Sri Aurobindo
Das Göttliche Leben
Buch 1
Kapitel XXII. Das Problem des Lebens
Das ist es, was das
Universale Leben genannt wird.
Taittiriya Upanishad, II.3.
Der Herr hat seinen Sitz im Herzen aller Wesen und dreht alle Wesen durch seine maya, als seien sie auf einer Maschine montiert.
Gita, XVIII.61.
Wer die Wahrheit kennt, das Wissen, die Unendlichkeit, die brahman ist, wird mit dem all-weisen brahman alle begehrenswerten Dinge genießen.
Taittiriya Upanishad, II.1.
Leben ist, wie wir gesehen haben, das Hervortreten einer Bewußten Kraft – unter gewissen kosmischen Bedingungen –, die ihrer Veranlagung nach unendlich, absolut, unbehindert und unveränderlich im Besitz ihrer eigenen Einheit und Seligkeit ist: der Bewußten Kraft von saccidananda. Die zentrale Eigentümlichkeit dieses kosmischen Prozesses besteht in der Fähigkeit des durch die Unwissenheit verfinsterten Mentals zum Zerteilen. Dadurch unterscheidet es sich in seinen Erscheinungsformen von der Reinheit des unendlichen Seins und vom Selbst-Besitz der unzerteilten Energie. Folge dieses zerteilten Wirkens einer ungeteilten Energie ist das Auftreten von Dualitäten, von Gegensätzlichkeiten, die scheinbar das Wesen von saccidananda verleugnen. Für das Mental existieren sie zwar als bleibende Wirklichkeit. Für das göttliche kosmische Bewußtsein aber, das hinter dem Schleier des Mentals verborgen ist, sind sie nur ein Phänomen, das eine vielfältige Wirklichkeit falsch darstellt. Darum erscheint die Welt als Zusammenprall entgegengesetzter Wahrheiten, von denen jede sich voll durchzusetzen sucht und auch das Recht auf Erfüllung hat. Sie erscheint als Masse von Problemen und Mysterien, die gelöst werden müssen, da hinter dieser Verwirrung die verborgene Wahrheit und Einheit steht, die auf Lösung und durch die Lösung auf ihre unverhüllte Manifestation in der Welt drängt.
Die Lösung muß vom Mental gesucht werden, aber nicht
von ihm allein. Es muß eine Lösung im Leben sein, im Handeln des Menschen ebenso wie im Bewußtsein des Menschen. Bewußtsein hat als Kraft die
Welt-Bewegung und ihre Probleme geschaffen. Bewußtsein als Kraft muß die von ihr
geschaffenen Probleme lösen und die Welt-Bewegung zur unvermeidlichen Erfüllung
ihres geheimen Sinnes und der in der Evolution hervortretenden Wahrheit bringen.
Das Leben hat aber nacheinander drei Erscheinungsformen angenommen. Die erste
ist materiell: Ein versunkenes Bewußtsein ist in seiner nur an der Oberfläche
ausdrucksfähigen Aktivität und in seinen repräsentativen Formen von Kraft
verborgen; denn das Bewußtsein selbst verschwindet im Akt aus der Sicht und geht
in der Form verloren. Die zweite Erscheinung ist vital: Ein hervortretendes
Bewußtsein ist als Lebens-Macht, als Wachstums-Prozeß, als Aktivität und als
Verfall der Form halb-sichtbar; es ist aus seinem ursprünglichen Gefangensein
halb-befreit; es vibriert in Macht als vitale Begierde, als Befriedigung oder
Ablehnung, aber es vibriert anfänglich noch gar nicht und dann nur unvollkommen
im Licht der Erkenntnis seines eigenen Selbst-Seins und seiner Umgebung. Die
dritte Erscheinung ist mental: Ein hervorgetretenes Bewußtsein reflektiert das
Lebens-Faktum als mentaler Sinn, reagierende Wahrnehmung und Idee. Zugleich
versucht es als neue Idee, zum Lebens-Faktum zu werden, das innere Dasein des
Menschen und entsprechend auch die äußere Existenz umzugestalten. Hier, im
Mental, wird das Bewußtsein im Wirken und in der Form seiner Kraft aus seiner
Gefangenschaft befreit. Es ist aber noch nicht Herr über Wirken und Form, da es
als individuelles Bewußtsein hervortrat und darum nur eine fragmentarische
Bewegung seiner Gesamtaktivität wahrnimmt.
