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Mutters

Agenda

fünften Band

12. November 1964

Was gibt es Neues?

Du hattest etwas herauszufinden. Du sagtest, daß du nach dem Grund für diese Ohnmachtsanfälle suchen wolltest?

Es gibt etwas Interessantes (nicht die Ohnmachtsanfälle!). Wie du weißt, hat Z einen Yoga im Körper begonnen (ich forderte sie nicht dazu auf, sie tat es ganz spontan), und sie schrieb mir von ihren ersten Erfahrungen: Es sind darin ganz ähnliche Feststellungen zu finden wie jene, zu denen ich selbst kam, und dazu von einer Exaktheit, die mich interessierte – ich ermutigte sie. Sie macht weiter. Ich habe keine Zeit, ihre Briefe zu lesen: sie liegen da und häufen sich an. Was ich aber sehr interessant fand, ist folgendes: Gestern las man mir einen Brief von einer englischen Schriftstellerin vor: Sie hat drüben eine kleine Gruppe, sie meditieren zusammen unter der Leitung einer Art indischen Gurus (ich weiß nicht wer), der ihnen beibrachte zu meditieren. Dann stießen sie auf die Schriften von Sri Aurobindo, die sie studierten, worauf sie seinen Anweisungen folgten und diese zu verstehen versuchten. Schließlich (vor fast einem Jahr) begann in ihren Meditationen plötzlich die Kraft – die Macht, die Shakti – von oben nach unten zu steigen, anstatt daß sie den Versuch unternommen hätten, die Kundalini im Sinne einer aufsteigenden Bewegung zu erwecken. Sie teilten dies ihrem Guru mit, der ihnen sagte: "Sehr schlecht! Sehr gefährlich, hört auf damit, sonst werden euch entsetzliche Dinge zustoßen!" Das geschah vor fast einem Jahr. Sie waren sich nicht allzu sicher, ob der Herr mit seiner Meinung recht hatte, und machten weiter und erzielten dabei sehr gute Resultate. Dann, gestern, schreibt mir diese Frau, wobei sie ihre Erfahrungen im einzelnen beschreibt – mit fast denselben Worten wie Z! Das fängt an, sehr interessant zu werden. Es stellt nämlich eine Entpersönlichung der Aktion dar, d.h. sie äußert sich nicht subjektiv jedem einzelnen Individuum gemäß: sie hat ihre eigene ART des Agierens.

Ich freute mich sehr und schrieb ihr einige Worte, um ihr zu gratulieren.

Aufgrund von Briefen, die ich erhalte, und Überlegungen, die mir unterbreitet werden, stelle ich fest, daß die Aktion sich auf der ganzen Erde allgemein verbreitet, mit ANALOGEN Wirkungen (kleine Färbungen, je nach Individuum, aber das ist nichts). Es handelt sich um eine ganze Disziplin, eine Sadhana des Körpers – keine mentale Sadhana, nein, eine Sadhana des Körpers. Es ist also konkret.

(Schweigen)

Es gibt folgendes Phänomen: Sobald der physische Organismus mit seiner Kristallisation und seinen Gewohnheiten ohne Vorwarnung mit einer neuen Erfahrung konfrontiert wird ("Paß auf, das ist eine neue Erfahrung!"), kriegt er Angst. Er hat Angst, gerät aus der Fassung und wird unruhig. Es hängt von den Leuten ab, aber zumindest – selbst unter den Mutigsten und Vertrauensvollsten – erzeugt es ein Unbehagen: es beginnt mit einem kleinen Schmerz oder einem kleinen Unbehagen. Es gibt welche, die sofort Angst bekommen. In diesem Fall kommt alles zum Stillstand, die Erfahrung hört auf, und es gilt von vorn zu beginnen. Schließlich gibt es jene (wie die englische Gruppe, von der ich sprach, oder wie Z), die sich nicht einschüchtern lassen, die beobachten und abwarten, worauf sich die "unangenehmen" Wirkungen sozusagen mildern, aufhören und sich in etwas anderes verwandeln und die Erfahrung ihren Wert oder eigene Farbe anzunehmen beginnt.

