Mutters
Agenda
sechsten Band
6. November 1965
Geht es dir besser?
Nicht wirklich.
Oh je!... (Lachend) Was soll man da machen!?
Nachts, seit zwei oder drei Nächten, aber besonders letzte Nacht (spät in der Nacht, nach Mitternacht), wurde ich mindestens zwei Stunden lang von einer ungeheuer schnellen Bewegung fortgerissen. Ich liege auf etwas, das wie ein silbernes Licht ist – ein silbernes Licht. Ich liege darauf, bin darin eingehüllt und werde von einer so schwindelerregenden Bewegung erfaßt, daß man das Gefühl hat, der Kopf würde platzen.
Und da sind Leute mit mir – du bist auch dabei.
Wirklich?
Ja!
Letzte Nacht hielt es zwei Stunden an. Man möchte sich festhalten, so schwindelerregend ist es... Ich weiß nicht, aber mitten in dieser Erfahrung von letzter Nacht wurde es mir ein wenig bewußt, und es war... (Geste einer rasenden Bewegung) Aber sofort kam der Befehl: "Ruhig, ruhig, rühr dich nicht, ruhig!" Also rührte ich mich nicht. Das dauerte fast zwei Stunden. Man bewegt sich mit dem Kopf voran (nicht die Füße zuerst), der Kopf wird gezogen.
Ich weiß lediglich, daß es mit der Transformation des Körpers zusammenhängt. Aber wie erkennt man, daß es schnell ist? Da ist nichts als die Bewegung und die Empfindung des eigenen Körpers, auf schwindelerregende Weise mitgerissen zu werden.
Ich bemerkte einige Personen – du warst auch da. Prrt, ungeheuer schnell. Ich sagte mir (lachend), das geschieht bestimmt, um ihn wieder gesund zu machen. Aber eine Bewegung... Ich sage dir, das Bewußtsein war gerade erwacht, und ich wollte das Phänomen beobachten, als sofort der Befehl kam: "Ruhig, ruhig, rühr dich nicht, ruhig, nichts darf sich regen!"
Das muß wohl der Augenblick sein, wo du tief schläfst – zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens.
Aber man erinnert sich nicht, man wird wie mitgerissen – vielleicht ist das die Geschwindigkeit eines Kometen. Ich sagte mir: Das ist eine "drastische" Behandlung, wie man auf englisch sagt.
Aber nachts zuvor war es nicht so stark (es kam schon zwei oder dreimal vor). Letzte Nacht war es sehr stark, und es hielt lange an... Ich dachte: Vielleicht wird er morgen früh ein Lächeln zeigen... Aber es war leider nichts damit. (Mutter lacht)
Ich sehe eher Dinge, die nicht besonders lustig sind.
Nachts? Was siehst du?
Alle möglichen Dinge.
Auch kürzlich?
Angriffe. Dinge tauchen aus Gewässern auf.
Aus dem Vital.
Aus dem Meer?
Nein, aus schwarzen Gewässern.
Oh! Aus dem dunklen menschlichen Vital.
Sehr aggressive Schlangen. Auch auf mentale Weise verfolgen mich äußerst gewalttätige Dinge.
Was meinst du damit?
Ich werde angegriffen. Wenn ich auf all das hören würde, was kommt, wäre es ein Wahnsinn. Wenn ich dem stattgeben würde... Verstehst du, es bestürmt mich immer wieder. Das ist sehr unangenehm. Und ein Schmerz in der Tiefe – ein Leiden.
Kannst du mir ein Beispiel für die Suggestionen nennen, die dich bedrängen?
Im allgemeinen geht es um dich und den Ashram.
Um mich?
Ja, im allgemeinen. Oder um das, was ich tue, was ich bin (oder nicht bin).
Und du weißt nicht, woher es kommt?
Nein. Aber vor einiger Zeit ereignete sich etwas, was vielleicht damit zusammenhängt. Ich sah Patrick, erinnerst du dich? 1
Sieh an!
Er wollte mir eine Art Splitter in den Schädel drücken, und ich fühlte, daß dies äußerst gefährlich war. Da sagte ich OM und alles verschwand – ein Glück, daß ich mich daran erinnern konnte! Jedenfalls sind da Dinge, die mich sehr heftig attackieren.
Aber du solltest dich jedesmal auf diese Weise dagegen wehren.
Ja, wenn einem das nur gelänge! Man hat nicht immer das Glück, sich zu erinnern.
