SITE OF SRI AUROBINDO'S & MOTHER'S  YOGA
      
Home Page | 08 Bande

Mutters

Agenda

achten Band

29. Juli 1967

(Zu Beginn dieser Unterhaltung drückte Mutter ihre heftige Unzufriedenheit aus, denn eine angeblich von ihr verfaßte Notiz zum Thema der Araber und Israelis 1 war in "Mother India" publiziert worden unter dem Titel: "Die Juden und die Araber". Mutter protestierte gegen die Anwendung des Wortes "Jude", das nur einen einzigen israelischen Stamm betrifft und eine abwertende Bedeutung angenommen hat).

Es wurde so sehr als Schimpfwort benutzt...

Nun, als diese Notiz erschien, brachte es diese Angelegenheit wahrscheinlich in die Atmosphäre, und heute morgen hatte ich eine äußerst konkrete Erfahrung...

Seltsam, es ist, als ob man plötzlich aus einer konventionellen Atmosphäre des Denkens heraustreten würde – eine Art globale Atmosphäre (ich will nicht sagen, eine gewöhnliche Denkweise, aber es gehört zum Bereich der menschlichen Mentalität), und darüber liegt etwas, das die Dinge völlig anders sieht... Ja, gewöhnlich sieht man sie so (Geste von unten), und "das" sieht sie so (Geste von oben). Wenn man dort eintritt, sind es Dinge, die man hier kennt (man kennt sie, es ist nichts Neues), aber es wird mit einer völlig anderen Betrachtungsweise gesehen. Natürlich wurde es auf andere Weise notiert... (Mutter sucht eine Notiz)

Es kam auf zwei Arten. Diese Dinge werden GESEHEN, nicht wahr: gesehen. Die Worte kommen später, um zu versuchen, das zu beschreiben, was gesehen wurde. Als erstes kam folgendes:

Die Christen vergöttlichen das Leiden, um daraus ein Heilmittel für die Erde zu machen.

Dann kam es mit nur einem kleinen Unterschied. Es sind Feinheiten, aber... In intellektueller Hinsicht sind es Subtilitäten ohne Wert, aber dort oben ist es, als berührte man mehr oder weniger den Kern der Dinge, das heißt ihre Essenz – die tiefe Essenz der Ereignisse. So kam ganz einfach folgendes:

Das Christentum VERGÖTTERT das Leiden, um daraus ein Instrument für das Heil der Erde zu machen.

Es ist schwierig zu erklären, denn der BEWUSSTSEINSZUSTAND ist anders... Jetzt ist es eine Erinnerung, aber in dem Moment war es eine Vision – eine sehr tiefe, sehr genaue Schau, die natürlich alles, was auf der Erde geschah, aber auch alle Arten, es auszudrücken, übertraf. Die Persönlichkeit Christi, alle diese Dinge waren so anders! Und sie wurden... ja, vielleicht könnte man sagen symbolisch... aber es ist nicht das. Zugleich ordnete es diese Religion unter allen anderen ein und gab ihr einen ganz bestimmten Platz in der irdischen Evolution (in der Evolution des irdischen BEWUSSTSEINS).

Die Erfahrung dauerte eine halbe Stunde, aber alles war anders – nicht in seiner Erscheinung, sondern in seiner tieferen Bedeutung... Lag der Unterschied in meinem aktiven Bewußtsein? Ich weiß es nicht. Was ich meine: Berührte ich eine Region des Bewußtseins, die für mich neu war? Das ist möglich. Aber es erschien mir als eine völlig andere Vision der Erde und der Geschichte des Menschen.

In dem Moment erinnerte ich mich an das, was Sri Aurobindo geschrieben hatte: "Die Menschen lieben das Leiden, und deshalb hängt Christus immer noch an seinem Kreuz in Jerusalem." 2 Das war... (lächelnd) wie eine Art Gedankenschaum, der völlig an der Oberfläche lag, ganz oben, der ins Licht dort oben getaucht auf intellektuelle Weise das ausdrückte, was ich sah (Geste von oben), was von oben kam... Im Hinblick auf das Licht war es eine sehr interessante Erfahrung.

