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Mutters

Agenda

zweiten Band

27. Juni 1961

Aphorismus 62 – Ich hörte einen Narren mit Bestimmtheit äußerste Narrheiten proklamieren und fragte mich, was Gott damit wohl ausdrücken wollte; dann überlegte ich, und sah eine entstellte Maske von Wahrheit und Weisheit.

Man könnte sich fragen, ob es wirklich keine absolute Dummheit oder absolute Lüge gibt, ob hinter den Dingen immer eine Wahrheit liegt, daß es keine absolute Falschheit gibt?

Es kann keine absolute Falschheit geben. Praktisch kann das nicht sein, weil das Göttliche hinter allem ist.

Das ist wie bei jenen, die fragen, ob bestimmte Elemente aus dem Universum verschwinden werden. Was kann das bedeuten, die Zerstörung eines Universums? Wenn wir aus unserer Narrheit herauskommen, was kann man dann noch als "Zerstörung" bezeichnen? – Nur die Form, die Erscheinung wird zerstört (die Erscheinungen werden alle zerstört, eine nach der anderen). Es wird auch gesagt (es wird überall geschrieben, man erzählt vieles), daß die gegnerischen Kräfte entweder bekehrt werden, das heißt sie werden sich der Göttlichkeit in ihnen bewußt und werden göttlich, oder sie werden zerstört. – "Zerstört", was heißt das?! Ihre Form? – Ihre Bewußtseinsform kann zerstört werden, aber das "Etwas", wodurch sie existieren, wodurch alles existiert, wie könnte das je zerstört werden?... Das ist schwer zu begreifen, mein Kind. Das Universum ist eine Objektivierung, ein objektives Bewußt-Werden von Dem, das seit aller Ewigkeit besteht, also? Wie kann Das Ganze aufhören zu sein? Es ist das Unendliche und Ewige Ganze, das heißt es hat in keiner Weise irgendwelche Grenzen – was kann das verlassen? Es gibt keinen Ort, wo es hingehen könnte! (Du siehst, darüber kann man sich den Kopf zerbrechen, so viel man will!) Wohin gehen? Es gibt nur DAS.

Und auch dann noch, wenn wir sagen, "Es gibt nur Das", dann situieren wir es irgendwo – was völlig idiotisch ist. Was kann man also von dort entfernen?

Man könnte sich natürlich vorstellen, daß ein bestimmtes Universum aus der gegenwärtigen Manifestation hinausprojiziert wird, das ja: man kann sich vorstellen, daß die Universen aufeinander folgen und das, was in den ersten Universen war, nicht mehr in den anderen ist, das scheint sogar offensichtlich. Es ist vorstellbar, daß eine ganze Zusammenstellung von Falschheit und Lüge (was für uns, JETZT, Falschheit und Lüge ist) nicht mehr der Welt angehört, wie sie in ihrer Entfaltung sein wird – all das ist verständlich. Aber "zerstören"? – Wohin geht es, um zerstört zu werden? Wenn wir von Zerstörung sprechen, dann geht es nur um eine Form (es kann eine Bewußtseinsform oder eine materielle Form sein, aber es ist stets eine Form), doch das, was ohne Form ist, wie kann das zerstört werden?

Von einer absoluten Lüge zu sprechen, die verschwinden wird, würde also einfach bedeuten, daß eine ganze Zusammenstellung von Dingen ewig in der Vergangenheit leben werden, aber nicht zu den künftigen Manifestationen gehören werden. Das ist alles.

Man kann nicht aus DEM herauskommen, das ist es!

Aber sie bleiben in der Vergangenheit?

Uns wird gesagt, wenn man jenseits des Nichts oder Nirvana und jenseits der Existenz gelangt (dies sind die zwei GLEICHZEITIGEN und komplementären Aspekte des Höchsten), dann erreicht man einen Bewußtseinszustand, wo alles gleichzeitig und ewig existiert. Es wäre also vorstellbar (und weiß Gott, das ist vielleicht eine weitere Narrheit!), daß eine Ansammlung von Dingen in das Nicht-Sein übergeht, was für unser Bewußtsein das Verschwinden oder die Zerstörung wäre.

Ist das möglich? – Ich weiß es nicht. Man müßte den Herrn fragen! Aber im allgemeinen beantwortet er solche Fragen nicht: Er lächelt!

Verstehst du, es kommt ein Augenblick, wo man wirklich nichts mehr sagen kann: man hat den Eindruck, was man auch sagt, wenn es keine Eselei ist, dann grenzt es an Eselei, und praktisch wäre es besser zu schweigen. Darin besteht die Schwierigkeit. In manchen dieser Aphorismen spürt man, daß er plötzlich etwas aufgegriffen hat, das jenseits liegt – jenseits von allem Denkbaren –, was kann man da tun?

