SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 07 Bande

Mutters

Agenda

siebenten Band

9. November 1966

(Satprem liest Mutter einige Stellen aus dem Sannyasin vor, insbesondere die Szene, wo der Sannyasin mit dem Rücken zum Tempeltor steht und sowohl seinen "spirituellen Himmel" wie auch die Erde verloren hat, letztere in Gestalt der Frau, die er liebte.)

Dieses Bild (des an das bronzene Tor gedrängten Sannyasins) war so stark, weißt du... Jedesmal, wenn du davon sprichst, sehe ich wieder meine Vision 1 . Da war der Tempel – man sah nur das Tor und die Mauer – und die Spitze eines Berges mit diesem steilen Hang, und dann ein schmaler Weg zwischen Tempel und Abgrund, und eine brüllende Menschenmenge, die die Straße heraufstürmte, und dann...

Und immer sehe ich wieder dasselbe.

Das MUSS sich tatsächlich ereignet haben, denn es hat die Intensität von etwas physisch Dagewesenem.

Tatsächlich war meine erste Idee für das Buch dieses Kind da, das sterben muß. Und genau dies führt zu einem Aufruhr unter den Leuten, die den Sannyasin verfolgen. Dann versuchte ich, dies darzustellen, ohne daß das Mädchen stirbt.

Ja, das ist besser, lieber ohne die Verfolgung der Menge. Sonst könnte man denken, er werde von der physischen Angst an die Wand gedrückt, und dann hätte es nicht mehr dieselbe Kraft.

Die Vision war eine Erinnerung, das heißt etwas, das im "Gedächtnis der Erde" existiert. Aber das ist kein Grund, eine Geschichte daraus zu machen. Es ist besser, dein Buch hat eine tiefgründigere Basis.

Und in dem Augenblick hat er dann diese Reaktion gegen den Asketismus?

Ja, weil er das Mädchen verloren hat. Nicht physisch; er verliert sie, weil sie ihn zurückweist. Sie sagt: "Aber du bist jetzt ein Sannyasin, also ist es aus." Er ist aus seinem Himmel gefallen, hin zum anderen Extrem, um ein gewöhnliches Leben mit ihr zu führen. Und sie sagt nein. Sie sagt: "Das ist doch kein neues Leben."

Aber wird das nicht so aussehen, als trauere er nur dem sexuellen Vergnügen nach? Das würde das Ganze nämlich auf eine sehr niedrige Ebene ziehen. Übelgesinnte Leute würden sagen: "Ach ja! Das sexuelle Verlangen ist eben viel stärker als das spirituelle Leben."

Das hängt davon ab, wie es gesagt wird. Diese Frau... es ist keine Frau, sie ist beinahe noch ein Kind. Es hat nie eine Liebesbeziehung zwischen ihnen gegeben; sie ist zwölf oder dreizehn, und ihre Beziehung besteht schon lange. Selbst das Wort "Liebe" ist nie zwischen ihnen gefallen; da ist nur ein Bedürfnis, zusammenzusein, ein Bedürfnis nach Vereinigung. Sie spürt, daß dieser Sannyasin und sie eine Einheit sind, ein Ganzes, und sie spürt, daß Zusammensein nicht "heiraten" bedeutet. Aber sie spürt die Harmonie, die Einheit mit ihm.

O ja! Es wäre eine gute Sache, wenn man den Leuten nur klarmachen könnte, daß wahre Liebe nichts zu tun hat mit der sexuellen Verbindung oder vitalen Anziehung, nicht einmal mit den gefühlsmäßigen Banden – all dies hat nichts zu tun mit wahrer Liebe 2 . Aber die Menschen verstehen das nicht. Selbst wenn sie das Wort "Liebe" verwenden, denken sie sofort an die sexuelle Vereinigung, und das ist fatal, die Idee der Liebe wird dadurch völlig verfälscht.

Ich weiß nicht, ich habe Pavitras Buch Über die Liebe nicht gelesen. Hast du es gelesen? Ist dieser Punkt klar in seinem Buch?

(Satprem zieht eine Grimasse)

Nicht klar?

Ich finde, etwas an seinem Buch ist falsch. Falsch – oder falsch ausgedrückt.

Falsch?

Ihm zufolge gibt es zwei Wege: den "Weg nach außen" und den "Weg der Rückkehr". Der Weg nach außen – das sind die Menschen, die sich von Gott entfernen, die im Leben der Welt stehen und Ehemann, Ehefrau usw. sind. Und dann der Weg der Rückkehr, der "wahre Weg" der Rückkehr zu Gott, auf dem alle diese Dinge ein Hindernis sind... Also für mich ist das eine Verfälschung.

Natürlich!

Was ist denn das überhaupt, dieser "Weg nach außen", der von Gott wegführt, und diese "Rückkehr", wo alle menschlichen Beziehungen ein bloßes Hindernis sind?... Die Rückkehr ist doch im Gegenteil, wenn man den ganzen Weg hinauf gegangen ist...

Ja, und man dann das Göttliche herabsteigen läßt.

Genau.

Ja, das ist Rückkehr.

Aber für ihn heißt Rückkehr: man erhebt sich wieder zu Gott – und dann?...