Im Zusammenhang mit diesen Ohnmachtsanfällen, von denen ich dir kürzlich erzählte, beobachtete ich (es hielt den ganzen Tag über an) und sah folgendes (durch innere Schau): Es ist wie die Wegstrecke einer Kraft – zuweilen schnell wie der Blitz, dann wieder langsam und sehr bedachtsam –, die von einer Stelle ausgeht, um zu einer andern zu gelangen. Diese Kraft folgt einem präzisen Weg, der nicht immer derselbe ist und der in seinem Verlauf gewisse Zellen einzuschließen scheint: mit einem Ausgangs- und einem Ankunftspunkt (Mutter deutet eine Kurve an). Wenn man nicht auf der Hut ist und sich auf der Wegstrecke (die mehr oder weniger lang sein kann) überraschen läßt, verspürt man dieselbe Empfindung ("man" ist der Körper) wie vor einer Ohnmacht: das der Ohnmacht vorausgehende Phänomen. Ist man aber aufmerksam und bleibt ruhig und beobachtet, sieht man, daß es von einem Punkt ausgeht, dann einen andern Punkt erreicht, worauf es aufhört – was diese Kraft zu tun hatte, ist getan, und im übrigen Teil des Körpers zeigen sich keine AUGENSCHEINLICHEN Konsequenzen.

Ich erwähnte diese Tatsache (nicht mit allzuviel Details) dem Arzt gegenüber, nicht in der Hoffnung, er könne mir eine Erklärung liefern, sondern weil er (das ist amüsant) zu verstehen sucht, wenn ich ihm etwas erzähle. Weißt du, sein mentales Wissen ist wie ein Spiegel, und in diesem Spiegel finde ich manchmal den Schlüssel (lachend), den wissenschaftlichen Schlüssel zu dem, was sich abspielt, verstehst du.

Tatsächlich konnte ich diese "Verlaufsrouten" präzis ausmachen, nachdem ich mit ihm darüber gesprochen hatte (ich sprach dabei von einer Art Schwindelanfall). Ich fragte mich, ob dies vielleicht die Projektion eines zwischen verschiedenen Gehirnzellen ablaufenden Phänomens auf einen Vergrößerungsbildschirm sein könnte. Diese Art Schwindelanfälle (heute gab es gar keine) treten nämlich immer nach einem Moment oder einem Tag der intensiven Aspiration zur Transformation des Gehirns auf. Vielleicht ist es das... Weißt du, zwischen all diesen Gehirnzellen bestehen gewisse "Ankoppelungen", und wenn diese gestört sind, werden die Leute im allgemeinen verrückt. Dies erschien mir wie eine Projektion in vergrößertem Maßstab, damit ich den zwischen gewissen Gehirnzellen zustandegekommenen Verbindungen folgen konnte, um dem halbbewußten, automatischen Funktionieren des alten Zustandes ein Ende zu setzen und um das Gehirn zum Instrument der Höheren Kraft zu machen. Denn die Formel für meine Aspiration lautet immer: "Herr, nimm Besitz von diesem Gehirn", und diese Phänomene ereignen sich immer nach einer solchen intensiven Aspiration. Es dient also als Vorbereitung des Gehirns für den direkten Ausdruck der höheren Kraft.

Dies habe ich in den letzten Tagen gelernt.

Ich habe mir auch etwas notiert, nämlich eine Erfahrung von heute morgen. Sie dauerte eine halbe Stunde, und während dieser halben Stunde... (Mutter sucht nach ihren Notizen in einem Wust kleiner Zettel) Du weißt, daß die Leute, die eine Offenbarung haben, die ihren Bewußtseinszustand plötzlich ändert, in jenem Moment den Eindruck verspüren, alles sei verändert; dann, einen Augenblick danach, oder mehr oder weniger lange Zeit danach, wird ihnen bewußt, daß ihnen die ganze Arbeit... (wie soll ich das nennen?) der Ausarbeitung noch bevorsteht; daß es nur wie ein Blitz von längerer oder kürzerer Dauer war und daß das Ganze durch einen Transformationsprozeß noch auszuarbeiten ist. So lautet die übliche Vorstellung.

Und ganz plötzlich erkannte ich: So ist es überhaupt nicht! Wenn sie die Erfahrung haben, im Moment der Erfahrung, ist die Sache SELBST, die Vollkommenheit SELBST erreicht, und sie befinden sich im Zustand der Vollkommenheit, und erst, wenn sie daraus HERAUSTRETEN, haben sie den Eindruck, daß sie lange Vorbereitungen treffen müssen, um zum Resultat zu gelangen... Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke, aber meine Aufzeichnung lautete so: Die Vollkommenheit ist hier, immer, einhergehend mit der Unvollkommenheit – Vollkommenheit und Unvollkommenheit sind koexistent, immer, und nicht nur beides zugleich, sondern auch AM SELBEN ORT (Mutter preßt ihre Hände gegeneinander), ich weiß nicht, wie ich das nennen soll, "koexistent" eben. Was bedeutet, daß sich die Vollkommenheit in jeder beliebigen Sekunde und unter beliebigen Bedingungen erlangen läßt: Es handelt sich nicht um etwas, das man sich nach und nach durch einen allmählichen Fortschritt erarbeiten muß; die Vollkommenheit ist DA, nur die PERSON ändert ihren Zustand, nämlich von einem Zustand der Unvollkommenheit zu jenem der Vollkommenheit; und die Fähigkeit, in diesem Zustand der Vollkommenheit zu verharren, wächst aus dem einen oder andern Grund und gibt einem den Eindruck, man müsse sich "vorbereiten" oder "transformieren".

