneinung von uns gewiesen haben, so weisen wir sie auch für dieses niedere asat zurück. Die Wirklichkeit dieser Negation gänzlich zu bestreiten oder ihr dadurch entrinnen zu wollen, daß wir sie als bloße verhängnisvolle Illusion erklären, bedeutet, daß wir das Problem einfach von uns weisen und unserem Werk davonlaufen. Für das Leben sind die Dinge, die Gott zu bestreiten und Gegensätze zu saccidananda zu sein scheinen, auch dann wirklich, wenn sie sich als etwas nur Zeitweiliges herausstellen. Sie und ihre Gegensätze, das Gute, das Wissen, Freude und Lust, Leben und Überleben, Stärke und Macht, fortschreitendes Wachstum, sind gerade das Material, mit dem das Leben arbeitet. Es ist in der Tat wahrscheinlich, daß sie das Ergebnis oder vielmehr die untrennbaren Begleiterscheinungen, zwar nicht einer Illusion, aber doch einer falschen Beziehung sind, deshalb unrichtig, weil sie sich auf eine falsche Auffassung von dem gründen, was das Individuum im Universum ist. Daher kommt die falsche Haltung des Menschen sowohl zu Gott und zur Natur, wie zu sich selbst und zu seiner Umgebung. Denn das, was er bisher geworden ist, hat jede Harmonie mit dem verloren, was die Welt seiner Wohnstätte ist und was er selbst sein sollte und werden muß. Darum ist der Mensch diesen Widersprüchen gegen die geheime Wahrheit der Dinge unterworfen. Ist das aber so, dann sind sie nicht die Strafe für einen Sündenfall, sondern Voraussetzungen seines Fortschritts. Sie sind die ersten Elemente für das Werk, das er zu vollbringen hat, und der Preis, den er für die Krone entrichten muß, die er zu erringen hofft. Sie sind der enge Pfad, auf dem die Natur aus der Materie heraus in das Bewußtsein entrinnt. Sie sind zugleich ihr Lösegeld und ihr Kapital.

Denn aus diesen falschen Beziehungen und mit ihrer Hilfe müssen wir die wahren Beziehungen finden. Mittels der Unwissenheit müssen wir den Weg über den Tod hinaus finden. So spricht der Veda auch in rätselhaften Andeutungen von Energien, die wie Frauen sind, böse in ihrem Impuls, vom rechten Weg abgekommen und ihrem Herrn Harm zufügend, dennoch bauen sie, obwohl sie an sich falsch und unglücklich sind, am Ende diese ungeheure Wahrheit auf, diese Wahrheit, die Seligkeit ist. So wäre dann für den Menschen das Opfer vollbracht, die Reise vollendet, Himmel und Erde wären miteinander zum Ausgleich gekommen und beide in der Seligkeit des Höchsten geeint, wenn der Mensch, statt das Böse in der Natur durch einen Akt moralischer Chirurgie aus sich herauszuoperieren oder sich mit Abscheu aus dem Leben zurückzuziehen, den Tod in ein vollkommeneres Leben umwandelt, die kleinen Dinge der menschlichen Beschränktheit in die hohen Dinge der göttlichen unbegrenzten Weite emporhebt, das Leiden in Seligkeit umformt, das Böse in sein eigentliches Gutes umkehrt und Irrtum und Lüge in ihre geheime Wahrheit überträgt.

Wie können aber solche Gegensätze ineinander übergehen? Durch welche Alchimie soll dieses Blei der Sterblichkeit verwandelt werden In das Gold göttlichen Wesens? Wie aber, wenn sie in ihrer Essenz überhaupt keine Gegensätze, wenn sie Offenbarungen einer einzigen Wirklichkeit und in ihrer Substanz identisch sind? Dann allerdings wird eine göttliche Umwandlung vorstellbar.

Wir haben gesehen, daß das jenseitige Nicht-Seiende sehr wohl ein unbegreifliches Sein und vielleicht eine unaussprechliche Seligkeit sein kann. Jedenfalls stellt sich in der Psychologie des befreiten, auf der Erde weiter wirkenden Menschen das nirvana des Buddhismus – der ein voll erleuchtendes Bemühen des Menschen formuliert, das höchste Nicht-Sein zu erlangen und in ihm zur Ruhe zu kommen – als unaussprechlicher Friede und als Freude dar. Seine praktische Auswirkung ist das Erlöschen alles Leidens durch das Verschwinden aller ichhaften Vorstellung oder Empfindung. Wir kommen einem positiven Begriff von Nirvana am nächsten, wenn wir es als eine unaussprechliche Glückseligkeit verstehen – falls dieser Name oder überhaupt ein Name einem Frieden beigelegt werden kann, der so inhaltslos ist – der Begriff der eigenen Existenz scheint völlig aufgesogen und verschwunden zu sein. Es ist ein saccidananda, auf das wir selbst die höchsten Begriffe von sat, chit und ananda nicht mehr anzuwenden wagen. Alle Begriffe werden hier zunichte, und alle erkennende Erfahrung bleibt weit zurück.

Andererseits haben wir die Vermutung gewagt: Da alles eine einzige Wirklichkeit ist, kann auch diese untergeordnete Verneinung, dieser andere Widerspruch oder dieses Nicht-Sein von saccidananda nichts anderes sein als saccidananda selbst. In Wahrheit kann es durch den Intellekt begriffen, in der Schau wahrgenommen und sogar durch die Empfindungen erfaßt werden als das, was es zu bestreiten scheint. Für unsere bewußte Erfahrung wäre das immer so, wenn die Dinge nicht durch einen ungeheuren fundamentalen Irrtum verfälscht würden und durch Unwissenheit, die alles in ihrem Besitz und unter ihrem Zwang hält durch maya oder avidya. In diesem Empfinden könnte eine Lösung gesucht werden, vielleicht keine zufriedenstellende metaphysische Lösung für das logische Mental, denn wir stehen hier an der Grenzlinie zum Unerkennbaren und Unaussprechlichen und bemühen uns vergeblich, hinüberzuschauen, aber eine ausreichende Grundlage in der Erfahrung zum Praktizieren des göttlichen Lebens.

Dazu müssen wir wagen, tiefer als nur in die helle Oberfläche der Dinge einzudringen, bei der das Mental so gern verweilt. Wir müssen es mit dem Unermeßlichen und Dunklen aufnehmen, in die unergründlichen Tiefen des Bewußtseins untertauchen, uns mit Zuständen des Wesens identifizieren, die nicht unsere eigenen sind. Bei solchem Forschen leistet die menschliche Sprache nur geringe Hilfe. Wir könnten jedoch in ihr zumindest einige Symbole und Bilder finden, mit einigen gerade noch ausdrückbaren Andeutungen zurückkehren, die für das Licht der Seele eine Hilfe sind und auf das Mental einen Widerschein von dem unaussprechlichen Plan werfen.