Das wäre dann das Ende des Lebens!

Ich war sehr schockiert, als ich das las. Ich wollte es ihm sagen, aber dann schwieg ich doch... (Mutter nickt zustimmend) Ich persönlich habe die Rückkehr immer als den absteigenden Pfad gesehen.

Der Herr kommt hier herab.

Ja, die Wahrheit kommt herab. Rückkehr heißt nicht aufsteigen, nein; aufsteigen ist im Gegenteil der wirkliche "Weg nach außen".

O ja.

Es begann mit dem Stein – und man sieht sehr wohl den Unterschied zwischen dem Stein und der Pflanze, der Pflanze und dem Tier, dem Tier und dem Menschen. Man sieht die ganze Materie, die strebt, immerfort zum Herrn strebt – das ist der "Weg nach außen". Von Anfang an war das so. Es steigt auf mit all seinen Irrtümern, seinen Verwirrungen, Lügen und Verzerrungen – aber ALLES steigt auf. Und die Rückkehr ist das, was ich in der Botschaft gesagt habe, die ich am 4.5.67 geben werde: "Das Gefängnis, das sich in die göttliche Wohnstätte verwandelt." 3

In dem Buch, das ich schreibe, möchte ich aufzeigen, daß genau die Berührung dieses Lichts der Punkt ist, um wieder herabzusteigen; daß die Wahrheit nicht das Ende da oben ist – da oben, das ist erst die Hälfte.

Ja! (lachend) Es ist der Anfang vom Ende.

Mein ganzes Buch baut darauf auf.

Das ist sehr wichtig. Denn die erste Regung aller Leute, die anfangen, das Leben abscheulich zu finden, ist doch: von da wegzukommen – bei allen. Ich erhalte haufenweise Briefe; sobald sie das Leben widerlich finden, sobald es nicht mehr etwas Wunderbares ist, sagen sie sich: "Oh, jetzt ist es aber genug! Ich will da raus, nichts wie raus!" Ja, das ist die erste Regung: man steigt auf, aber nur, um wieder herabzukommen und die Dinge HIER zu verändern – nicht um alles aufzugeben, sondern um die Dinge zu verändern.

Buddha steht für das extremste Aufgeben. Seine Lehre führte zur Aufgabe des Lebens, und das stellte den Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Schön und gut... Damals wurde der Gipfel erreicht, die Vision des Gipfels. Aber wir müssen wieder herunterkommen.

Das verstehen sie nicht, sie sind immer noch da oben – alle.

Das sage ich ja gerade. Sein ganzes Buch ist so: Der Weg nach außen entfernt sich vom Herrn, und der Weg der Rückkehr steigt wieder zum Herrn auf. (Sich an Sujata wendend:) Nicht wahr, so ist es doch in seinem Buch?

(Sujata:) Dieses Buch... ich weiß nicht, mir kam es etwas sonderbar vor.

Zum Göttlichen zurückkehren, ja, das ist das Nirvana.

Nur, sobald man dort ist und in Kontakt mit dem Göttlichen, sagt es einem: "Geh wieder hinab! Bleib nicht hier, dies ist nicht dein Platz!"

Aber in dieser Hinsicht führe ich einen verzweifelten Kampf gegen all diese Leute, die sich das spirituelle Leben so vorstellen: Brrt! und man geht weg. Dabei ist das erst der Anfang. Ich halte dem immer die Geschichte Buddhas entgegen: Als er im Begriff war, ins Nirvana einzutreten, wurde ihm schlagartig klar, daß die Erde verändert werden mußte... worauf er blieb.

Dazu fällt mir etwas ein im Zusammenhang mit Madame David-Neel. Sehr interessant. Sie war gekommen, um einen Vortrag zu halten. Ich kannte sie bis dahin nicht und lernte sie erst dort kennen. Ich glaube, es war im Rahmen der Theosophischen Gesellschaft. Ich besuchte den Vortrag, und plötzlich, während sie sprach, sah ich Buddha – ganz deutlich: nicht über ihrem Kopf, sondern ein bißchen seitlich. Er war zugegen. Nach dem Vortrag machte man uns dann miteinander bekannt. Ich wußte noch nicht, was für eine Art Frau sie war, und sagte ihr: "Oh, Madame! Während Sie sprachen, sah ich Buddha!" Sie antwortete (wütende Stimme): "Ach, das ist völlig unmöglich, Buddha ist im Nirvana!" (Mutter lacht) Oh! Nun denn... Ich dachte mir: "Sei lieber still!"

Aber er war wirklich da, was sie auch denken mochte.

Und genau dies bedeutet wegzugehen.

Ich verstehe nicht, warum Pavitra, der doch hier ist, so schreiben kann.

Ach, ich verstehe sein Denken sehr wohl: er hat eine zu kurze Sicht, mein Kind! Er sieht, daß das ganze Streben der Erde auf das Göttliche, auf die Vereinigung mit dem Göttlichen gerichtet sein muß. Er sieht... (wie soll ich sagen?), was zuerst kommt, aber von zu nah, mit einem ungenügenden Abstand. Und so ist die Rückkehr für ihn die Rückkehr zum Göttlichen.

