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Mutters

Agenda

zweiten Band

5. August 1961

(Mutter gibt Satprem Blumen)

Hier, "die Perfektion in der Arbeit" [Phlox, Flammenblume].

Dann "Mahalakshmi" [weiße Seerose], das bedeutet "Erfolg".

Morgen gehe ich nach unten.

Ah?

Wußtest du das nicht? Morgen ist Sonntag, ich verteile Saris und dann "gamchas" [Taschentücher].

Gut, mein Kind, hast du Fragen?

Nicht viele. Kleine Details. 1

Gib mir doch den Fächer, die Moskitos sind unerträglich.

Welche?

Zunächst sprichst du in den "Entretiens" von der "Umkehrung des Bewußtseins". Ist das gleichbedeutend mit der Verwirklichung des Psychischen? Denn in einem Entretien verbindest du die beiden Dinge: die Umkehrung des Bewußtseins und die Entdeckung des psychischen Wesens. 2

Es ist das Ergebnis der Entdeckung. Eigentlich ist es das Ergebnis der Vereinigung mit dem psychischen Wesen.

Ein anderes Detail: Sri Aurobindo spricht an mehreren Stellen von einem "Umfeld-Bewußtsein" ("circum-conscient"). Nach ihm vollzieht sich dort der Kontakt mit der äußeren Welt. Ist es dasselbe wie das "Subtilphysische", die subtile Hülle? Was ist dieses Umfeld-Bewußtsein?

Das Umfeld-Bewußtsein, sagst du? Nennt man das auf französisch nicht "Milieu"?

Nein, Milieu ist nicht etwas Persönliches.

Er spricht davon als etwas Persönliches?

Ja, es gibt ein Unterbewußtsein, ein Bewußtsein, ein unterschwelliges Bewußtsein und ein Umfeld-Bewußtsein.

Oh!

Vielleicht sollte ich dir den Abschnitt mitbringen, in dem er davon spricht.

Ja, denn ich verstehe nicht recht, was gemeint sein könnte.

Das Subtilphysische reicht ja weit über den Körper hinaus. Danach kommt das, was Théon "le sous-degré nerveux" nennt, das heißt das Zwischenglied zwischen dem Subtilphysischen und dem Vital. Diese Zwischenschicht wirkt wie ein Schutz: Wenn sie in Gleichgewicht, harmonisch und stark ist, beschützt sie euch – beschützt euch sogar physisch – zum Beispiel vor Ansteckungen bei Krankheiten und sogar vor Unfällen. Diese Erfahrung hatte ich, als ich am Val-de-Grâce wohnte. Es war in dem Jahr, als ich beschlossen hatte, die Vereinigung mit dem psychischen Wesen zu erreichen, ich konzentrierte mich von morgens bis abends und von abends bis morgens darauf. Jeden Tag verbrachte ich einige Zeit im Jardin du Luxembourg (er war gleich nebenan), dafür mußte ich die ganze Rue du Val-de-Grâce hinuntergehen, dann den Boulevard Saint Michel überqueren, und dort waren Straßenbahnen, Autos, Omnibusse, der ganze Betrieb. Ich blieb in meiner Konzentration, und einmal, als ich die Straße überquerte, spürte ich eine Erschütterung ungefähr in solchem Abstand von meinem Körper [etwas weiter als der ausgestreckte Arm] und sprang spontan zurück, gerade rechtzeitig, damit die Straßenbahn vorbeifahren konnte – ich hatte nichts gehört. Ich war völlig absorbiert, und ohne diesen Schutz wäre ich sicher darunter gewesen – so konnte ich gerade noch springen, und die Straßenbahn fuhr vorbei. Da verstand ich, daß es etwas sehr Konkretes war, denn ich spürte einen Schock: nicht die Idee einer Gefahr sondern einen materiellen STOSS.

Es stimmt also, solange diese Hülle stark und unbeschädigt ist, ist man geschützt, wenn man sich aber zum Beispiel zu sehr ermüdet, sich beunruhigt, sich aufregt – alles, was Unordnung in die Atmosphäre bringt –, bewirkt das gleichsam Löcher, und alles mögliche kann eindringen.