(Mutter lacht) Du bist doch lernfähig, oder?
Was sagt man dir über mich? (Um die Art der Suggestion einzuschätzen.)
Es sind eher Details...
Ich meinte: Beschuldigt man mich, oder sagt man dir, ich bräuchte dich nicht oder...
Das nicht. Es betrifft eher meine Beziehung zu dir, oder die Unmöglichkeit gewisser Kontakte, oder... Ich finde nur Frieden, wenn ich mich nach oben wende; ich sage: "Ja gut, betrachten wir DIE Mutter" dort oben.
Ja, das ist es.
Dort ist es dann ruhig.
Dies geschieht, damit du dir über die Unzulänglichkeit der Außenwelt klar wirst. (Lachend) Aber du kennst mich ja!
Jedenfalls ist es nicht gerade angenehm... Oder es überfällt mich plötzlich, und es ist wirklich wie ein Schmerz – ohne Worte, ohne irgendeine Erklärung – wie ein Schmerz in der Tiefe, eine Flamme des Schmerzes.
(Langes Schweigen) Das wird vorübergehen.
*
* *
(Daraufhin macht sich Mutter an die Übersetzung von Savitri und hält dann plötzlich inne, als verfolge ihr Blick etwas:)
...So groß: eine Sonne, eine im Licht Sri Aurobindos funkelnde Sonne, sobald ich schreibe, da, zwischen mir und dem Heft, und es bewegt sich gleichzeitig mit der Feder hin und her. Es ist so groß (etwa wie eine Orange), wie Sri Aurobindos Licht, blau, dieses spezielle Blau, silberblau, funkelnd. (Lachend) Und es fällt mir schwer, die Schrift zu sehen, denn diese Scheibe bewegt sich mit der Feder hin und her.
*
* *
Kurz darauf tritt Doktor Sanyal ein, das Zeichen, daß es Mittagszeit ist.
Ah, der Herr Doktor! So haben wir uns also verspätet!
Eines Tages werde ich pünktlich sein... Vielleicht, indem ich mich auf diese schwindelerregende Art bewege...
Du kennst doch das Gefühl, über hundert Stundenkilometer mit dem Auto zu fahren?... Aber im Vergleich zu dieser Geschwindigkeit scheint das, als ob sich gar nichts bewegte. Es war nicht physisch, denn mein Bett bewegte sich nicht, aber es war so ungeheuer schnell, daß man die Reibung der Geschwindigkeit spürte. Und mit dem Kopf vornweg: ich bewegte mich mit dem Kopf voran. Ich ging nicht mit den Füßen zuerst, denn ich lag ja, sondern mit dem Kopf voran, brrf, wie im Sog von etwas. Meine Augen waren offen. Aber natürlich bewegte sich mein Körper nicht – sichtbar bewegte sich jedenfalls nichts!... Oh, ich erinnere mich, ja, nachts zuvor bewegte sich das ganze Haus, und ich befand mich in einem Zimmer, das mit dieser Geschwindigkeit dahinsauste, ich schaute all dem zu, wie es vorbeiraste, phantastisch! Gestern war es nicht das Haus, sondern nur... eine Art Säule... wie soll ich sagen? Keine Säule: ein Streifen. Ich lag da, auf diesem Streifen, aber ich war sehr groß, nahm sehr viel Platz ein, und da waren viele Leute, die alle klein waren (Mutter zeichnet kleine Männchen in die Luft), viele, viele!
Ja, ich erinnere mich, die Nacht davor bewegte sich das Zimmer: ein quadratisches Zimmer, aber ohne Wände, nur mit Fenstern, und es raste dahin... Dann plötzlich hielt alles inne, Schluß – nicht Schluß, auch nicht Stillstand, nein, das Bewußtsein ändert sich, ein Bewußtseinswechsel, und es hört auf.
Ja, jetzt erinnere ich mich. Zuerst ein leeres Zimmer – leer – ein vollkommen leerer Raum. Da war nichts, nur dieser Streifen. Weißt du, so etwas wie ein Förderband, nur war es da statt eines Bandes ein Streifen silbernen Lichts, der dahinrollte. Ein Streifen silbernen Lichts mit kleinen glitzernden Funken. Ich lag darauf (viele andere Leute ebenfalls), und er raste dahin...
1 Ein Freund von Satprem, der vor sieben oder acht Jahren geistesgestört in einer japanischen Klinik starb.