Hier liegt alle Schwierigkeit des menschlichen Lebens.
Der Mensch ist das mentale Wesen, das mentale Bewußtsein, das als mentale Kraft
wirkt. In etwa ist er auch der allumfassenden Kraft und des allumfassenden
Lebens bewußt, deren Teil er ist. Er ist aber doch unfähig, mit dem Leben im
allgemeinen oder mit seinem eigenen Leben in einer wahrhaft wirksamen und
überlegenen meisterschaftlichen Art umzugehen, weil er keine Erkenntnis seiner
Universalität und nicht einmal seines gesamten Wesens hat. Er versucht, die
Materie zu erkennen, um die materielle Umgebung zu meistern. Er will das Leben
erkennen, um Herr über das vitale Dasein zu sein. Er strebt nach der Erkenntnis
des Mentals, um die große dunkle Bewegung von Mentalität zu beherrschen, in der
er nicht nur ein Licht-Strahl an Selbst-Bewußtsein ist wie das Tier, sondern
mehr und mehr Flamme wachsender Erkenntnis. So sucht er,
sich selbst zu erkennen, um Herr über sich selbst zu werden. So sucht er die
Welt zu erkennen, um zum Herrn der Welt zu werden. Das ist das Drängen des Seins
in ihm, der Zwang des Bewußtseins, das er selbst ist. Das ist der Impuls der
Kraft, die sein Leben ist, und der geheime Wille von saccidananda, der
als das Individuum in einer Welt erscheint, in dem Er Sich zum Ausdruck bringt
und doch zu verleugnen scheint. Die Bedingungen zu entdecken, unter denen dieses
innere Drängen zufriedengestellt werden kann, ist das Problem, um dessen Lösung
der Mensch stets ringen muß. Dazu ist er durch die wahre Natur seines eigenen
Seins und durch die Gottheit gezwungen, die in ihm ihren Sitz hat. Bevor das
Problem gelöst und jenes Drängen befriedigt ist, kann die Menschheit nicht von
ihrem Mühen ausruhen. Entweder muß der Mensch sich selbst zur Erfüllung bringen,
indem er dem Göttlichen Wesen in seinem Inneren voll Genüge tut, oder er muß aus
sich ein neues, größeres Wesen erschaffen, das fähiger ist, dem Göttlichen zu
entsprechen. Er muß entweder selbst göttlicher Mensch werden, oder er muß dem
Übermenschen weichen.
Das ergibt sich aus der eigentlichen Logik der Dinge.
Da das mentale Bewußtsein des Menschen nicht das vollständig erleuchtete
Bewußtsein ist, das aus der Verfinsterung der Materie gänzlich hervortrat,
sondern nur ein Begriff fortschreitender Entwicklung im großen Prozeß seines
Hervortretens, kann die Linie evolutionärer Schöpfung, auf der der Mensch
erschien, nicht dort aufhören, wo er jetzt steht. Sie muß entweder über ihren
jetzigen Begriff in ihm oder über ihn selbst hinausgehen, wenn er nicht die
Kraft hat, vorwärtszugehen. Eine mentale Idee, die eine Lebens-Tatsache zu
werden versucht, muß sich so lange weiterentfalten, bis sie zur ganzen Wahrheit
des Daseins wird, bis sie sich aus ihren aufeinanderfolgenden Verhüllungen
befreit, offenbart und fortschreitend im Licht und ebenso auch voller Freude in
der Macht des Bewußtseins zur Erfüllung gebracht hat. Denn in diesen beiden
Begriffen von Macht und Licht und durch sie offenbart das Sein sich selbst, da
es seiner Natur nach Bewußtsein und Kraft ist. Der dritte Begriff aber, in dem
sich diese beiden als die ihn konstituierenden treffen, einen und endgültig zur
vollen Erfüllung bringen, ist eine erfüllte Seligkeit des Selbst-Seins. Für ein
sich entwickelndes Leben wie das unsrige muß dieser unvermeidliche Höhepunkt
notwendig bedeuten, daß wir das Selbst finden, das schon im Keim vorhanden war,
als es in die Geburt eintrat. Wenn wir dieses Selbst finden, können wir
vollständig ausarbeiten, was in der Bewegung der
Bewußten Kraft, aus der dieses Leben entsprungen ist, potentiell enthalten war.
