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Sri Aurobindo

Das Göttliche Leben

Buch 1

Kapitel X. Bewußte Kraft

Sie schauten die Selbst-Kraft des Göttlichen Wesens, tief verborgen durch seine eigenen bewußten Wirkensweisen.

Svetasvatara Upanishad, I.3.

Dieses ist Er, der wach ist in denen, die schlafen.

Katha Upanishad, V.8.

Alles phänomenale Dasein äßt sich auf Kraft, auf eine Bewegung von Energie zurückführen. Diese nimmt mehr oder minder materielle, mehr oder minder grobe oder feine Formen an, um sich ihrer eigenen Erfahrung gegenüber selbst darzustellen. In alten Gleichnissen, durch die sich menschliches Denken Ursprung und Gesetz des Wesens verständlich und wirklich zu machen versuchte, wurde dieses unendliche Dasein von Kraft als ein Meer dargestellt. Am Anfang ist es völlig ruhig und darum frei von Formen. Aber die erste Dünung, der Anfang einer Bewegung, macht das Erschaffen von Gestaltungen notwendig. Das ist der Keim des Universums.

Materie ist die Darstellung von Kraft, die für unsere Intelligenz am leichtesten vorstellbar ist, zumal sie durch Kontaktwirkungen in der Materie geprägt ist, auf die ein in ein materielles Gehirn involviertes Mental reagiert. Nach Auffassung der Physiker des Alten Indien ist der Elementarzustand materieller Kraft ein Zustand rein materieller Ausdehnung im Raum, deren besondere Eigentümlichkeit Vibration ist, die für uns durch das Phänomen von Klang typisiert wird. Vibration reicht aber in diesem Zustand von Äther nicht aus, um Formen zu erschaffen. Zuerst muß in der Strömung des Kraft-Ozeans ein Widerstand auftreten, ein Sich-Zusammenziehen und ein Sich-Ausdehnen, ein Wechselspiel von Vibrationen, ein Zusammenstoß von Kräften, um einen Anfang fester Beziehungen und gegenseitiger Wirkungen zu erschaffen. Wenn materielle Kraft ihren ersten ätherartigen Zustand verändert, nimmt sie einen zweiten, in der alten Sprache luftartig genannten, an, dessen besondere Eigentümlichkeit der Kontakt von Kraft zu Kraft ist, die Grundlage für alle materiellen Beziehungen. Wir haben jedoch noch keine wirklichen Formen, sondern nur variierende Kräfte. Ein weiteres Prinzip ist nötig, das Dauer schafft. Es wird durch eine dritte Selbst-Abwandlung der ursprünglichen Kraft bewirkt, deren Prinzip von Licht, Elektrizität, Feuer und Wärme die für uns charakteristische Manifestation ist. Nun können wir zwar Formen von Kraft haben, die ihren eigenen Charakter und ihre besonderen Wirkensweisen bewahren, aber noch keine stabilen Formen von Materie sind. Ein vierter Zustand wird durch Ausbreitung im Raum und einen ersten Vermittlungsstoff für Dauerwirkungen von Anziehung und Abstoßung charakterisiert, der anschaulich mit Wasser oder mit flüssiger Zustand bezeichnet wird. Ein fünfter Zustand von Kohäsion, Erde oder fester Zustand genannt, vollendet die Zahl der erforderlichen Elemente.

