Mutters
Agenda
achten Band
30. Mai 1967
(Mutter reicht Satprem ein Suppenpäckchen aus Israel.)
Armes Israel...
Ach, es ist widerlich! Wieder so eine empörende Geschichte 1 .
Oh, ja... Es ist eine künstlich hochgespielte Geschichte, und Indien – Indien...
Bah!
Indien weiß nichts Besseres zu tun, als diesem Individuum seine Unterstützung zu geben. Das ist traurig, und so gemein!
Ich habe einen Brief von jemandem erhalten (nicht von dort), in dem steht, es herrsche ein so starker Geist von Brüderlichkeit und Kooperation in dem Land, wie er es in dieser Form sonst nirgendwo gesehen habe.
Die Menschheit scheint böse Dinge im Schild zu haben.
Ja. Aber daß ausgerechnet Indien, das doch für etwas Wahreres stehen sollte... Das tut wirklich weh.
Ach! Die natürliche Tendenz hier ist gegen die Moslems, somit sagen sich die Leute, die sich für überlegen halten, man müsse über seinen Antipathien stehen: "Ergreifen wir Partei für sie." (Mutter lacht) So geht ihre Logik.
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(Etwas später, den Brief Sri Aurobindos über den Kommunismus betreffend, den Mutter im nächsten Bulletin veröffentlichen möchte:)
Ach, mein Kind, ich habe einen Zeitungsausschnitt aus dem Figaro erhalten. Anfang April sagte der indische Kulturattaché in Paris, die russische Regierung habe den Wunsch geäußert, sich am Aufbau von Auroville "zu beteiligen". Ich habe noch keine Bestätigung dafür erhalten, aber es steht im Figaro. Wenn das stimmt, ist es vielleicht nicht angebracht, die "fallacy" [den Trugschluß] von Karl Marx zu veröffentlichen! (Mutter lacht) Vielleicht ist es besser, damit etwas zu warten... Ich habe sehr gezögert, dies zu veröffentlichen, weil es sich um einen Brief handelt und mir Sri Aurobindo immer sagte, er habe in den Briefen seine politische und soziale Meinung sehr offen ausgedrückt, und er wollte nicht, daß dies veröffentlicht werde. Während sehr langer Zeit habe ich die Veröffentlichung abgelehnt. Jetzt sind wir flexibler geworden; aber vielleicht ist der Zeitungsausschnitt gekommen, um mir zu sagen, daß es klüger ist, noch etwas abzuwarten.
Ja, es ist nicht nötig, sie zu verletzen.
Nein, denn es ist immer nur eine Seite des Problems. Sri Aurobindo zeigte immer alle Seiten auf, und als Ganzes gesehen, ergibt das etwas, das weit über allen Meinungen steht. Folglich ist es nicht gut, nur einen Teil ohne sein Gegenstück zu veröffentlichen.
Vielleicht wird der Augenblick kommen, wo wir über Sri Aurobindos Vision sprechen müssen und wie sich die Welt seitdem entwickelt hat (das wäre sehr interessant). Dazu müßten wir alles zusammenstellen, was er über die verschiedenen Themen gesagt hat... Insbesondere hatte ich schon lange vor, den religiösen Standpunkt aufzuzeigen. Zwei Dinge kann man nicht berühren, ohne sofort die menschlichen Leidenschaften aufzurühren: die Politik und die Religion – und genau diese völlig engstirnige Sicht bewirkt, daß die Menschen nichts mehr verstehen. Es ist besser, damit noch ein wenig zu warten. Vielleicht in zehn Jahren... Wohl möglich, denn die Dinge gehen schnell voran. Vielleicht können wir in zehn Jahren mehr sehen und etwas sagen. Jedenfalls ist es besser, den Brief vorerst auf die Seite zu legen. (Lachen) Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt, um ihnen Steine vor die Füße zu werfen!
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Mutter versinkt in eine lange Meditation
Heute morgen um halb fünf diskutierte ich mit dir... über die Art, etwas auszudrücken! Ich wachte auf, während ich einen Satz aussprach (jetzt habe ich ihn vergessen). Ich sagte dir: "Es ist besser, dies so zu sagen." Um halb fünf!
Vorher habe ich nie Worte gehört, nie, das ist völlig neu. Es geschieht seit einigen Wochen. Immer erwache ich so, während ich Sätze ausspreche... Das tat ich vorher nie... Ich weiß nicht, warum das so ist.
Es war "die beste Art", die Sache auszudrücken... Was? Ich weiß es nicht.
Wahrscheinlich die Hitze!
1 Präsident Nasser hatte eben den Golf von Akaba für die israelische Schiffahrt gesperrt. Er verlautete, er wolle "die Vernichtung Israels".