Vielleicht meint Sri Aurobindo das?

Aber ist das nicht das Subtilphysische?

Es umgibt das Subtilphysische unmittelbar.

Zuerst kommt also das Subtilphysische und danach das Umfeld-Bewußtsein?

Ja, das Subtilphysische ist sichtbar – man kann es sehen. Weißt du, wenn es sehr heiß ist, gibt es eine Art Hitzewellen: so ist das Subtilphysische. Das ist eine der Formen des Subtilphysischen.

Aber das Subtilphysische ist direkt hier (Geste knapp über der Haut). Manche Leute sind empfindsam im Subtilphysischen: wenn man seine Hand nähert, spüren sie es sofort. Andere bemerken nichts! Das hängt von der Empfindsamkeit des Subtilphysischen ab. Und dies [das Umfeld-Bewußtsein] liegt direkt darum herum, wie eine Hülle. Es ist wie eine Hülle, und wenn sie keine Risse hat, ist sie ein wunderbarer Schutz. 3 Das hängt von keiner spirituellen oder intellektuellen Ursache ab, sondern allein von einer Harmonie mit der Natur und dem Leben, es ist eine Art Gleichgewicht im materiellen Wesen. Wenn diese Hülle stark ist, geht es den Leuten fast immer gut und sie haben Erfolg in ihrem Handeln – keine intellektuellen Erfolge, aber wenn sie arbeiten, gelingt es, wenn sie jemanden treffen möchten, begegnen sie ihm. Dinge dieser Art.

Dies muß das Umfeld-Bewußtsein sein.

Durch diese Hülle finden die Kontakte mit den Anderen statt?

Ja, ich glaube schon! Mein Kind, für jemanden, der empfindlich ist, wird es genau deshalb unerträglich, gedrängt in einer Menge zu sein, einer gegen den anderen gepreßt – da wird alles vermischt, und deshalb ist es schrecklich. Man hat das Gefühl eines erstickenden Eindringens, als dringe man in eine Umgebung, die man sich nicht ausgesucht hat!

Das ist alles?

Eine andere Kleinigkeit: Gibt es einen Unterschied zwischen dem Schlaf und dem Tod? Oder ist es dasselbe?

Der Tod und der Schlaf? Oh, nein!

Das ist nicht dasselbe.

Nein... Stellst du diese Frage wegen Buddha? (Ja, vor ein, zwei Tagen dachte ich daran – plötzlich kam es mir in den Sinn, und ich sagte mir: "Sieh an, warum?") Ich erinnerte mich, daß Buddha, bevor er sein Heim verließ, durch die Räume des Palastes ging und seine Frau und seine Eltern schlafen sah. Er hatte den Eindruck, es wäre wie wenn sie tot wären – dort ist die Rede vom Schlaf, der wie der Tod ist.

Das ist nicht wie der Tod?... Man ist nicht mehr in seinem Körper, wenn man schläft: alles Übrige geht fort, wie im Augenblick des Todes, nicht?

Oh, nein! Ganz und gar nicht. Nein. Der kataleptische Zustand der Trance, ja, das ist wie der Tod – es bleibt nur ein Bindeglied, man ist also ganz herausgegangen. Aber der Körper wird kataleptisch, wenn man ihn ganz verlassen hat. Ansonsten bleibt der ganze materiellste Teil des Vitals zurück.

Ich meine, sind die Orte, in die man während des Schlafes geht, dieselben wie die, zu denen man nach dem Tod geht?

Nein, nein, nein. Im Schlaf ist man mit sehr wenigen Ausnahmen mit all dem in Kontakt, was vom Unterbewußten aufsteigt: das Unterbewußte des Gehirns, das Unterbewußte der Gefühle, das Unterbewußte der Materie. Daraus bestehen zu neunundneunzig Prozent die Träume der Leute. Manchmal macht das Mental Wanderungen (meistens macht es sich auf die Reise), aber zu neunundneunzigeinhalb Prozent erinnert man sich nicht daran: wenn es zurückkommt, erinnert man sich nicht, weil die Verbindung nicht geschaffen wurde.