Alle Formen von Materie, die wir wahrnehmen, alle physischen Dinge bis zu den allerfeinsten, werden durch Kombination dieser fünf Elemente aufgebaut. Von ihnen hängt auch unsere ganze sinnenhafte Erfahrung ab. Durch den Empfang von Vibration kommt der Sinn für Klang. Durch Kontakt der Dinge in einer Welt von Vibrationen der Kraft entsteht der Tastsinn. Durch die Einwirkung von Licht bei den Formen, die durch die Kraft von Licht, Feuer und Wärme zum Leben gebracht, ausgeformt und erhalten werden, entsteht der Gesichtssinn. Durch das vierte Element bildet sich der Geschmackssinn. Das fünfte Element erschafft den Geruchssinn. Das alles ist im wesentlichen die Reaktion auf Vibrationskontakte zwischen den Kräften. Auf diese Weise überbrückten die Denker des Altertums die Kluft zwischen der reinen Kraft und ihren letzten Ausgestaltungen. Sie überwanden damit die Schwierigkeit, die das gewöhnliche Mental des Menschen am Verstehen hindert: Warum können alle diese Formen, die für seine Sinne so wirklich, fest und dauerhaft sind, in Wahrheit nur vorübergehende Phänomene sein, und warum kann etwas wie reine Energie, die für die Sinne nicht-existent, ungreifbar und eigentlich unglaubhaft ist, die einzige dauernde kosmische Realität sein?

Das Problem des Bewußtseins wird durch diese Theorie nicht gelöst. Sie erklärt nicht, inwiefern der Kontakt von Kraft-Vibrationen bewußte Empfindungen entstehen lassen sollte. Die Sankhya-Philosophen, die analytischen Denker, nahmen darum hinter den fünf Elementen noch zwei Prinzipien an, die sie mahat und ahankara nannten, Prinzipien, die in Wirklichkeit nicht-materiell sind. Ersteres ist nichts anderes als das ungeheure kosmische Prinzip von Kraft, letzteres ist das einteilende Prinzip der Ich-Formation. Trotzdem werden diese beiden Prinzipien, ebenso wie das Prinzip der Intelligenz, buddhi, im Bewußtsein nicht aufgrund der Kraft selbst aktiv, sondern dank einer inaktiven Bewußten Seele oder von Seelen, in denen ihre Aktivitäten reflektiert werden und die durch diese Reflexion die Tönung von Bewußtsein annehmen.

Diese Deutung wird von einer Schule indischer Philosophie angeboten, die den modernen materialistischen Ideen am nächsten kommt. Sie hat die Idee einer mechanischen oder unbewußten Kraft in der Natur so weit entwickelt, als es ernsthaft forschendem indischen Denken möglich war. Bei all seinen Mängeln war ihr Hauptgedanke doch so unbestreitbar, daß er allgemein angenommen wurde. Wie man auch immer das Phänomen Bewußtsein erklären mag, ob Natur nur ein träger Impuls oder ein bewußtes Prinzip ist, ganz gewiß ist es Kraft. Das Prinzip der Dinge ist eine gestaltende Bewegung von Energien. Alle Formen entstehen durch Zusammentreffen und gegenseitige Anpassung zwischen ungestalteten Kräften. Jede Empfindung und Betätigung ist Antwort von etwas in einer Form von Kraft auf Kontakte anderer Formen von Kraft. Das ist die Welt, wie wir sie erfahren. Von dieser Erfahrung müssen wir immer ausgehen.

Die physikalische Analyse der Materie durch die moderne Naturwissenschaft ist zum selben allgemeinen Schluß gekommen, auch wenn noch ein paar letzte Fragen in der Schwebe bleiben. Intuition und Erfahrung bestätigen diese Übereinstimmung zwischen Naturwissenschaft und Philosophie. Die Reine Vernunft findet in ihr die Bestätigung ihrer eigenen wesentlichen Auffassungen. Selbst wenn man die Welt ihrem Wesen nach als einen Akt von Bewußtsein auffaßt, ist eben ein Akt vorausgesetzt und im Akt eine Bewegung von Kraft, ein Spiel von Energie. Den gleichen Beweis für die fundamentale Art der Welt erhalten wir, wenn wir von innen her unsere eigene Erfahrung untersuchen. All unsere Aktivitäten sind das Spiel der dreifachen Kraft der alten Philosophien: Erkenntnis-Kraft, Begehrens-Kraft, Aktions-Kraft; sie alle erweisen sich in Wirklichkeit als drei Ströme einer einzigen ursprünglichen und identischen Macht, adya shakti. Selbst unsere Ruhezustände sind nur die Ausgeglichenheit oder das Gleichgewicht des Spiels ihrer Bewegung.

