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Mutters

Agenda

sechsten Band

4. August 1965

(Beim Sortieren von Mutters alten Notizen stößt Satprem auf folgenden Text:)

"Höre immer auf das, was der Herr der Wahrheit dir zu sagen hat, und laß dich in deinem Tun von ihm führen."

Das ist gut.

Ich frage mich oft... Man sagt doch, man solle das Handeln dem Herrn überlassen, aber muß man ihm denn nicht ein wenig behilflich sein?

(Mutter lacht) Gewiß kann er Hilfe gebrauchen!

Nein, das klingt wie ein Scherz, aber in Wirklichkeit WILL Er, daß man ihm hilft. Er will, daß wir ihm helfen, er möchte keineswegs, daß wir passiv und träge bleiben.

Er will, daß man ihm hilft.

Wenn man nämlich reglos in den Höhen verharrt, erscheint mir alles weiß, aber ein Weiß, in dem nichts geschieht.

Doch, es ist wunderbar! Aber vorausgesetzt, man lebt nicht in der Welt, sondern hat sich in eine Berghöhle oder in den Wald zurückgezogen. Denn im Leben der Welt kommen ständig all die Forderungen, Anwandlungen, Impulse und Wünsche der Umwelt auf einen zu, und wenn man passiv ist, wirken sie auf einen ein. Um sich davor zu schützen, muß man aktiv bleiben – dem Herrn helfen.

Aber diese Notiz war für jemanden bestimmt, der es nötig hatte, dies zu hören. Das sind keine – das sind NIE universelle Dinge, die auf jeden zutreffen.

Ich finde es schwierig, die Grenzlinie zu ziehen...

Ja, ja!

... zwischen dem persönlichen Eingreifen des Willens, der etwas tun möchte, und dem, was, wie mir scheint, in vollkommener Stille kommen sollte.

Ich bin jetzt in einem Zustand, wo... Ich höre Ihn nicht, aber ich nehme Ihn auf ganz konkrete Weise wahr: "Tue. Tue dies, tue das, tue jenes!..." So...

Ja, das bräuchte man.

Sonst fragt man sich die ganze Zeit, ob es das Richtige ist. Aber nun ist es so geworden: "Tue!" Und wenn nichts kommt, tue ich nichts. Aber ich habe festgestellt, daß es kommt, wenn es notwendig ist, und zwar ständig, sogar nachts. Sogar im "Schlaf" wird es so: "Tue dies, tue das!..." – nicht in Worten, aber sehr deutlich, man kann sich nicht irren.

Es hat lange, lange gedauert, bis es so weit war. Aber den Zustand, von dem du sprichst, in dem man sich ständig Fragen stellt, kannte ich jahrelang... Denn, wie ich dir sagte, um vollkommen weiß und reglos zu sein, muß man von der Welt zurückgezogen leben, darf niemanden sehen, nichts tun; dann kann man klar erkennen. Wenn man aber in der Welt lebt und ständig all diese Suggestionen auf einen zukommen, muß man das einsetzen, was man den "persönlichen" Willen nennt, solange man nicht einen sehr präzisen Befehl erhält.

Aber meine Aspiration war, immer das Richtige zu empfangen. Und es kommt, von einem bestimmten Punkt an kommt es sehr klar – für alles, selbst für die belanglosesten Dinge des täglichen Lebens: "Tue das und das und das!..."

Ja, genau das braucht man.

Aber ich muß sagen, es ist das Ergebnis einer jahrelangen Anstrengung – nicht Anstrengung sondern Wachsamkeit. Wachsamkeit: nie vergessen, daß man nur DAS will, und daß die andere Art nur eine vorübergehende Notlösung ist.

Jedenfalls ist gewiß (Sri Aurobindo schrieb dies irgendwo, ich habe es erst vor zwei oder drei Tagen gelesen), ganz gewiß, daß der Herr keine Automaten will, die Er antreibt. Das ist nicht das, was Er will: Er wünscht eine bewußte Zusammenarbeit. Allerdings kommt dann der Punkt, wo das Gefühl, eine Person zu sein, wirklich verschwindet; man fährt zwar fort "ich" zu sagen, denn wie soll man sich sonst ausdrücken? Aber wenn man "ich" sagt, hat man das Gefühl (nicht den Gedanken, das Denken dauert zu lange), eine Art Empfindung eines höheren Willens, der sich hier, an diesem Ort mit diesen Mitteln manifestiert.

Das kommt erst nach Jahren.

*
*   *

Kurz darauf, eine andere Notiz betreffend:

"Es mag jedoch sein, daß sie sich teilweise und vorübergehend in einem Individuum manifestiert hat, wie ein Versprechen und ein Beispiel ..."

Das ist eine Antwort an jemanden, der mich fragte, ob sich die supramentale Kraft schon vorher auf der Erde manifestiert habe.

*
*   *

(Gegen Ende des Gesprächs teilt Satprem Mutter mit, daß er einen Brief vom Krankenhaus in Vellore erhalten habe, worin man ihn fragt, wann er sich wieder untersuchen lassen wolle.)