Das Ziel des Schlafes ist ja, wieder mit dem Bewußtsein des Satchitananda in Verbindung zu treten. Doch ich glaube nicht, daß eine Person von Hundert es tut! Sie treten vielmehr in ein Unbewußtes ein als ins Satchit-ananda.

Aber keine zwei Personen haben denselben Schlaf, mein Kind! Das gleiche gilt für den Tod, es gibt nicht zwei gleiche Tode.

Doch das sind zwei verschiedene Dinge, denn... es sind verschiedene ZUSTÄNDE. Die ZUSTÄNDE sind unterschiedlich. Solange man einen Körper hat, ist der Zustand nicht der gleiche wie wenn man "tot" ist. Während einer Zeit von sieben Tagen, nachdem die Ärzte euch für "tot" erklärt haben, seid ihr noch in einem Zwischenbereich. Aber der Zustand des Todes als solcher ist völlig anders, WEIL die physische Grundlage nicht mehr vorhanden ist.

Einmal (es ist mir zweimal passiert, aber das zweite Mal bin ich nicht sicher, denn ich war ganz allein), das erste Mal geschah es in Tlemcen, und ich war bei Théon. Mein Körper war in einem kataleptischen Zustand, und ich war in einer bewußten Trance... aber es war ein besonderer kataleptischer Zustand in der Hinsicht, daß mein Körper sprach: ich konnte sprechen (sehr langsam aber ich sprach, Théon hatte es mir beigebracht). Das ist so, weil das Leben der Form bestehen bleibt – dieses "Leben der Form" ist der Teil, der den Körper erst nach sieben Tagen verläßt. Wenn man das Leben der Form trainiert, ist es sogar fähig, den Körper zu bewegen, das heißt, das Wesen ist nicht mehr da, aber das Leben der Form kann den Körper bewegen (kann ihn jedenfalls Worte sprechen lassen). Nun, aus irgendeinem Grund – ich erinnere mich nicht mehr, aber es war offensichtlich eine Nachlässigkeit Théons, denn Théon war da um zu wachen: dieser Zustand ist nicht ganz ungefährlich, und der Beweis ist, während ich arbeitete, wurde das Band (ich weiß nicht, wie ich es nennen soll), das Bindeglied, pfft! abgetrennt durch einen bösen Willen. 4 Als ich dann zurückkehren wollte, als es Zeit war zurückzukehren, konnte ich nicht mehr eintreten. Aber ich konnte ihn warnen – ich warnte ihn: "Das Band ist gerissen." Da setzte er seine Macht und seine Kenntnis ein, um mich zurückkehren zu lassen – aber das war kein Vergnügen! Es war sehr schwierig. 5

Bei dieser Gelegenheit konnte ich die Erfahrung der zwei verschiedenen Zustände machen, denn der Teil, der herausgegangen war, war ohne die Unterstützung des Körpers herausgegangen: die Verbindung war gebrochen. So wußte ich es. Ich war natürlich in einem besonderen Zustand, denn ich verrichtete gerade bei vollem Bewußtsein mit all der vitalen Kraft eine Arbeit. Ich beherrschte nicht nur meine Umgebung sondern... Verstehst du, das ist wie eine Umkehrung des Bewußtseins: man beginnt einer anderen Welt anzugehören. Das fühlt man sehr deutlich. Er sagte mir sofort, ich solle mich konzentrieren. (Mich interessierte das alles – Mutter lacht – denn ich erlebte Erfahrungen, ich wollte umherwandern! Aber er hatte furchtbare Angst, daß ich ihm zwischen den Händen dahinschwände!) Er flehte mich an, mich zu konzentrieren, also konzentrierte ich mich auf meinen Körper.

Als ich zurückkam, tat es furchtbar weh. Furchtbar. Ein schrecklicher scharfer Schmerz, schrecklich, als ob man eine Hölle beträte.

Eine...?

Eine Hölle.(Mutter lacht)

Es war schrecklich. Das dauerte nicht lange.