Wenn man annimmt, daß Bewegung von Kraft die ganze Natur des Kosmos ausmacht, erheben sich zwei Fragen. Zuerst: Wie kam es dazu, daß diese Bewegung überhaupt im Innern des Seins stattfand? Wenn wir annehmen, Kraft sei nicht nur ewig, sondern das eigentliche Wesen alles Seins, entsteht diese Frage nicht. Wir haben aber diese Theorie abgelehnt. Wir wissen um ein Sein, das nicht unter dem Zwang der Bewegung steht. Wie kann diese Bewegung, die der ewigen Ruhe des Seins fremd ist, in ihm stattfinden? Aus welcher Ursache? Durch welche Möglichkeit? Unter welchem geheimnisvollen Antrieb?

Die vom alten indischen Denken am meisten gebilligte Antwort lautet: Kraft ist dem Sein innewohnend. Shiva und Kali, brahman und shakti, sind eins, nicht zwei, die voneinander trennbar sind. Die dem Sein innewohnende Kraft mag in Ruhe oder in Bewegung sein. Auch wenn sie in Ruhe ist, existiert sie nichtsdestoweniger. Sie ist dann nicht aufgehoben, vermindert oder irgendwie in ihrem Wesen verändert. Diese Antwort ist völlig rational und in Übereinstimmung mit der Natur der Dinge, daß wir sie ohne Zögern annehmen können. Denn es ist unmöglich, weil ein Widerspruch gegen die Vernunft, anzunehmen, die Kraft sei etwas, das dem einen unendlichen Sein fremd gegenübersteht und von außen her in es eingedrungen ist oder das nicht-existent war und erst an einem gewissen Punkt der Zeit in ihm auftrat. Selbst die Theorie der Illusionisten muß zugeben, daß maya, die Macht der Selbst-Illusion, in brahman, im ewigen Wesen potentiell ewig ist. Dann erhebt sich als einzige Frage die nach ihrer Manifestation oder Nicht-Manifestation. Die Sankhya-Philosophie behauptet ebenfalls die ewige Koexistenz von prakriti und purusha, von Natur und Bewußter Seele, und die miteinander abwechselnden Zustände bei prakriti von Ruhe oder Gleichgewicht und von Bewegung oder Störung des Gleichgewichts.

Da aber Kraft so dem Sein eingeboren und es die Natur der Kraft ist, diese doppelte Kraftentfaltung von Ruhe und Bewegung, also von Selbst-Konzentration in Kraft und Selbst-Ausbreitung in Kraft, zu besitzen, erhebt sich gar nicht die Frage nach dem Wie der Bewegung, ihrer Möglichkeit, dem auslösenden Impuls oder der zwingenden Ursache. Wir können also leicht verstehen, daß sich diese Potentialität entweder darstellen muß als alternierender Rhythmus von Ruhe und Bewegung, die in der Zeit aufeinander folgen, oder als ewige Selbst-Konzentration von Kraft im unbeweglichen Sein mit einem oberflächlichen Spiel von Bewegung, Wechsel und Formation wie das Steigen und Fallen von Wogen auf der Oberfläche des Ozeans. Dieses Oberflächenspiel – von dem wir hier notwendigerweise in unzureichenden Bildern sprechen -kann entweder mit der Selbst-Konzentration gleichzeitig und selbst auch ewig sein oder in der Zeit anfangen und enden und immer wieder in einer Art von konstantem Rhythmus aufgenommen werden; dann ist es nicht in der Kontinuität, jedoch in der Wiederkehr ewig.