(Schweigen)

Wenn man wieder hierherunter kommt, kann man natürlich sehr viel sagen!

Wollte man scherzen (man kann immer scherzen, aber die Leute nehmen eure Scherze so ernst, daß man zögert), dann könnte man sagen, ohne ganz falsch zu liegen, daß man manchmal mehr lernt, wenn man einem Verrückten oder Narren zuhört, als bei einem vernünftigen Menschen – ich bin überzeugt davon! Im Grunde gibt es nichts Trockeneres als die vernünftigen Leute.

Diese Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kann aber trotzdem keine physische Gleichzeitigkeit sein, oder?

Ah, nicht hier!

Ich habe eine seltsame Theorie von jemandem gehört, der sagt, man könnte sich in der Vergangenheit inkarnieren.

Sich in der Vergangenheit inkarnieren?

Ja, jetzt gehen, und sich in einer vergangenen Epoche der Geschichte inkarnieren.

Das ist wieder eine Redensart.

Inkarnieren? – Nein. Man kann die Vergangenheit wiederleben, das ja, sehr leicht, sehr leicht.

Ich hatte wiederholt eine Erfahrung, in der ich die Vergangenheit wiederlebte 1 (aber das ist ein Phänomen des Bewußtseins, denn alles bleibt erhalten und besteht irgendwo weiter), mit einem Willen – der das Zeichen einer Macht wäre –, sie zu verändern. Ich weiß nicht wie, aber im Augenblick, als ich es wiederlebte, anstatt das Aufbewahrte wiederzuleben, drang eine Macht ein, daß diese Vergangenheit anders sei. Ich rede nicht davon, die Folgen der Vergangenheit zu verändern (das ist offensichtlich und geschieht die ganze Zeit), aber das war es nicht einmal: es war die Macht, die eigentlichen Umstände zu verändern (keine völlig materiellen Umstände, aber im Subtilphysischen, mit psychologischen Übertönen). Und weil der Wille da war, bedeutete es für das Bewußtsein, daß es wirklich geschah: das heißt, anstatt in einer bestimmten Weise abzulaufen, verliefen die Umstände anders. Folglich muß das etwas Wirklichem entsprechen, sonst hätte ich diese Erfahrung nicht gehabt. Das war kein Ergebnis einer Einbildung, nicht etwas, das man denkt und "gerne hätte", daß es anders sei – nein, es war ein Phänomen des Bewußtseins: das Bewußtsein durchlebte erneut bestimmte Umstände (die völlig lebendig sind und in ihrem Bereich weiterbestehen, das ist offensichtlich), aber es durchlebte sie mit der Macht und dem Wissen, das mein Bewußtsein sich seit jener Zeit angeeignet hat, und mit der Macht, jenen Augenblick zu verändern. In die Szene (wenn man es so nennen kann) oder in die wiedererlebten Umstände trat eine neue Macht ein, durch die es auf diese Weise ausging anstatt auf jene. Diese Erfahrung hatte ich mehrere Male, und es überraschte mich – kein Phänomen mentaler Einbildung (das ist etwas völlig anderes).

Das öffnet das Tor für alles.

Aber es ist aus der Vergangenheit.

Ist die Vergangenheit... Sie bleibt irgendwo gegenwärtig, das wissen wir, und vielleicht kann sie durch diese Tatsache an der (für uns) fortschreitenden Bewegung der universellen Veränderung in der Manifestation teilnehmen? – Es gibt keinen Grund, daß dies nicht so sei.

Aber sie bleibt durch ihre Folgen gegenwärtig?

Nein-nein! Die Vergangenheit AN SICH. Die Vergangenheit selber. Nicht durch ihre Folgen, das ist etwas anderes: an sich. Und zwar in der IRDISCHEN Atmosphäre (nicht auf der materiellsten Ebene, aber sehr-sehr nah, sehr nah).

Ich habe einen Eindruck, den man als taktil bezeichnen könnte, daß der Gehalt der subtilen Atmosphäre zunimmt. Das ist nicht Teil des materiellen Raumes, wie wir ihn uns vorstellen oder ganz materiell sehen, wo man eine Sache fortbewegen muß, um eine andere an ihren Platz zu setzen (Mutter verschiebt ein Radiergummi auf dem Tisch), und auch das (lachend) ist, glaube ich, noch eine Illusion! Das ist so, weil es uns so ERSCHEINT! Also nicht auf der ganz materiellen Ebene, sondern dicht dahinter oder darin (wie das beschreiben?)... da nimmt der Gehalt zu. Und weil das in den inneren Dimensionen liegt, kann es fast unendlich zunehmen. Diese Dinge verzahnen sich, immer mehr: dort, wo es früher ein Bewußtseinsphänomen war, können jetzt Hunderte in den inneren Dimensionen verschachtelt sein. Das heißt, wenn wir als Beispiel unsere kleine, winzig kleine Erde nehmen, so wird sie immer dichter und reicher an allem, was seit dem Anfang ihrer Entstehung geschah – weil alles dort ist, dort bleibt.