Er gab mir ein halbes Glas Kognak zu trinken (das tat er immer hinterher, denn ich blieb mehr als eine Stunde in Trance, um zu arbeiten, was normalerweise verboten ist). Jedenfalls bin ich mir sicher, wenn es sich nicht um mich und ihn gehandelt hätte, wäre es zu Ende gewesen, ich hätte nicht mehr zurückkommen können.

Ich habe also ein wenig Ahnung davon, selbst in meinem äußersten Bewußtsein. Ein wenig, aber das ist alles, was ich weiß.

Nein, es ist etwas anderes. Es ist etwas anderes. Der Schlaf wäre mehr ein Wieder-Abstieg ins Unbewußte – es ist vielmehr das, wie ein Eindringen des Tamas.

Natürlich liegt am Grunde des Unbewußten das göttliche Bewußtsein, das wissen wir alle, aber offensichtlich ist es ein Wieder-Abstieg (manche Leute steigen fast völlig ins Unbewußte zurück und kommen viel erschöpfter aus ihrem Schlaf als sie ihn begannen). Aber aus gewissen Gründen, wahrscheinlich wegen der Notwendigkeit der Arbeit, hatte ich meines Wissens nach niemals einen völlig unbewußten Schlaf.

Es gab da etwas anderes (lachend), schon als Kind, sehr jung, trat ich mit einem Schlag mitten in einer Handlung oder in einem Satz oder sonst etwas in Trance – niemand wußte, was es war! In dem Augenblick glaubten alle, ich schliefe ein! Aber ich blieb bewußt, mit einem erhobenen Arm oder mitten im Wort, plötzlich pfft, nichts mehr! (Mutter lacht) Äußerlich nichts mehr, aber innerlich eine sehr interessante intensive Erfahrung. Das passierte mir schon, als ich ziemlich klein war.

Ich erinnere mich, als ich wohl zehn oder zwölf Jahre alt war, wurde bei meinen Eltern ein Essen abgehalten. Es war ein Dutzend Leute, und alle waren wie aus dem Ei gepellt. (Es waren Familienangehörige, aber schließlich war es ein "Essen", und ein gewisses Protokoll mußte eingehalten werden. Kurz, man mußte sich gehörig benehmen!) Ich saß am Ende des Tisches neben einem Cousin, der später für eine gewisse Zeit Direktor des Louvre wurde (er besaß eine künstlerische Intelligenz und war ein ziemlich fähiger Bursche). Wir saßen also da, und ich erinnere mich, daß ich etwas recht Interessantes in seiner Atmosphäre bemerkte (du mußt aber wissen, daß ich nichts wußte – hätte man mir über die "Aura" und all das erzählt... nichts, ich wußte nichts über okkulte Dinge, aber die Fähigkeit dazu war schon da). Ich verfolgte eine Empfindung, die ich in seiner Atmosphäre spürte, und dann, als ich gerade die Gabel in den Mund stecken wollte, war ich weg! – Sie erwischten mich. Man sagte mir, wenn ich mich nicht zu benehmen wüßte, dürfe ich nicht zu Tisch kommen! (Mutter lacht sehr)

In dieser Epoche verließ ich jede Nacht meinen Körper. Jede Nacht verrichtete ich die Arbeit, von der ich in Prières et Méditations 6 sprach (ich erwähne es nur nebenbei), aber jede Nacht zur selben Stunde, als das ganze Haus schön ruhig war, verließ ich meinen Körper und hatte die verschiedensten Erfahrungen. Allmählich wurde mein Körper dann somnambul (das heißt, das Bindeglied blieb fest bestehen und das Bewußtsein der Form war immer bewußter geworden), ich begann regelmäßig aufzustehen – aber nicht auf die Art gewöhnlicher "Schlafwandler": ich stand auf, öffnete meinen Schreibtisch, nahm ein Papier und schrieb Gedichte... ich, die nichts von einem Poeten in mir hatte! Ja, Gedichte! Ich notierte Dinge. Sehr bewußt legte ich alles wieder zurück in die Schublade und verschloß sie sehr sorgfältig, bevor ich mich wieder ins Bett legte. Eines Tages vergaß ich es aus irgendeinem Grund: ich ließ es offen. Meine Mutter kam... (Meine Mutter weckte mich immer, denn in Frankreich verschließen sie einem die Fenster mit dicken Vorhängen. So kam sie morgens, riß die Vorhänge auf und weckte mich, brrm! ohne Vorwarnung. Ich war nur schon daran gewöhnt und war bereit aufzuwachen, sonst wäre es nicht sehr gut gewesen!) Jedenfalls kam sie und rief mich mit ihrer unantastbaren Autorität, als sie den offenen Schreibtisch und ein Papier darauf sah: "Was ist das!..." Sie riß es an sich: "Was machst du da?" Ich weiß nicht, was ich antwortete, aber sie suchte einen Arzt auf: "Meine Tochter ist eine Schlafwandlerin geworden! Sie müssen ihr eine Medizin geben!"