Nachdem wir so das Problem des Wie ausgeschaltet haben, steht vor uns die Frage nach dem Warum. Warum sollte diese Möglichkeit eines Spiels von Bewegung der Kraft überhaupt aktuell werden? Warum sollte die Kraft des Seins nicht ewig in sich selbst konzentriert bleiben, unendlich, frei von aller Variation und Gestaltung? Auch diese Frage stellt sich uns nicht, wenn wir annehmen, das Sein sei nicht-bewußt, die Bewußtheit sei nur eine Entfaltung materieller Energie, die wir irrtümlich für immateriell halten. Dann könnten wir einfach sagen, dieser Rhythmus sei die Art von Kraft im Sein, und es bestehe absolut kein Grund dafür, nach einem Warum zu suchen, nach einer Ursache, einem ursprünglichen Motiv oder einem letzten Zweck für das, was seiner Natur nach ewig selbst-seiend ist. Wir können diese Frage nicht an das ewige Selbst-Sein richten und es darüber ausforschen, warum es existiert oder wie es ins Dasein gekommen ist. Ebensowenig können wir die Selbst-Kraft des Seins und die ihr eingeborene Natur des Impulses über die Bewegung befragen. Erforschen können wir also nur ihre Art der Selbst-Manifestation, ihre Prinzipien von Bewegung und Gestaltung, ihren Evolutionsprozeß. Da beide, das Sein und die Kraft, träge sind, dumpf in Zustand und Impuls, beide unbewußt und unintelligent, kann es keinen Zweck, kein letztes Ziel in der Evolution, keine ursprüngliche Ursache oder Absicht geben.

Wenn wir aber vermuten oder entdecken, das Sein sei bewußtes Wesen, stellt sich uns das Problem. Wir können tatsächlich ein bewußtes Wesen annehmen, das untergeordnet ist seiner Natur von Kraft, von der es beherrscht wird, und darum keine Wahl hat, sich im Universum zu manifestieren oder nicht. Von solcher Art ist der kosmische Gott der Tantriker und Mayavadins, der shakti oder maya untertan ist. Purusha ist in maya involviert oder von shakti kontrolliert. Offensichtlich ist aber ein solcher Gott nicht das höchste unendliche Sein, von dem wir ausgegangen sind. Er ist zugegebenermaßen nur eine Gestalt von brahman im Kosmos, brahman geht logischerweise shakti und maya zeitlich voraus, die brahman wieder in sein transzendentes Wesen zurücknimmt, wenn sie von ihrem Wirken zurücktreten. Bei einem bewußten Sein, das absolut ist, unabhängig von seinen Gestaltungen, nicht determiniert durch sein Wirken, müssen wir die eingeborene Freiheit voraussetzen, die Potentialität von Bewegung zu manifestieren oder nicht zu manifestieren. Ein von prakriti beherrschtes brahman ist nicht brahman, sondern ein träges Unendliches, das in sich einen aktiven Inhalt besitzt, der machtvoller ist als das Beinhaltende, ein bewußter Träger von Kraft, dessen Kraft sein Gebieter ist. Wenn wir sagen, brahman sei von sich selbst als Kraft, also von seiner eigenen Natur, beherrscht, werden wir Widerspruch und Ausflucht unseres ersten Postulats nicht los. Wir müßten zu einem Sein zurückgehen, das in Wirklichkeit nichts anderes wäre als Kraft: Kraft in Ruhe oder in Bewegung, vielleicht eine absolute Kraft, aber kein absolutes Sein.