Die so in unserem menschlichen Dasein enthaltene Fülle von Möglichkeiten ist
saccidananda, Er, der Sich in einer gewissen Harmonie und Einung von
individuellem und universalem Leben erkennt, so daß die Menschheit im
gemeinsamen Bewußtsein, in gemeinsamer Bewegung von Macht und gemeinsamer
Seligkeit Jenes Transzendente zur Erscheinung bringen kann, das sich in diese
Form der Dinge ausgeprägt hat.
Der Charakter alles Lebens hängt vom fundamentalen
Gleichgewicht der Kräfte seines konstitutiven Bewußtseins ab. So wie das
Bewußtsein ist, so wird die Kraft sein. Wo das Bewußtsein unendlich ist, eines
seinen Wirkensweisen und Formen gegenüber auch dann transzendent, wenn es sie
umfaßt und gestaltet, organisiert und durchführt, wie das im Bewußtsein von
saccidananda der Fall ist, wird die Kraft ebenso sein: unendlich in ihrer
Wirkens-Weite, einig in ihren Werken, transzendent in ihrer Macht und ihrem
Selbst-Wissen. Wo das Bewußtsein dem der materiellen Natur gleicht, in die Tiefe
eingesunken, seiner selbst vergessend, dahintreibend in der Strömung seiner
eigenen Kraft, scheinbar ohne diese zu kennen, obwohl es doch durch die Eigenart
der ewigen Beziehung zwischen den beiden Begriffen in Wirklichkeit die Strömung,
die die Natur treibt, bestimmt, da wird die Kraft ebenso sein: eine ungeheure
Bewegung des Trägen und Unbewußten, die nicht dessen gewahr ist, was sie in sich
enthält, die sich selbst mechanisch durch eine Art unergründlichen Zufalls oder
durch eine unvermeidlich gut auslaufende Unberechenbarkeit zur Erfüllung bringt,
während sie in Wirklichkeit ohne Irrtum dem Gesetz von Recht und Wahrheit
gehorcht, das für sie durch den Willen des in ihren Abläufen verborgenen
erhabenen Bewußten Wesens festgelegt ist. Wo das Bewußtsein, wie im Mental, in
sich zerteilt ist, sich in verschiedene Zentren begrenzt und jedes von ihnen
dafür einsetzt, sich selbst zu verwirklichen, ohne zu wissen, was in anderen
Zentren ist, ohne seine Beziehung zu anderen zu erkennen, gewahr der Dinge und
Kräfte nur in ihrer scheinbaren Zerteilung und Gegensätzlichkeit, nicht aber in
ihrer wirklichen Einheit – da wird die Kraft Leben sein, wie wir es sind und um
uns sehen: ein Zusammenprall und eine Verflochtenheit individueller Leben, von
denen jedes die eigene Erfüllung sucht, ohne seine Beziehung zu anderen zu
kennen, ein Konflikt und eine schwierige Anpassung zerteilter, gegensätzlicher
oder unterschiedlicher Kräfte, und in den Mentalfunktionen eine Mischung, ein Zusammenstoß, ein Ringen, eine unsichere Kombination getrennter,
opponierender und auseinanderstrebender Ideen, die nicht zur Erkenntnis ihrer
gegenseitigen Notwendigkeit kommen, die nicht ihren Platz als Elemente jener
dahinterstehenden Einheit begreifen können, die sich in ihnen ausdrückt und in
der ihre Disharmonien aufhören müssen. Wo aber das Bewußtsein beides, die
Unterschiedlichkeit und die Einheit, in seinem Besitz hält und wo letztere die
erste in sich enthält und regiert, wo es Gesetz, Wahrheit und Recht der Allheit
zusammen mit Gesetz, Wahrheit und Recht des Einzelnen gewahrt, wo die beiden
bewußt in gegenseitiger Einheit harmonisiert werden, wo also die ganze Art des
Bewußtseins das Eine ist, das sich als die Vielen erkennt, und die Vielen, die
sich als das Eine wissen, – da ist die Kraft auch von der gleichen Art: ein
Leben, das bewußt dem Gesetz der Einheit gehorcht und doch jedes Ding in seiner
Unterschiedlichkeit, im Einklang mit seinem eigenen Gesetz und seiner Funktion
voll entfaltet. In einem solchen Leben werden alle Individuen zugleich in sich
selbst und ineinander leben als ein einziges bewußtes Wesen in vielen Seelen,
die eine Macht von Bewußtsein im Mental vieler Menschen, die eine Freude von
Kraft in vielen Leben wirkend, die eine Wirklichkeit vollkommener Freude, die
sich in vielen Herzen und Körpern vollendet.