Es war nicht angenehm.

Ich erinnere mich, einmal... Sie schalt mich sehr häufig (aber das war gut, es war eine gute Übung) sie schalt mich sehr oft – für Dinge, die ich nicht getan hatte! Einmal schalt sie mich für etwas, das ich getan hatte, aber das sie nicht verstanden hatte (ich hatte es mit bester Absicht getan). Sie warf mir das als eine Handlung vor, die man nicht tun durfte (ich hatte jemandem etwas gegeben, ohne ihre Erlaubnis einzuholen!). Zuerst trotzte ich ihr und sagte: "Ich habe es nicht getan". Da fing sie an zu sagen, ich löge. Ohne ein Wort sah ich sie an, dann fühlte ich... das ganze Elend und diese ganze Lüge der Menschheit, und leise flossen die Tränen. Sie sagte mir: "Was! Jetzt fängst du auch noch an zu weinen!" Plötzlich war ich etwas fed up [der Sache überdrüssig] und sagte ihr: "Oh! ich weine nicht wegen mir, es ist wegen des Elends der ganzen Welt." – "Du wirst verrückt!"

Sie glaubte tatsächlich, daß ich verrückt werde!

Das war sehr komisch.

Seltsam... Ich sage "seltsam", denn wegen ihr wurde ich in diesem Körper geboren, wurde das so gewählt. Als sie jung war, hatte sie eine große Aspiration. Sie war genau zwanzig Jahre älter als ich: sie war zwanzig, als ich geboren wurde. Ich war das dritte Kind, das erste war ein Sohn, der – glaube ich – mit zwei Monaten in der Türkei starb. Man hatte ihn gegen Pocken geimpft und dabei vergiftet (lachend), Gott weiß, was es war! Er starb an Krämpfen. Dann kam mein Bruder, der in Ägypten, in Alexandria geboren wurde, und ich wurde in Paris geboren, als sie genau zwanzig war. In dem Moment fühlte sie eine GROSSE Aspiration in sich (besonders nach dem Tod des Ersten): ihre Kinder mußten "die Besten der Welt" sein. Es war kein Ehrgeiz (ich weiß nicht, was es war). Sie hatte einen Willen! Meine Mutter hatte einen ungeheuren Willen! Wie eine Eisenstange, völlig ungerührt durch alle von außen kommenden Einflüsse. Wenn sie etwas entschied, war es entschieden – sogar wenn jemand im Sterben gelegen hätte, wäre sie nicht zu bewegen gewesen! Sie hatte also entschieden: "Meine Kinder werden die Besten der Welt sein."

Sie hatte vor allem einen Sinn für Fortschritt. Sie spürte, daß die Welt sich weiterentwickelte und daß wir besser sein sollten als alles, was es vorher gegeben hatte – das genügte.

Das genügte, seltsam.