Wir müssen also die Beziehung zwischen Kraft und Bewußtsein erforschen. Was verstehen wir aber unter letzterem Begriff? Gewöhnlich verstehen wir darunter die uns nächstliegende Vorstellung von einem wachen mentalen Bewußtsein, wie es der Mensch während des größeren Teils seines körperlichen Daseins besitzt, wenn er nicht schläft, betäubt oder sonstwie seiner physischen und äußeren Empfindungen beraubt ist. Bei einer solchen Auffassung ist deutlich genug in der Ordnung des materiellen Daseins Bewußtsein die Ausnahme und nicht die Regel. Selbst wir Menschen besitzen es nicht ständig. Aber diese gewöhnliche oberflächliche Auffassung der Eigenart des Bewußtseins muß nun, wenn sie auch immer noch unser gewöhnliches Denken und unsere Gedankenverbindungen färbt, definitiv aus dem philosophischen Denken verschwinden. Wir wissen, daß es in uns etwas gibt, das auch dann bewußt bleibt, wenn wir schlafen, betäubt sind, unter der Wirkung von Drogen stehen oder in Ohnmacht liegen, also in allen scheinbar unbewußten Zuständen unseres physischen Wesens. Aber nicht nur das; vielmehr können wir jetzt sicher sein, daß die Denker des Altertums Recht hatten, wenn sie erklärten, auch in unserem Wachzustand selbst sei das, was wir unser Bewußtsein nennen, nur eine kleine Auswahl aus unserem ganzen bewußten Wesen. Es ist eine Oberflächenerscheinung, nicht einmal das Ganze unseres Mentalbereiches. Hinter ihm liegt, viel umfassender als es, ein subliminales oder unterbewußtes Mental, das der größere Teil unserer selbst ist und Höhen und Tiefen enthält, die noch kein Mensch je gemessen oder ausgelotet hat. Diese Erkenntnis verschafft uns den Ausgangspunkt für eine wahre Wissenschaft von der Kraft und ihren Wirkensweisen. Sie befreit uns endgültig von Einschränkung durch das Materielle und der Illusion des Handgreiflichen. Der Materialismus besteht freilich darauf, daß jede mögliche Ausweitung des Bewußtseins ein materielles Phänomen und von unseren physischen Organen unabtrennbar sei. Nicht das Bewußtsein verfüge über sie, es sei ihr Erzeugnis. Gegen die Flut wachsender Erkenntnis kann diese orthodoxe Behauptung aber ihr Feld nicht länger verteidigen. Ihre Erklärungen werden immer unzureichender und verkrampfter. Es wird immer klarer, daß die Leistungsfähigkeit unseres totalen Bewußtseins nicht nur bei weitem über unsere Organe, die Sinne, die Nerven, das Gehirn hinausgeht, sondern daß selbst für unser gewöhnliches Denken und Bewußtsein diese Organe nur deren gewohnheitsmäßige Werkzeuge, nicht ihre Erzeuger sind. Das Bewußtsein verwendet das Gehirn, das sein Drängen nach höherer Entwicklung hervorgebracht hat. Nicht das Gehirn hat das Bewußtsein produziert, noch verwendet es dieses. Es gibt sogar abnorme Vorkommnisse, die beweisen, daß unsere Organe nicht völlig unentbehrliche Instrumente sind. Der Herzschlag ist für das Leben ebensowenig absolut notwendig wie das Atmen, auch die organisierten Gehirnzellen sind es nicht für das Denken. Unser physischer Organismus verursacht oder erklärt Denken und Bewußtsein ebensowenig wie die Konstruktion einer Maschine die Antriebskraft des Dampfes oder der Elektrizität verursacht oder erklärt. Die Kraft ist das Primäre, nicht das physische Instrument.

Folgenschwere logische Konsequenzen ergeben sich hieraus. An erster Stelle dürfen wir fragen: Könnte nicht – da selbst dort mentales Bewußtsein existiert, wo wir nur Unbelebtheit und Trägheit sehen – auch in materiellen Objekten ein universales unterbewußtes Mental vorhanden sein, obwohl es nicht handeln und sich aus Mangel an Organen seinem äußeren Wesen nicht mitteilen kann? Ist der materielle Zustand eine Leere an Bewußtsein, ist er nicht vielmehr ein Schlaf des Bewußtseins, unter dem Gesichtspunkt der Evolution vielleicht ein ursprünglicher Schlaf und nicht der eines Zwischenzustandes? Belehrt durch das menschliche Beispiel, verstehen wir ja unter Schlaf nicht Suspendierung des Bewußtseins, sondern daß dieses nach innen gesammelt ist und sich von der bewußten physischen Reaktion auf die Einwirkungen äußerer Dinge zurückgezogen hat. Ist das nicht gerade der Zustand alles Daseins, das noch keine Mittel für Kommunikation mit der äußeren physischen Welt entwickelt hat? Gibt es nicht eine Bewußte Seele, purusha, die ewig wacht gerade in allem, das schläft?