Die erste dieser vier Positionen, Ursprung aller
fortschreitenden Beziehung zwischen Bewußtsein und Kraft, ist ihr
Kräfteausgleich im Wesen von saccidananda. Dort sind sie eins. Dort ist
die Kraft Bewußtsein des Wesens, das sich aktiv auswirkt, ohne je aufzuhören,
Bewußtsein zu sein. Dort ist das Bewußtsein in ähnlicher Weise erleuchtete Kraft
des Wesens, die stets ihrer selbst und ihrer Seligkeit gewahr ist, ohne je
aufzuhören, diese Macht strahlenden Lichts und Selbst-Besitzes zu sein. Die
zweite Beziehung ist die der materiellen Natur. Das ist der Kräfteausgleich des
Wesens im materiellen Universum, das die große Verneinung von saccidananda
durch Ihn Selbst ist: Hier ist scheinbar die äußerste Absonderung der Kraft vom
Bewußtsein, das erstaunliche Wunder des allherrschenden unfehlbaren Unbewußten,
das nur die Maske der kosmischen Gottheit ist, die aber von der modernen
Wissenschaft als ihr wirkliches Antlitz mißdeutet wurde. Die dritte Beziehung
ist der Kräfteausgleich des Wesens in Mental und Leben, die wir, völlig
verwirrt, aus dieser Verneinung emporkommen sehen. Sie ist Kampf – ohne jede
Möglichkeit seiner Beendigung durch Unterwerfung und ohne jede klare Erkenntnis
oder den deutlichen Instinkt für eine siegreiche Lösung
- gegen die abertausend Probleme, die verknüpft sind in dieser verblüffenden
Erscheinung des Menschen, der nur halb-mächtig als bewußtes Wesen aus dem
allmächtigen Unbewußten des materiellen Universums hervortritt. Die vierte
Beziehung ist der Kräfteausgleich des Wesens im Supramental: es ist das zur
Vollendung gebrachte Sein, das schließlich dieses ganze komplexe Problem lösen
wird, das durch die aus der totalen Verneinung hervortretende partielle Bejahung
geschaffen wurde. Das Supramental löst es notwendigerweise auf die einzig
mögliche Art durch vollständige Bejahung. Es muß all das zur Erfüllung bringen,
was dort insgeheim als Potenz enthalten und in der Tatsache der Evolution hinter
der Maske der großen Verneinung beabsichtigt war. Das ist das wirkliche Leben
des wirklichen Menschen. Um es ringt dieses partielle Leben, zu ihm strebt
dieses partielle unerfüllte Menschsein empor. Es besitzt in unserem sogenannten
Unbewußten ein vollkommenes Wissen und eine Führung, doch gibt es in unseren
bewußten Schichten nur ein undeutliches und mühevolles Vorausahnen, Fragmente
einer Realisation, flüchtige Einblicke in das ideal, ein Aufblitzen von
Offenbarung und Inspiration im Dichter und Propheten, im Seher und in dem vom
Transzendenten Erleuchteten, im Mystiker und Denker, in den großen Intelligenzen
und Seelen der Menschheit.