Erzählte ich dir schon, was meinem Bruder geschah? Nein?... Mein Bruder war ein schrecklich ernsthafter Junge und schrecklich lerneifrig – oh, es war schlimm! Jedenfalls hatte er auch einen sehr starken Charakter, einen sehr starken Willen. Interessant! Er hatte etwas Interessantes. (Als er sich auf das Polytechnikum vorbereitete, lernte ich mit ihm, das interessierte mich.) Wir waren sehr vertraut (zwischen uns lagen nur achtzehn Monate). Er war sehr heftig, aber mit einer außergewöhnlichen Charakterstärke, denn nachdem er mich dreimal beinahe getötet hatte, sagte meine Mutter beim dritten Mal: "Beim nächsten Mal, wirst du sie töten." Daraufhin beschloß er, daß es nicht mehr vorkommen sollte – und es geschah nie wieder. 7 Aber eigentlich wollte ich folgendes erzählen: Als er achtzehn war und sich auf das Polytechnikum vorbereitete, kurz vor der Prüfung, überquerte er eines Tages die Seine (ich glaube es war auf der Pont des Arts), und auf der Mitte spürte er plötzlich, wie eine Kraft in ihn niederstieg, die ihn so sehr immobilisierte, daß er wie versteinert stehenblieb. Da hörte er nicht direkt eine Stimme, aber innerlich hörte er sehr deutlich: "Wenn du willst, kannst du ein Gott werden" (so übersetzte es sich in seinem Bewußtsein). Er sagte mir, daß es ihn in seinem ganzen Wesen gepackt hätte, er war wie versteinert, eine ungeheure und außerordentlich leuchtende Kraft: "Wenn du willst, kannst du ein Gott werden." Da antwortete er noch während der Erfahrung, im selben Augenblick: "Nein, ich will der Menschheit dienen." Und es verschwand. Natürlich hütete er sich, meiner Mutter davon zu erzählen, aber wir waren vertraut genug, und er erzählte es mir. Ich sagte ihm (lachend): "Du bist aber ein Dummkopf."

So ist es.

In diesem Augenblick hätte er folglich eine spirituelle Verwirklichung erreichen können: er hatte das Zeug dazu. Etwas später (einige Jahre danach, drei Jahre danach) hatte ich die Erfahrung, von der ich dir erzählte, von diesem Licht, das mich durchdrang: ich sah es physisch in mich eindringen. Es war offensichtlich die Herabkunft eines Wesens – keine vergangene Inkarnation sondern ein Wesen von einer anderen Ebene. Ein goldenes Licht. Es war die Inkarnation eines göttlichen Bewußtseins. Das beweist also, daß es ihr für ihre beiden Kinder gelungen war.

Aber was konnte sie nur...

Doch vor meinem Bruder lag sie auf den Knien.

Weißt du, meine Mutter verachtete jedes religiöse Gefühl als Schwäche und Aberglaube, sie leugnete das Unsichtbare gänzlich, sie sagte: "All das sind Gehirnkrankheiten" (!). Aber sie sagte dennoch: "Oh, mein Matteo..." (sie hatte ihn Matteo genannt, ein italienischer Name in Alexandria, ich weiß nicht, warum bloß), "oh, mein Matteo ist mein Gott, er ist mein Gott." Sie verhielt sich ihm gegenüber wirklich wie zu einem Gott. Eigentlich ließ sie erst von ihm ab, als er heiratete und sie tatsächlich nicht mehr hinter ihm stehen konnte!

Interessant ist aber zum Beispiel, als ihr Vater starb, wußte sie es: sie sah ihn. Sie dachte, es wäre ein Traum – "ein dummer Traum". Aber er kam, um ihr mitzuteilen, daß er tot sei, und sie sah ihn. Sie sagte: "Es ist nichts, es ist ein Traum!"(Mutter lacht)