Das war sehr wirklich und konkret.

(Mutter gibt den Text ihrer Notiz:)

Die Vollkommenheit ist hier, einhergehend mit der Unvollkommenheit, und kann in jedem Moment erreicht werden.

Ja, es ist nicht etwas, das wird: Die Vollkommenheit ist ein absoluter Zustand, den man in jedem beliebigen Moment erreichen kann.

Auf englisch lautet es so:

The perfection is there coexistent with the imperfection and attainable at each and any moment.

Und dann kommen wir zu einer interessanten Schlußfolgerung (Mutter sucht nach einem anderen kleinen Papierstück)... Ich sagte dir, daß diese Idee der Präexistenz eines jeden Dinges (für mich ist es zu einer Idee geworden, es ist nicht die Wahrheit) für das Körperbewußtsein weiterhin ein schwierig zu lösendes Problem darstelle: ich spreche vom Zustand, in dem alles IST, sogar in seiner Entfaltung... Verstehst du, das würde bedeuten, daß alle Punkte der Entfaltung präexistent sind.

Ich stand an der Schwelle des Verstehens (ich spreche nicht von einem mentalen "Verständnis", sondern von der Erfahrung der Tatsache selbst). Die Erfahrung der Tatsache ist die Erfahrung der Koexistenz des statischen Zustandes und des Zustandes der Entwicklung – des ewigen statischen Zustandes und des Zustandes der ewigen Entfaltung (oder vielmehr "unbegrenzten" Entfaltung, um nicht dasselbe Wort zu gebrauchen). Daraufhin kam die Vision (Mutter reicht Satprem eine Notiz):

Wenn die Wahrheit sich manifestiert, verschwindet die Schwingung der Lüge...

Verschwindet, sie wird AUFGEHOBEN ("aufgehoben" ist das Wort).

... als ob sie nie existiert hätte, angesichts der Schwingung der Wahrheit, die sie ersetzt. Dies ist die eigentliche Grundlage der Theorie der Illusion.

Ja, ich verstand ganz plötzlich, was sie mit dem Konzept meinten, die physische Welt, so wie sie ist, sei illusorisch.

Weißt du, man kann nur sagen, sie sei eine Illusion, wenn sie keine dauerhafte Existenz besitzt. Und diese Erfahrung – die ich sah, spürte und lebte – lautet, daß die Schwingung der Wahrheit die Schwingung der Falschheit, die nicht existiert, buchstäblich AUFHEBT – sie existierte nur als Illusion für das lügenhafte Bewußtsein, in dem wir leben.

Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich ausdrücke, aber es ist sehr interessant.

Nicht die Welt ist eine Illusion, sondern die Wahrnehmung ist illusorisch.

Die Wahrnehmung der Welt ist illusorisch – die Wahrnehmung der Welt, die Wahrnehmung, die wir von ihr haben, ist illusorisch. Die Welt besitzt eine konkrete, wirkliche Existenz im Ewigkeitsbewußtsein. Wir aber, das menschliche Bewußtsein, haben eine illusorische Wahrnehmung dieser Welt.

Und im Moment des Triumphes der Schwingung der Wahrheit erkennt und gewinnt man den Sinn für die eigentliche Wirklichkeit der Welt, worauf diese illusorische Wahrnehmung unverzüglich verschwindet: sie wird aufgehoben.

Folglich ist ihre Redensart oder Denk- oder Verständnisweise, daß "alles, was ist, seit aller Ewigkeit existiert", problematisch... Es handelt sich nicht um das "alles, was ist", so wie sie das sehen und auffassen, es ist nicht einmal das Prinzip von diesem "alles, was ist", sondern vielmehr... die EINE Wahrheit, die ewig ist, während die Entfaltung... Es ist schwierig, Worte dafür zu finden... Die Entfaltung folgt einem Gesetz und einem Prozeß, die sich von dem, was wir davon erkennen und wahrnehmen, vollständig unterscheiden.