Wir können noch weitergehen. Wir sollten, wenn wir vom unterbewußten Mental sprechen, mit diesem Ausdruck etwas meinen, das von der äußeren Mentalität nicht verschieden ist, sondern nur unter der Oberfläche wirkt, dem wachen Menschen unbekannt in diesem Sinne, außer wenn er tiefer hinabdringt und einen weiteren Horizont gewinnt. Aber die Phänomene des subliminalen Selbsts gehen weit über die Grenzen einer solchen Definition hinaus. Es umschließt ein Wirken, das an Leistungsfähigkeit dem, was wir als die Mentalität unseres wachen Selbsts erkennen, nicht nur unermeßlich überlegen, sondern auch der Art nach völlig verschieden ist. Wir haben darum ein Recht zu der Vermutung, es gibt in uns ein Überbewußtes ebenso wie ein Unterbewußtes, einen Bereich bewußter Fähigkeiten und entsprechend eine Organisation von Bewußtsein, die sich weit über jene psychische Schicht erhebt, der wir den Namen Mentalität geben. Kann aber dieses subliminale Selbst in uns, das sich über den Mentalbereich empor in das Überbewußte erhebt, nicht auch in das Unterbewußte unterhalb des Mentals hinabreichen? Gibt es in uns und in der Welt nicht Bewußtseinsformen, die submental sind und denen wir die Bezeichnung vitales und physisches Bewußtsein geben könnten? Wenn das so ist, müssen wir auch in der Pflanze und im Metall eine Kraft annehmen, die wir Bewußtsein nennen können, obwohl sie nicht die Mentalität von Mensch oder Tier ist, der wir bisher das Monopol dieser Bezeichnung vorbehalten hatten.

Das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern gewiß, wenn wir die Dinge objektiv betrachten. Es gibt in uns solch ein vitales Bewußtsein, das in den Zellen des Körpers und in den automatischen Funktionen so wirkt, daß wir sinnvolle Bewegungen ausüben und Anziehungen und Abstoßungen gehorchen, denen unser Mental fremd gegenübersteht. Bei Tieren ist dieses vitale Bewußtsein ein noch wichtigerer Faktor. In Pflanzen nehmen wir es intuitiv wahr. Das suchende Sich-Ausstrecken und Sich-Zusammenziehen der Pflanze, ihre Lust und ihr Schmerz, ihr Schlaf und ihr Wachsein und all jenes geheimnisvolle Leben, dessen Wirklichkeit ein indischer Forscher durch streng wissenschaftliche Methoden ans Licht gebracht hat, sind alles Bewegungen von Bewußtsein, jedoch nicht, soweit wir sehen können, von Mentalität. Es gibt also ein Untermentales, ein vitales Bewußtsein, das genau dieselben anfänglichen Reaktionen hat wie das mentale, jedoch in der Konstitution seiner Selbst-Erfahrung vom mentalen Wesen ebenso verschieden ist wie das Überbewußte in der Konstitution seiner Selbst-Erfahrung von ihm.

Hört der Bereich dessen, was wir Bewußtsein nennen können, bei der Pflanze, bei dem auf, worin wir das Dasein eines unter-animalischen Lebens erkennen? Wäre das so, müßten wir eine Kraft des Lebens und des Bewußtseins voraussetzen, die ursprünglich der Materie fremd war, trotzdem – vielleicht aus einer anderen Welt - in sie eindrang und von ihr Besitz ergriff. Woher kann sie sonst gekommen sein?1 Die Denker des Altertums glaubten an die Existenz solch anderer Welten, die vielleicht Leben und Bewußtsein unserer Welt fördern und erhalten oder es sogar durch ihren Druck hervorrufen, es aber nicht dadurch erschaffen, daß sie selbst in diese Welt eintreten. Nichts kann sich aus der Materie entwickeln, das nicht bereits in ihr enthalten ist.