Als meine Großmutter starb... Meine Großmutter hingegen hatte den Sinn fürs Okkulte. Sie hatte ihr Vermögen selbst gemacht (ein ziemlich beträchtliches Vermögen) und sie hatte fünf Kinder, eines verschwenderischer als das andere. Mir sagte sie (sie hielt mich für die einzige vernünftige Person in der Familie und vertraute sich mir an): "Siehst du, alle diese Leute wollen mein ganzes Geld verschwenden!" Sie hatte einen Sohn von sechzig Jahren (denn sie hatte sehr jung geheiratet und hatte ihn sehr jung bekommen: sie hatte mit fünfzehn Jahren in Ägypten geheiratet, und ihr Sohn war inzwischen sechzig), sie sagte mir also: "Sieh diesen Burschen (!), er besucht unmögliche Leute! Dann spielt er Karten und verliert all mein Geld." Ich sah ihn, "diesen Burschen": ich war bei ihr, als es geschah – er kam und sagte sehr höflich: "Auf Wiedersehen, Mutter, ich gehe aus, ich besuche soundso." – "Ah, bitte gib nicht all mein Geld aus und nimm einen Überzieher mit, denn es wird kalt nachts." Sechzig Jahre! Das war sehr komisch... aber nun, um auf meine Geschichte zurückzukommen: als meine Großmutter starb (ich hatte mich viel um sie gekümmert), suchte sie meine Mutter auf (meine Mutter war bei ihr, als sie starb – sie wurde einbalsamiert, denn sie wollte verbrannt werden, das hatte sie sich in den Kopf gesetzt, und da sie in Nizza gestorben war, mußte man sie einbalsamieren, um sie hier in Paris zu verbrennen). Ich war in Paris. Meine Mutter kehrte also mit dem Sarg zurück und sagte mir: "Stell dir vor, ich sehe sie die ganze Zeit! Dann ermahnt sie mich: "Verschwende nicht dein Geld."" Ich antwortete meiner Mutter: "Sie hat Recht, man muß aufpassen." – "Aber schließlich ist sie TOT! Wie kann sie zu mir sprechen! – Ich sage dir, sie ist tot, mausetot!" Ich sagte ihr: "Was heißt es, zu sterben?"

All das war sehr komisch.

Es gab einen anderen Grund... Mein Vater hatte eine bewundernswerte Gesundheit, und er war stark! Ein Gleichgewicht! Er war nicht sehr groß, aber stämmig. Er hatte seine Studien in Österreich gemacht (zu der Zeit sprach man in Österreich viel Französisch, aber er kannte Deutsch, Englisch, Italienisch, Türkisch...), und er hatte dort Reiten gelernt, ganz außerordentlich: er war so stark, wenn er die Knie anspannte, zwang er das Pferd nieder. Mit einem Faustschlag zerschlug er alles, ein Fünf-Franken-Stück (die großen Stücke zu fünf Franken, die es früher gab, aus Silber), mit einem Faustschlag: in zwei gebrochen. Es war seltsam. Er hatte etwas Russisches. Ich weiß nicht warum. Man nannte ihn Barine. Ein solches Gleichgewicht! Dieser Mann kannte nicht nur all diese Sprachen, auch auf dem Gebiet der Arithmetik habe ich niemals ein solches Gehirn gesehen! Er machte Abrechnungen einfach so im Kopf, wie ein Spiel, ohne die geringste Anstrengung – Berechnungen mit Hunderten von Zahlen. Und er liebte Vögel! Er hatte sein eigenes Zimmer in unserer Wohnung (denn meine Mutter konnte ihn nicht sehr gut ertragen), er hatte ein getrenntes Zimmer mit einem großen Käfig – voller Kanarienvögeln! Aber tagsüber schloß er das Fenster und ließ alle Kanarienvögel frei umherfliegen.

Er erzählte Geschichten! Ich glaube, er hatte alle nur denkbaren Unterhaltungsromane gelesen, alle Geschichten: außergewöhnliche Abenteuergeschichten (er liebte Abenteuer). Als wir Kinder waren, empfing er uns früh morgens in seinem Zimmer (er saß noch im Bett) und erzählte uns Geschichten – er erzählte Geschichten aus Büchern, die er gelesen hatte, aber anstatt uns zu sagen, daß es Bücher waren, die er gelesen hatte, erzählte er sie, als wären es seine eigenen Geschichte! Er hatte also außergewöhnliche Abenteuer! Mit Räubern, mit wilden Tieren... Alle Geschichten, die er hatte sammeln können, erzählte er, als wären es seine eigenen. Uns machte das natürlich ungeheuer Spaß!