Aus den Tatsachen, die wir jetzt vor Augen haben,
können wir entnehmen, daß aus dem unvollkommenen Ausgleich zwischen Bewußtsein
und Kraft im Menschen in dessen gegenwärtigem Zustand von Mental und Leben
hauptsächlich drei Schwierigkeiten entstehen. Erstens nimmt er nur einen kleinen
Teil seines eigenen Wesens wahr. Alles, was er kennt, ist die Oberfläche seiner
Mentalität, seines Lebens und seines physischen Wesens, und selbst davon kennt
er nicht alles. Unter ihr ist das geheimnisvolle Aufwallen seines unterbewußten
und subliminalen Mentals, seines unterbewußten und subliminalen Lebens-Impulses
und seiner unterbewußten Körperlichkeit, jener große Teil von ihm, den er nicht
kennt und nicht beherrschen kann, der vielmehr ihn erkennt und beherrscht. Da
Sein, Bewußtsein und Kraft eine Einheit sind, können wir wirkliche Macht nur
über jenen Teil unseres Daseins ausüben, mit dem wir durch Selbst-Innesein
identisch sind. Das übrige muß von seinem eigenen Bewußtsein regiert werden, das
für Mental, Leben und Körper unserer Außenseite subliminal ist. Da aber die
beiden eine einzige und nicht zwei getrennte Bewegungen sind, muß in der Masse
der unbedeutenderen und weniger machtvollen Abläufe unser größerer und machtvollerer Teil regieren und bestimmen. Deshalb werden wir, auch in
unserem bewußten Dasein, vom Unterbewußten und Subliminalen regiert und sind
auch bei unserer eigentlichen Selbst-Bemeisterung und Selbst-Lenkung nur
Instrumente dessen, was uns das Unbewußte in unserem Innern zu sein scheint.
Das meinte die alte Weisheit, wenn sie sagt, der Mensch bilde sich ein, er selbst tue sein Werk durch seinen freien Willen. In Wirklichkeit bestimmt aber die Natur all sein Wirken, und selbst die Weisen sind gezwungen, ihrer Natur zu folgen. Da aber Natur die schöpferische Bewußtseinskraft des Wesens in uns ist, das die Maske Seiner eigenen umgekehrten Bewegungen und der scheinbaren Verneinung Seiner Selbst angenommen hat, nannten sie diese umgekehrte schöpferische Bewegung Seines Bewußtseins maya oder IIlusions-Macht des Herrn und sagten: Alle Wesen im Dasein werden durch Seine maya wie auf einer Maschine herumgedreht von dem Herrn, der im Herzen alles Seienden Seinen Sitz hat. So ist evident, daß der Mensch nur insoweit er über sein Mental hinauskommt, bis er im Selbst-Innesein mit dem Herrn eins wird, Meister seines eigenen Wesens werden kann. Da das in der Unbewußtheit und in der Unterbewußtheit selbst nicht möglich ist, weil kein Nutzen daraus entstehen kann, daß wir uns in unsere Tiefen zurück bis zum Unbewußten versenken, kann diese Einheit nur dadurch völlig hergestellt werden, daß wir nach innen gehen, wo der Herr wohnt, und emporsteigen in den für uns noch überbewußten Bereich, das Supramental. Dort in der höheren und göttlichen maya ist, seinem Gesetz und seiner Wahrheit nach, das bewußte Wissen dessen, was im Unterbewußten durch die niedere maya unter den Bedingungen jener Verneinung wirkt, die zur Bejahung zu werden versucht. Denn diese niedere Natur führt das Werk aus, das in jener höheren Natur gewollt und gewußt wird. Die IIlusions-Macht des göttlichen Wissens in der Welt, die Erscheinungen erschafft, wird von der Wahrheits-Macht desselben Wissens regiert, das die Wahrheit hinter den Erscheinungen kennt und für uns die Bejahung bereithält, auf die sie hinwirken. Der partielle Mensch äußeren Scheins wird dort den vollkommenen wirklichen Menschen finden, der in der völligen Einung mit jenem Selbst-Seienden, der der allwissende Herr Seiner kosmischen Evolution und seines Vorgehens ist, das völlig seines Selbsts bewußte Wesen werden kann.