Es ist wieder dasselbe: Die Wahrheit ist da, die Falschheit ist da (Mutter preßt ihre Hände gegeneinander); die Vollkommenheit ist da, die Unvollkommenheit ist da (selbe Geste); das alles ist koexistent, am selben Ort – aber sobald man die Vollkommenheit wahrnimmt, verschwindet die Unvollkommenheit, die Illusion verschwindet.

Allerdings ist hier nicht die Rede von einer mentalen Auffassung eines vagen und allgemeinen Zustands, nein, es handelt sich um jenen Zustand der infinitesimalen Schwingung (auf den man auch bei der Erforschung der Beschaffenheit der Materie stieß: man versucht, die Materie eben darauf zurückzuführen), es ist dieser Schwingungszustand, DA, in diesem Schwingungszustand muß in der konkreten Welt die Unvollkommenheit durch die Vollkommenheit ersetzt werden. Verstehst du, was ich meine, oder macht es keinen Sinn?

Ich weiß nicht recht. Meinst du damit, daß in diesem Stadium, auf diesem Niveau...

Ja, auf diesem Niveau muß es sich ändern. Auf dem mentalen oder gar vitalen Niveau bleibt es ein psychologisches Problem, was nicht von Bedeutung ist, es ist nicht DIE Sache, sondern die in ein MENSCHLICHES Bewußtsein übertragene Sache. Denn kürzlich... Unlängst verließ ich plötzlich den Bereich der Menschlichkeit. Mein Bewußtsein löste sich völlig vom menschlichen Bewußtsein. Worauf ich mir sagte: "Aber... alles, was man sagt, alles, was man weiß, alles, was man versuchte, all dieses sogenannte Wissen, das man hier auf Erden anhäufte, ist nichts! Es handelt sich um etwas, das allein dem MENSCHEN angehört – man schalte den Menschen aus... worauf alles existiert! Dann werden alle Erklärungen, auf die der Mensch stieß, nichtig." Genau so: das existiert.

Ich hatte die Erfahrung des Universums außerhalb der menschlichen Wahrnehmung dieser Erfahrung, worauf die Nichtigkeit der menschlichen Erfahrung so offensichtlich wurde, verstehst du, daß sich an diesem Punkt eine Tür auf etwas Neues zu öffnen begann.

Könnte all das vielleicht der Herr sein, der Besitz vom Gehirn nimmt?

Es ist schwierig zu erklären, aber als Erfahrung war es außergewöhnlich. Weißt du, wir leben INNERHALB einer Formation 1, die die menschliche Formation war – das ganze menschliche Wissen... Ich begann nämlich, danach zu suchen, was wir vom menschlichen und irdischen Leben wissen: es ist sozusagen nichts, ein ganz kleiner Ausschnitt (Sri Aurobindo schrieb irgendwo, daß Milliarden Jahre VORAUSGINGEN 2). Folglich ist das, was wir wissen, praktisch null. Wenden wir uns also davon ab. Das führte mich ganz natürlich dazu, aus der Menschheit, und damit aus der Erde, dem Universum hinauszutreten; aus dieser Erde, die das Produkt all dessen war, was wir wissen (auf jeden Fall geben wir Erklärungen dafür, was sich ereignete, was da war). Dann, ganz plötzlich, enthüllte sich die Nichtigkeit und Wertlosigkeit dieses Wissens mit großer Klarheit, und es gab eine Art Blitz von etwas anderem.

(Mutter versenkt sich in diesen Blitz
und verharrt im Zustand der Kontemplation)

 

1 "Formation" im Sinne von "Glaskugel, Goldfischglas", d.h. das Milieu, in dem wir leben.

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2 Vielleicht bezieht sich Mutter auf folgende Stelle in Die Stunde Gottes: "Der Versuch des menschlichen Lebens auf einer Erde läuft jetzt nicht zum ersten Mal ab. Er hat sich schon Millionen Male abgespielt, und das lange Drama wird sich noch Millionen Male wiederholen. In allem, was wir jetzt tun, in all unseren Träumen, unseren Entdeckungen, unseren schnellen oder schwierigen Errungenschaften ziehen wir unbewußt Nutzen aus der Erfahrung unzähliger Vorläufer, und unsere Anstrengungen werden sich auf uns unbekannten Planeten und noch ungeborenen Welten erfüllen."

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