Eines Tages hatte mein Bruder ihm nicht gehorcht (mein Bruder mußte ungefähr zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, und ich neun oder zehn). Ich kam ins Eßzimmer und sah meinen Vater mit meinem Bruder auf seinen Knien auf dem Sofa sitzen: er hatte ihm seine Hosen heruntergezogen und haute ihn auf den Hintern. Es war nicht sehr ernst, aber immerhin (ich weiß nicht, was mein Bruder getan hatte), ich ging hin, richtete mich zu meiner vollen Größe auf und sagte: "Papa, wenn du das noch einmal tust, verlasse ich das Haus", und mit einer solchen Autorität, mein Kind! – Er hörte auf und tat es nie mehr.

Sehr unterhaltsame Geschichten.

Jetzt habe ich dir jedenfalls genug Geschichten erzählt.

Wie ich geschwatzt habe! Du bringst mich immer zum Schwatzen!

 

1 Für die Vorbereitung des Buches über Sri Aurobindo.

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2 Das psychische Wesen bezeichnet in Sri Aurobindos Terminologie die Seele.

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3 Schließlich sind wir nicht sicher, ob diese Hülle und das Umfeld-Bewußtsein ein und dieselbe Sache sind, aber Sri Aurobindo sagt darüber: "Das Erste, das man wahrnimmt, wenn man die Schranke durchbricht, ist der physisch-vitale Körper. Er umgibt den physischen Körper und bildet mit ihm zusammen das, was man als die "nervöse Hülle" bezeichnen könnte. Die Kräfte der Krankheit müssen sie durchbrechen, um den Körper zu erreichen, außer wenn es sich um ganz materielle Angriffe handelt. Man kann die Ankunft der Krankheit spüren, man kann auch in der nervösen Hülle den Teil des Körpers spüren, den die Krankheit angreifen wird oder will, denn die nervöse Hülle besitzt einen entsprechenden Teil im Körper. Die physisch vitale Hülle wird also zuerst angegriffen, dann nimmt die Kraft die Form einer Krankheit im Organismus an. Ich hatte selbst die Erfahrung, ein Fieber um den Körper herum zu haben." (A. B. Purani, Evening Talks with Sri Aurobindo, Bd. I, S. 232)

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4 In der Tat, der böse Wille von Théon.

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5 Satprem erinnert sich, daß Mutter ihm einige Jahre vorher erzählt hatte, bei welcher Gelegenheit dieser Vorfall sich ereignete: Während ihrer Arbeit in Trance hatte Mutter den Ort entdeckt, wo das "Mantra des Lebens" aufbewahrt wurde, das heißt das Mantra, das die Macht hat, Leben zu schaffen (und es auch zu nehmen). Natürlich verlangte Théon, der sehr interessiert war, da er eine Inkarnation des Asura des Todes war, von Mutter, es ihm zu wiederholen. Mutter weigerte sich. Théon geriet in heftige Wut, und die Verbindung wurde durchtrennt (das Bindeglied, das Mutter mit dem Körper verband). Als Théon sich der Katastrophe bewußt wurde, die er durch seinen Zorn verursacht hatte, bekam er Furcht (er wußte nämlich, wer Mutter war), und da nahm er, wie Mutter erzählt, alle seine Kraft zusammen, um ihr zu helfen zurückzukehren. Später gab Mutter dieses Mantra Sri Aurobindo... der es klugerweise in Vergessenheit fallen ließ. Denn das Geheimnis des Lebens (oder des Todes) soll nicht durch ein Mantra gemeistert werden, sondern durch die Kenntnis der Wahren Macht, das heißt letztlich die Kenntnis der Realität der Materie und des Mechanismus, der den Tod bewirkt: genau darin besteht das ganze Yoga der Zellen von Sri Aurobindo und Mutter.

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6 22. Februar 1926.

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7 Ein anderes Mal erzählte Mutter Sujata die Einzelheiten der drei Vorfälle: "Eines Tages spielten wir Kroquett – entweder verlor er oder er wurde aus einem anderen Grund furchtbar wütend und schlug mir seinem Hammer auf den Kopf; zum Glück bekam ich nur eine Schramme. Ein anderes Mal saßen wir in einem Zimmer, und er warf einen großen Stuhl nach mir – ich konnte mich gerade noch rechtzeitig ducken. Das dritte Mal geschah, als wir aus einer Kutsche ausstiegen: er schubste mich darunter – zum Glück bewegte sich das Pferd nicht."

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