Die zweite
Schwierigkeit liegt darin, daß der Mensch in Mental, Leben und Körper vom
Allumfassenden gesondert ist und deshalb ebensowenig oder noch viel weniger als
er sich kennt, seine Mitgeschöpfe zu erkennen vermag. Durch indirekte Schlüsse,
Theorien, Beobachtungen und eine gewisse unvollkommene Fähigkeit zum Mitgefühl
bildet er sich über sie eine ungenaue mentale Konstruktion. Das ist aber keine
Erkenntnis. Nur durch bewußte Identität kann Erkenntnis entstehen, denn nur das
ist das wahre Wissen, – ein seiner selbst innegewordenes Sein. Was wir sind,
erkennen wir nur insofern, als wir bewußt unseres Selbsts innewerden; das übrige
bleibt verborgen. Ebenso können wir nur das wirklich erkennen, mit dem wir in
unserem Bewußtsein eins werden, doch auch nur insofern, als wir mit ihm eins
werden. Wenn die Mittel der Erkenntnis mittelbar und unvollkommen sind, wird
auch das so erlangte Wissen mittelbar und unvollkommen sein. Es wird uns
instandsetzen, in einem bestimmten Grad von Ungenauigkeit – die aber von unserem
mentalen Standpunkt aus noch genau genug ist – gewisse begrenzte praktische
Ziele, notwendige und brauchbare Maßnahmen, eine unvollkommene, instabile
Harmonie in unserer Beziehung zu dem, was wir erkennen, herauszuarbeiten. Wir
können aber nur durch bewußte Einung mit ihm zu einer vollkommenen Beziehung
kommen. Wir müssen also bewußt zum Einssein mit unseren Mitmenschen gelangen,
nicht nur zur Sympathie, die durch Liebe oder das von mentaler Erkenntnis
geschaffene Verstehen erweckt wird; denn das bliebe lediglich Erkenntnis ihres
vordergründigen Daseins und deshalb in sich unvollkommen, bestritten und
enttäuscht durch das Aufwallen des Unbekannten und Unbewältigten aus dem
Unterbewußten oder dem Subliminalen in ihnen und in uns. Bewußtes Einssein kann
nur dadurch Zustandekommen, daß wir in Jenes eingehen, in dem wir mit ihnen eins
sind, in das Allumfassende. Die Fülle des Allumfassenden existiert bewußt aber
nur in dem, was für uns überbewußt ist, im Supramental: In unserem üblichen
Wesen ist dessen größerer Teil unterbewußt. Wir können in diesem normalen
Kräfte-Ausgleich von Mental, Leben und Körper nicht über es verfügen. Die
niedere bewußte Natur wird in all ihren Aktivitäten vom Ich nach unten
gefesselt, dreifach angekettet an den Pfahl der differenzierten Individualität.
Allein das Supramental verfügt über Einheit in Verschiedenheit.
Die dritte Schwierigkeit liegt darin, daß in unserem
evolutionären Dasein Kraft und Bewußtsein voneinander getrennt sind. Da ist
zuerst die Trennung, die durch die Evolution
selbst in ihren drei aufeinanderfolgenden Formationen von Materie, Leben und
Mental geschaffen wurde, von denen jede ihr eigenes Gesetz des Wirkens hat. Das
Leben kämpft gegen den Körper. Es versucht, ihm die Befriedigung der
Lebens-Begehren, der Impulse und Wünsche aufzuzwingen, und verlangt von seiner
begrenzten Fähigkeit, was nur einem unsterblichen, göttlichen Leib möglich wäre.
Der tyrannisierte, versklavte Körper leidet darunter und befindet sich in
ständiger dumpfer Revolte gegen die vom Leben an ihn gestellten Forderungen. Das
Mental ist im Kampf gegen beide: Manchmal hilft es dem Leben gegen den Körper,
manchmal zügelt es den vitalen Drang und sucht die Körperstruktur vor den
Begierden des Lebens, seinen Leidenschaften und übertreibenden Energien zu
schützen. Es versucht auch, sich des Lebens zu bemächtigen und seine Energie für
seine eigenen Zwecke zu verwenden, für ein Höchstmaß an Freude an der mentalen
Aktivität, für die Befriedigung mentaler, ästhetischer und emotionaler Ziele und
ihre Erfüllung im menschlichen Dasein. Auch das Leben hält sich für geknechtet
und mißbraucht. Es rebelliert häufig gegen den ihm vorgesetzten unwissenden,
halbweisen Tyrannen. Das ist der gegenseitige Kampf unserer Bestandteile
gegeneinander, den das Mental nicht wirklich befrieden kann, weil es vor einem
für es unlösbaren Problem steht: vor der Sehnsucht seines unsterblichen Wesens
in einem sterblichen Leben und Leib. Es kann nur zu einer langen
Aufeinanderfolge von Kompromissen oder schließlich dahin gelangen, daß es das
Problem ungelöst läßt: Entweder unterwirft es sich mit dem Materialisten der
Sterblichkeit unseres äußerlich-sichtbaren Wesens, oder es verwirft und
verurteilt mit dem Asketen und religiösen Menschen das irdische Leben und zieht
sich in frohere und leichtere Bereiche des Daseins zurück. Die wahre Lösung
liegt jedoch darin, daß wir das Prinzip jenseits des Mentals finden, dessen
Gesetz Unsterblichkeit ist, und daß wir durch es die Sterblichkeit unseres
Daseins überwinden.