Es gibt aber keinen Grund zu der Annahme, die ganze Skala von Leben und Bewußtsein breche ab und mache vor dem Halt, was uns als rein materiell erscheint. Die Entwicklung neueren Forschens und Denkens scheint auf etwas wie einen dunklen Anfang von Leben und vielleicht auch auf eine Art von stumpfem oder unterdrücktem Bewußtsein im Metall, in den Erden und in anderen “unbelebten” Gestaltungen hinzuweisen, oder es könnte dort zumindest der Urstoff von dem, was in uns zum Bewußtsein wird, vorhanden sein. Doch ist ein Bewußtsein der Materie, der trägen Form, für uns tatsächlich schwer zu verstehen oder vorstellbar, während wir in der Pflanze das, was ich vitales Bewußtsein nannte, dunkel erkennen und begreifen können. So nehmen wir uns das Recht heraus, das, was wir für unser Verstehen und unsere Vorstellung zu schwierig finden, einfach zu bestreiten. Trotzdem wird, wenn man Bewußtsein weit genug bis in die Tiefen verfolgt, nicht glaubhaft, daß da plötzlich in der Natur eine solche Kluft sein sollte. Unser Denken hat ein Recht, auch dort eine Einheit anzunehmen, wo jene Einheit, die bei allen anderen Klassen von Phänomenen anerkannt wird, bei einer bestimmten Klasse zwar nicht bestritten wird, jedoch viel verborgener ist als in den anderen. Wenn wir annehmen, daß es in der Einheit keinen Bruch gibt, gelangen wir zum Dasein von Bewußtsein in allen Formen von Kraft, wo immer sie auch in der Welt am Werk ist. Selbst wenn es keinen bewußten oder überbewußten purusha geben sollte, der allen Formen innewohnt, gibt es doch in jenen Formen eine bewußte Kraft des Seienden, an der selbst ihre äußeren Teile aktiv oder passiv teilnehmen.

Bei einer solchen Anschauung verändert natürlich das Wort Bewußtsein seine Bedeutung. Es ist nicht mehr synonym mit Mentalität, sondern es bezeichnet eine ihrer selbst innegewordene Kraft des Seins, für die Mentalität nur ein Mittelbegriff ihrer vollen Entfaltung ist. Unterhalb der Mentalität sinkt das Bewußtsein in vitale und materielle Bewegungen hinab, die für uns unterbewußt sind. Oberhalb davon steigt es in das supramentale Bewußtsein empor, das für uns das Überbewußte ist. In allem ist es aber ein und dieselbe Sache, die sich in verschiedener Weise organisiert. Das ist wieder die indische Auffassung von chit, das als Energie die Welten erschafft. Im wesentlichen kommen wir so zu jener Einheit, die die materialistische Naturwissenschaft vom anderen Ende her wahrnimmt, wenn sie behauptet, das Mental könne keine andere Kraft sein als Materie, vielmehr allein Entfaltung und Ergebnis materieller Energie. Wo das Denken in Indien seine größte Tiefe erreicht hat, versichert es seinerseits, Mental und Materie sind in Wahrheit nur verschiedene Grade derselben Energie, verschiedene Organisationen einer einzigen bewußten Kraft des Seins.

Was für ein Recht haben wir aber zu der Annahme, Bewußtsein sei die zutreffende Beschreibung dieser Kraft? Bewußtsein setzt doch irgendwie Intelligenz, Zielbewußtsein, Selbsterkenntnis voraus, auch wenn diese nicht die Formen annehmen sollten, an die unsere Mentalität gewöhnt ist. Selbst von diesem Gesichtspunkt aus unterstützt alles eher die Idee einer universalen Bewußten Kraft, als daß es ihr widerspricht. Wir sehen zum Beispiel im Tier Betätigungen vollkommenen Zielbewußtseins und eines exakten, eigentlich wissenschaftlich genauen Wissens, die beide völlig jenseits der Fähigkeiten des Tier-Mentals liegen. Der Mensch kann diese nur durch lange Ausbildung und Erziehung erwerben, und selbst dann verwendet er sie viel weniger sicher und rasch. Wir sind berechtigt, in dieser allgemeinen Tatsache den Beweis für eine bewußte Kraft im Tier und im Insekt am Werk zu sehen, die intelligenter, zweckbewußter, klarer über ihre Absicht, ihre Ziele, Mittel und Bedingungen ist als die höchste Mentalität, die bisher auf Erden in individueller Form sichtbar hervorgetreten ist. Bei den Vorgängen in der unbelebten Natur finden wir dasselbe alles durchdringende charakteristische Anzeichen einer verborgenen höchsten Intelligenz: “Sie ist verborgen in den Verfahrensweisen ihres eigenen Wirkens.”