Eigentlich, sobald man nicht mehr vollkommen gebunden durch die materiellen Sinnesorgane ist... Ich habe zum Beispiel immer mehr die Erfahrung, daß sich die Beschaffenheit der Sicht verändert. Vor ein oder zwei Tagen (jedenfalls vor sehr kurzer Zeit) saß ich im Badezimmer und trocknete mein Gesicht, bevor ich hinausging. Dann hob ich die Augen (ich saß vor einem Spiegel, aber meistens schaue ich mich nicht an), ich hob die Augen und schaute, und ich sah viele Dinge (Mutter lacht sehr belustigt)... In diesem Augenblick hatte ich eine Erfahrung und sagte mir: "Ah, das ist der Grund, warum meine Sicht vom rein materiellen Standpunkt blurred, etwas verschwommen erscheint!" Denn das, was ich sah, war SEHR VIEL deutlicher und ausdrucksvoller. Da erinnerte ich mich, daß ich mit diesen anderen Augen sehe, wenn ich meine Leute beim Balkondarshan sehe und erkenne (ich erkenne alle). Und diese Sicht (aber mit offenen Augen!) ist... eine andere Art zu sehen.

Wenn ich in The Yoga of Self-Perfection zu diesem Thema komme, werde ich studieren, was Sri Aurobindo darüber sagt. Er sagt, daß sich an einem bestimmten Punkt die Sinne verändern – man benutzt nicht die Sinne einer anderen Ebene (das ist klar, wir hatten schon immer Sinne auf allen Ebenen), nein, dies ist völlig anders: die Sinne SELBER verändern sich. Er kündigt das an, er sagt, das wird kommen. Aber ich glaube, so fängt es an.

Der INHALT ist anders, mein Kind. Ich sehe... ich sehe, aber... Der Bewußtseinszustand einer Person verändert zum Beispiel ihr physisches Aussehen, für meine PHYSISCHEN Augen. Dabei handelt es sich nicht um die gewohnte Psychologie, wo man euch sagt, daß eure Gefühle euren Gesichtsausdruck beeinflussen; keine solche Banalitäten: der INHALT dessen, was ich sehe, ist anders. Die Augen desjenigen, den ich ansehe, sind nicht dieselben. Das ist ziemlich... Ich könnte es nicht zeichnen, aber wenn ich es malte, würde es vielleicht etwas wiedergeben (das Wiedergabemittel müßte selber etwas verschwommen sein, nicht zu präzise). Die Augen sind nicht genau dieselben, auch das restliche Gesicht nicht, sogar die Farbe und die Form – darum muß ich manchmal auch zögern. Ich sehe meine Leute (ich sehe sie jeden Morgen) und erkenne sie, dennoch sind sie anders, sie sind nicht jeden Tag gleich (manche sind immer-immer gleich, wie ein Stein, aber manche sind nicht immer gleich), bei manchen muß ich gelegentlich sogar zögern: "Ist er es wirklich? Aber dann ist er sehr... Er ist es wohl, aber so erkenne ich ihn nicht deutlich." Meistens stimmt das mit Veränderungen des Bewußtseins überein.

Du siehst, Konklusion: wir wissen nichts.

(Schweigen)

Die unbestreitbare Tatsache ist... (oh, wie das sagen!?) die Ständige Gegenwart – aber "Gegenwart" drückt nichts aus... (Mutter schweigt lange, dann gibt sie es auf, erklären zu wollen)

Oh, je mehr man versucht, es einzufangen, um so mehr entgleitet es.

*
*   *

(Nach der Lektüre der vorherigen Unterhaltung vom 24. Juni, über den Tod:)

Weißt du, wir stehen gerade an der Grenze, am Rand: als wäre da ein halb-durchsichtiger Vorhang, man sieht die Dinge auf der anderen Seite, versucht sie zu erfassen, kann es aber noch nicht. Doch es gibt das Gefühl einer solchen Nähe!

Manchmal sehe ich mich auf einmal als eine UNGEHEURE konzentrierte Macht, die drängt-drängt-drängt, in einer inneren Konzentration, um hindurch zu kommen. Das geschieht an jedem beliebigen Ort, zu jeder beliebigen Zeit: ich sehe eine ganze Ansammlung von Bewußtsein, in einer ungeheuren Kraft gebündelt, das drückt-drückt-drückt, um auf die andere Seite zu gelangen.

Wenn wir auf die andere Seite kommen, wird es gut sein.

 

1 Eine Vergangenheit in einem früheren Leben.

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