Es gibt aber auch jene fundamentale Spaltung zwischen
der Kraft der Natur und dem bewußten Wesen. Die ist Grundursache dieser
Leistungsunfähigkeit. Es gibt nicht nur eine Trennung zwischen dem mentalen,
vitalen und physischen Wesen, jedes von ihnen ist vielmehr ebenso sich selbst
gegenüber gespalten. Die Leistungsfähigkeit des Körpers ist geringer als die der
instinktiven Seele oder des bewußten Wesens, des physischen purusha in
ihm. Die Leistungsstärke der vitalen Kraft ist
geringer als die der impulsiven Seele, des vitalen bewußten Wesens, des
purusha in ihr. Die Leistungskraft der Energie des Mentals ist geringer als
die der intellektuellen und emotionalen Seele, des mentalen purusha in
ihm. Ist doch die Seele das innere Bewußtsein, das nach seiner eigenen völligen
Selbst-Verwirklichung strebt und deshalb stets umfassender ist als die
individuelle Gestaltung des Augenblicks. Die Kraft, die ihr Gleichgewicht in der
Formation gefunden hat, wird von ihrer Seele stets zu dem gedrängt, was für sie
abnorm und transzendent ist. Ständig vorwärtsgestoßen, ist es für sie sehr
schwierig, dem zu entsprechen und sich von der jetzigen zu höherer
Leistungsfähigkeit zu entwickeln. Wenn die Kraft versucht, die Forderungen der
dreifachen Seele zu erfüllen, wird sie äußerst beunruhigt und dazu getrieben,
Instinkt gegen Instinkt, Impuls gegen Impuls, Emotion gegen Emotion, Idee gegen
Idee zu setzen, diese zu befriedigen und jene zu verwerfen; dann ändert sie
aber, was sie getan hat, voller Reue wieder, um ad infinitum
auszugleichen, zu kompensieren und wieder neu anzupassen, ohne doch zu einem
Prinzip von Einheit zu gelangen. Im Mental wiederum ist die bewußte Macht, die
harmonisieren und vereinigen sollte, nicht nur in ihrer Erkenntnis und ihrem
Willen begrenzt, vielmehr streben Erkenntnis und Wille auseinander und sind oft
miteinander in Disharmonie. Das Prinzip der Einheit steht über allem im
Supramental. Dort allein ist die bewußte Einheit aller Unterschiedlichkeiten.
Dort allein sind Erkenntnis und Wille einander gleich und in vollkommener
Harmonie. Dort allein gelangen Bewußtsein und Kraft zu ihrem göttlichen
Ausgleich. In dem Maße, in dem sich der Mensch in ein des Selbsts bewußtes und
wirklich denkendes Wesen entwickelt, wird er sich deutlich all dieser
Disharmonie und des Zwiespalts in den Schichten seines Wesens bewußt. Er sucht
die Harmonie seines Mentals, Lebens und Körpers, die Harmonie seiner Erkenntnis,
seines Willens und Gefühls aller Glieder seines Wesens. Manchmal hört dieses
Verlangen zu früh auf, wenn er zu einem praktischen Kompromiß gekommen ist, der
ihm relativen Frieden einbringt. Ein Kompromiß kann aber nur ein vorübergehendes
Anhalten auf dem Weg sein, da die Gottheit im Innern schließlich mit nichts
Geringerem zufrieden sein wird als mit vollkommener Harmonie, die in sich die
integrale Entfaltung unserer vielseitigen Potenzen kombiniert. Weniger als das
wäre ein Zurückweichen vor dem Problem, nicht seine Lösung. Oder es wäre nur
eine zeitweilige Lösung, die für die Seele nur eine Rast auf dem Weg ihrer
ständigen Selbst-Ausweitung
und ihres Aufstiegs
bietet. Als wesentliche Begriffe würde eine solche völlige Harmonie die
Vollkommenheit der mentalen Funktionen, des Spiels der vitalen Kraft und der
physischen Existenz erfordern. Wo sollen wir aber im radikal Unvollkommenen das
Prinzip und die Macht der Vollkommenheit finden? Das in der Zerteilung und
Begrenzung verwurzelte Mental kann es uns ebensowenig liefern wie das Leben und
der Körper, die eine Energie und Struktur des zerteilenden und begrenzenden
Mentals sind. Dort sind zwar im Unterbewußten Prinzip und Macht der
Vollkommenheit vorhanden, aber in die Decke oder den Schleier der niederen
maya eingehüllt, und treten nur als stumme Ahnung oder unverwirklichtes
Ideal hervor. Im Überbewußten warten sie offen, ewig verwirklicht, auf uns, sind
aber noch immer durch den Schleier unserer Unkenntnis des Selbsts von uns
getrennt. Wir müssen also oberhalb unseres jetzigen Kräfteausgleichs, weder in
noch unter diesem, nach Macht und Wissen des harmonischen Ausgleichs suchen.