Wirst du ihnen antworten?

... Oh, nein! Nie wieder kehre ich dorthin zurück. Dieser Ort ist für mich wie die Erinnerung an einen Albtraum.

Ich verstehe!

Es war schlimmer als im Krankenhaus von Pondicherry.

Oh! Hier war es abscheulich.

Ja, es war abscheulich, aber hier kam ich mir nicht krank vor. Dort dagegen hatte ich das Gefühl, krank zu sein 1 .

Im Moment, wo man ein Krankenhaus betritt, ist man krank!

Das ist es, genau das habe ich schon immer gesagt. So ist die medizinische Atmosphäre. Jules Romain sagte: "Der gesunde Mensch ist nur ein Kranker, der nicht weiß, daß er krank ist." Man ist von vornherein krank – es bleibt dabei, man ist krank, und wenn sie nicht sofort finden, was man hat, dann nur deshalb, weil man sein Leiden gut zu verstecken weiß!

Aber ich hatte so viele kleine interessante Erfahrungen dieser Art. Etwas, was hier und da im Körper nicht stimmte, eine Kleinigkeit. Solange man es nicht beachtet – vor allem solange man mit niemandem darüber spricht – und es dem Herrn übergibt (zum Beispiel wenn es weh tut), dann geht alles gut, man ist nicht krank: da ist nur "irgendwo eine Störung". Sobald man aber unglücklicherweise zu irgend jemandem ein Wort darüber verliert, insbesondere dem Arzt gegenüber, wer immer es auch sei, dann wird es sofort zu einer Krankheit. Und ich weiß warum: Weil die Zellen, die gestört sind, plötzlich den Eindruck haben, sehr wichtig, sehr interessant geworden zu sein. Und da dem so ist, muß man sich noch interessanter machen. Sobald man eine unharmonische Regung spürt, übertreibt man sie – und schon ist sie noch weniger harmonisch und setzt sich noch stärker durch.

Das hört sich an wie ein Scherz, aber es ist wahr. Es ist so, ich weiß es. Ich habe das sehr aufmerksam in meinen Zellen beobachtet. Wenn man ihnen jedoch stattdessen sagt (Mutter schlägt auf den Arm ihres Sessels): "Ihr Idioten! Das ist doch gar nicht eure Aufgabe, ihr seid lächerlich", dann halten sie sich still.

Was für eine herrliche Komödie!

Genau so war es mit meinem Auge 2 . Es passierte auch anderweitig (winzige Kleinigkeiten, irgendwo eine Störung, etwas, das sich aus irgendeinem Grund querstellte): Solange man nicht darauf achtet, geht alles seinen gewohnten kleinen Weg; sobald es aber jemand bemerkt oder man es dem Arzt zeigt (ja, vor allem, wenn es der Arzt sieht!), dann wird es zur Krankheit: es bläht sich immer mehr auf: "Oh, ich bin wichtig, man kümmert sich um mich!" Und schon wird die Regung intensiviert. Ein Glück, wenn es dann nicht wirklich ernst wird.

Man muß sofort sagen: "Nein, nein und nochmals NEIN! Du bist auf dem Holzweg, du machst dich nur lächerlich – sei still!" Dann kommt alles wieder in Ordnung.

Das ist sehr interessant.

Der Arzt kristallisiert die Krankheit, er läßt sie konkret und hart werden, und hinterher hat er das Verdienst, sie zu heilen... falls er kann.

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(Beim Weggehen legt Satprem seine Stirn auf Mutters Knie und empfängt eine massive Flut von Kraft. Wahrscheinlich sieht er nach dieser "Lawine" ein wenig benommen aus, denn Mutter bemerkt:)

Es kommt so (Geste Mutters, als ob sie die Materie behämmerte). Interessant ist aber, daß es direkt von oben kommt, und wenn es die Erdatmosphäre erreicht, sammelt es sämtliche Energien der Erde und schlägt ein (gleiche Geste). So ist es jetzt. Ein ziemlich starkes goldenes Licht, das als massive Flut herabsteigt, worauf es die Erdatmosphäre berührt, die vitalen Energien der Erde ANZIEHT und sammelt, und dann so macht (die gleiche Geste mit der Faust). Ich sehe es – ich sehe die Sache – sie geht durch meine Arme, meine Hände... (Mit einem spitzbübischen Lächeln:) Fühlst du etwas, oder fühlst du nichts?

Oh ja, ich fühle die Kraft!

(Mutter lacht über Satprems Ton) Um so besser!

Wirklich sehr interessant. Es wird stärker und stärker... Tag für Tag. Monat für Monat.

(Die Uhr schlägt)

Gut, wir pfeifen auf die Ärzte. Auf Wiedersehen, mein Kind!

 

1 Das Krankenhaus von Vellore mit amerikanischen Ärzten war viel besser "in der Krankheit organisiert", wenn man so sagen darf.

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2 Mutter hatte vielfach blutunterlaufene Augen.

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