Doch wenn man ihm sagen würde: "Also die Aufhebung, das Nirvana", so würde er antworten: "Nein, nein, keineswegs!" Nur sieht er das nicht.

Im Grunde ist es eine dreifache Bewegung: Zuerst die Schöpfung als "Flucht vor dem Göttlichen" (gemäß der normalen Vorstellung, die besagt, daß die Schöpfung "gefallen" ist und sich vom Göttlichen "entfernt" hat, so wie sich die Menschen vom Göttlichen "entfernt" haben) – das war die erste Bewegung. Aber das ist nur so, weil er keinen Abstand hat; er sieht nicht, daß das Göttliche bis auf den tiefsten Grund des Unbewußten hinabgetaucht ist (und das ist es ja: warum ist es bis auf den Grund des Unbewußten gegangen?... Dies muß "in Betracht gezogen werden" – Mutter lacht – man weiß noch nicht, wie man es erklären soll: jeder drückt es anders aus.) Es ist bis auf den tiefsten Grund gegangen (ich glaube, ich weiß warum, aber das ist für später), noch unter den Stein (Mutter macht eine Geste der Unveränderlichkeit, ganz unten), noch unter das Mineral. Das Mineral ist bereits ein Beginn des Erwachens des Bewußtseins... Man muß es nur in seiner Gesamtheit sehen, um zu verstehen, daß es ein Aufstieg ist. Wenn man das gegenwärtige menschliche Leben betrachtet, hat man den Eindruck, die Menschen hätten sich im "Fall" verloren, doch das ist das Werk des Mentals. Das Mental mußte die ganze Erfahrung machen, es mußte bis auf den Grund gehen, um alles zu verstehen und den Aufstieg wieder in Angriff zu nehmen. Für die Pflanzen ist es wirklich ein Aufstieg. Nun, nach dieser Sicht gibt es drei Bewegungen. Aber wenn man das Ganze zusammen sieht, sind es nur zwei: Die erste Bewegung ist der Abstieg des Herrn ins Unbewußte (dazu kann man im Augenblick nichts sagen; erst wenn man daraus aufgetaucht ist, wird man etwas sagen können). Die zweite (die erste, die wir uns vorzustellen vermögen) in Form einer sehr, sehr langsamen Bewegung durch alle möglichen Erfahrungen hindurch, selbst durch die vollständigsten mentalen Verneinungen des Göttlichen, ist der Aufstieg zum Göttlichen. Und dann, wenn man aufgestiegen ist... (Mutter macht eine Geste des Absteigens): "Kommt hierher, hier ist's: verwandelt dieses Gefängnis in eine Wohnstätte des Göttlichen!"

Das wird eine sehr gute "Botschaft" für den 4.5.67 abgeben.

Die Vier ist die Manifestation. Die Fünf ist die Macht. Sechs ist die Schöpfung, und Sieben ist die Verwirklichung. Vier Zahlen in einer wunderbaren Reihenfolge. Hier ist die Verwirklichung – Ihr wollt die Verwirklichung? Bitte sehr, hier ist die Verwirklichung: das in eine Wohnstätte des Göttlichen umgewandelte Gefängnis. Für Leute, die sagen: "Mit der Erde läßt sich nichts machen, sie ist geliefert ...", ist dies die richtige Antwort.

*
*   *

Hätte der Mensch nicht gedacht, daß es ein "Fall" sei, so hätte er niemals den Willen gehabt, wieder aufzusteigen. Er mußte notwendigerweise denken, es sei ein Fall – aber es ist keiner, es ist... etwas anderes, und ich bin gerade im Begriff, es zu entdecken.

*
*   *

(Etwas später, beim Erstellen der französischen Übersetzung der "Botschaft" für den 4.5.67, hält Mutter bei einem Wort inne, dessen Übersetzung ihr nicht kommen will.)

...Ich denke an nichts – ach, weißt du, das ist ein Segen, mein Kind! Ich denke niemals an etwas, bei nichts! Ich bin einfach so (Geste einer reglosen, nach oben gerichteten Kontemplation). Das einzige, was in Worten kommt, ist: "Herr, Du... was Du willst, was Du weißt, was Du machst, es gibt nur Dich. Du." So (dieselbe Geste der Reglosigkeit). Und dann plötzlich, ohne daran zu denken, ohne zu suchen – kommt, paff! ein Lichttropfen. Ah!

Das ist praktisch.

 

1 Siehe Agenda I, vom 20. November 1958

Rückwärts zum Text

2 In Mutters Papieren fanden wir folgende Notiz: "Wenn man vom sexuellen Verlangen spricht, müßte man, anstatt ihm den hehren Namen der Liebe zu verleihen, es einfach vitaler Kannibalismus nennen."

Rückwärts zum Text

3 "Das irdische Leben ist die selbstgewählte Wohnstätte einer großen Gottheit, und vom ewigen Anbeginn her ist es ihr Wille, dieses blinde Gefängnis in ihre prächtige Wohnstätte zu verwandeln und in einen hoch aufragenden Tempel, der den Himmel berührt." (Sri Aurobindo)

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English