Ebenso wird sich der Mensch bei seiner weiteren
Entwicklung sehr deutlich der Disharmonien und Unwissenheit bewußt, die seine
Beziehungen zur Welt bestimmen. Er kann das nicht länger ertragen und bemüht
sich immer mehr darum, ein Prinzip der Harmonie, des Friedens, der Freude und
Einheit zu finden. Auch das kann nur von oben zu ihm kommen. Nur wenn er ein
Mental entwickelt, das ebenso die Erkenntnis vom Mental anderer besitzt wie die
von sich selbst, kann das Leben des Menschen spirituell und praktisch eins
werden mit dem seiner Mitmenschen, kann das Individuum sein eigenes universales
Selbst wiederentdecken. Voraussetzung dazu ist: ein Mental, das frei ist von
unserer Unkenntnis voneinander und unserem Mißverstehen; ein Wille der sich eins
fühlt und eint mit dem Willen anderer; ein emotionales Herz, das die Emotionen
anderer in sich empfindet wie seine eigenen; eine Lebens-Kraft, die die Energien
anderer wahrnimmt, sie als die ihren annimmt und zu erfüllen sucht; ein Körper,
der nicht Gefängnismauer und Verteidigungswall gegen die Welt ist. All das wird
uns zuteil unter dem Gesetz von Licht und Wahrheit, das stärker ist als die
Abweichungen und Irrtümer, die vielen Sünden und Falschheiten bei uns und
anderen in Mental, Willen, Emotionen und Lebens-Energien. Das Unterbewußte
besitzt dieses Leben des Alls; auch das Überbewußte hat es. Deren Bedingungen
zwingen uns aber, daß wir nach oben durchdringen. Denn der ursprüngliche Drang,
der die Seele in ihrer Evolution bis zur Art unseres Menschseins emporgetragen
hat, ist nicht auf die Gottheit gerichtet, die verborgen ist “im unbewußten Ozean, wo Finsternis in Finsternis gehüllt ist” (Rig
Veda, X. 129. 3.), sondern empor zur Gottheit, die in einem Meer ewigen
Lichts thront, im höchsten Äther unseres Wesens, in den “Wassern, die im Reich
von Licht oberhalb der Sonne sind, und in jenen, die sich unterhalb von ihr
befinden” (Rig Veda, III. 22. 3.).
Wenn also die Menschheit nicht am Wegrand liegen bleiben und den Sieg anderen, neuen Schöpfungen der in heftigen Geburtswehen liegenden Mutter überlassen soll, muß sie diesen Aufstieg erstreben. Er wird zwar durch Liebe, mentale Erleuchtung und den vitalen Drang nach Besitzen und Selbst-Hingabe gelenkt. Er führt aber darüber hinaus zur supramentalen Einung, die über dieses Streben hinausweist und es erfüllt. Ihr endgültiges Gut, ihre Erlösung, muß die Menschheit darin suchen, daß sie das menschliche Leben auf die supramentale Realisation einer bewußten Einung mit dem Einen, mit allem in unserem Wesen und mit allen Gliedern der Menschheit gründet. Das ist es, was wir als den vierten Status von Leben in seinem Aufstieg empor zur Gottheit beschrieben haben.