Das einzige Argument gegen eine bewußte, intelligente Ursache für dieses zweckbestimmte Wirken, für diese Betätigung von Intelligenz, von Auswahl, Anpassung und suchendem Tasten ist jenes weitverbreitete Element in den Abläufen der Natur, dem wir den Namen Verschwendung geben. Offensichtlich gründet sich aber dieser Einwand auf die Begrenztheit des menschlichen Intellekts, der den allgemeinen Verfahren der Welt-Kraft seine ihm eigene, besondere Rationalität aufzudrängen sucht, die gut genug ist für beschränkte menschliche Ziele. Sehen wir doch nur einen Teil vom Zweck und Ziel der Natur und nennen alles, was diesem Ausschnitt nicht förderlich ist, Verschwendung. Aber selbst unser eigenes menschliches Handeln ist voll von scheinbarer Vergeudung, die zwar vom individuellen Gesichtspunkt aus als solche erscheint, die aber, dessen können wir sicher sein, sehr wohl den weiten universalen Zweck der Dinge fördert. Jenen Teil ihrer Absicht, den wir überschauen können, bekommt die Natur ganz gewiß erfüllt trotz, vielleicht sogar tatsächlich mit Hilfe ihrer scheinbaren Verschwendung. Darum dürfen wir ihr auch voll für das übrige, das wir noch nicht überschauen können, vertrauen.

Alles in allem kann man unmöglich die Antriebskraft einer starken Zweckmäßigkeit, die Führung durch eine scheinbar blinde Tendenz und die Tatsache übersehen, daß die Weltkraft zuletzt oder auch unmittelbar das anvisierte Ziel trifft, das für ihre Wirkensweisen in Tier, Pflanze und unbelebten Dingen charakteristisch ist. Solange für das wissenschaftliche Denken die Materie Alpha und Omega gewesen ist, war es ehrlicher Zweifel, wenn man sich scheute zuzugeben, daß Intelligenz die Mutter von Intelligenz sein könne. Jetzt ist es nur noch ein fadenscheiniges Paradoxon zu behaupten, das Bewußtsein des Menschen, seine Intelligenz und Meisterschaft könne aus einem unintelligenten, blind antreibenden Nicht-Bewußtsein kommen, in dem keine Form oder Substanz von diesen vorher existiert. Das Bewußtsein des Menschen kann nichts anderes sein als eine Erscheinungsform des Bewußtseins der Natur. Es ist in anderen Formen unterhalb des Mentals involviert. Es tritt im Mental hervor. Es wird sich in noch höhere Formen jenseits des Mentals erheben. Denn die Kraft, die die Welten baut, ist eine Bewußte Kraft. Das Sein, das sich in ihnen manifestiert, ist ein Bewußtes Wesen. Ein vollkommenes Hervortreten all ihrer Potentialitäten in Gestaltung ist das einzige Ziel, das wir vernunftgemäß für die Manifestation der Bewußten Kraft in dieser Welt der Formen begreifen können.

 

1 Gegenwärtig ist die merkwürdige Spekulation verbreitet, das Leben auf der Erde sei nicht aus einer anderen Welt, sondern von einem anderen Planeten gekommen. Für unser Denken würde das nichts erklären. Die wesentliche Frage ist: Wie kommt Leben überhaupt in die Materie? und nicht: Wie ist es in die Materie eines bestimmten Planeten gekommen?

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