Wie war die Geschichte von oben gesehen?

Sri Aurobindo sagt: "Der Mensch liebt das Leiden, und deshalb hängt Christus immer noch an seinem Kreuz in Jerusalem." Dann sagte ich: Das Christentum (ich will sagen der universelle oder irdische Ursprung dessen, was sich auf der Erde durch die christliche Religion ausdrückt), die Aktion dieser Religion auf der Erde war es, "das Leiden zu vergöttlichen", denn es war notwendig, daß die Menschen die "raison d'être" (den universellen Seinsgrund) des Leidens nicht nur als Mittel der Evolution auf der Erde verstehen, sondern diese "raison d'être" fühlten und ihr zustimmten. Im Grunde könnte man sagen, daß sie das Leiden verheiligten, damit es als unentbehrliches Mittel für die irdische Evolution anerkannt wird.

Diese Aktion ist mehr als ausgebeutet worden, und man müßte jetzt darüber hinaus gehen. Man muß sie hinter sich lassen, um etwas anderes zu finden.

Einmal sagtest du auch: "Nicht ein gekreuzigter, sondern ein verherrlichter Körper wird die Welt erretten." 3

Ja, ein Christ schickte mir ein Bild von Christus am Kreuz, und dann darüber der auferstandene Christus in seinem Aufstieg zum Himmel – so sehen sie die Erlösung!

Es spielt sich dort oben ab.

Ja, indem man zum Himmel aufsteigt.

(langes Schweigen)

Hattest du manchmal diese Art von sehr globaler Vision in Zeit und Raum, wo jede Sache ihren Platz einnimmt und wo alles durch ein totales Bewußtsein koordiniert wird?... (Vielleicht ist das nur für mich neu.) Es ist eine Vision des Wissens. Ständig ist mein Bewußtsein (Geste darüber und darum herum) ein Bewußtsein der Aktion. Seit dem Beginn dieser Pulsationen der schöpferischen Liebe ist es ein Bewußtsein der Aktion: immer die Aktion – die Aktion, die Aktion, die ewige Aktion; im Grunde eine immerwährende Schöpfung.

Aber heute morgen war es keine Aktion: Es war (lachend) die "Feststellung", ich könnte sagen, die Beobachtung dieser Aktion, wie eine Art Vision, wie man ein Gemälde sieht. Anstatt auf der höchsten intellektuellen Ebene zu sein, die absolut umfassend ist, die jede Sache an ihren Platz stellt, war es... (wie soll man das erklären?) Es ist ein Wissen durch eine subjektive Schau. Keine Schau von etwas, das einem fremd ist, sondern der gleiche Bewußtseinszustand wie jener, der handelt, aber anstatt nur zu handeln, sieht er gleichzeitig. So war die Erfahrung von heute morgen. Es war ziemlich neu, in dem Sinne, daß ich sie nur ab und zu auf diese Art hatte, aber niemals in dieser Totalität, dieser Klarheit und dieser Art Absolutheit. Es ist das Empfinden eines offensichtlichen, absoluten, indiskutablen Wissens – kein Versuch, "etwas auszudrükken": Es ist SEHEN. Es ist wirklich sehen, sehen, aber sehen... nicht eine Sache nach der anderen sehen: alles gleichzeitig, eine Ganzheit in Raum und Zeit. Und jedes Detail in vollkommener Präzision, was es ermöglicht, so etwas (die Notiz über das Christentum) zu schreiben.

Um klar zu sein, muß ich alles erzählen. Gestern sprach ich mit jemandem über die ständige Gegenwart Sri Aurobindos, der hier ständig sieht, spricht, handelt. Nachdem ich das gesagt hatte, fragte ich mich: "Wie kommt es, daß dieses Gehirn ..." Denn ich glaube, ich habe dir schon gesagt, daß ich, nachdem Sri Aurobindo seinen Körper verlassen hatte, mehrere Male, an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen, während ein oder zwei Stunden aufrecht neben seinem Bett stand, und ich fühlte – ich spürte es MATERIELL –, wie das, was aus seinem Körper austrat, in meinen eindrang. Es war so stark, daß ich mich erinnere, gesagt zu haben: "Wenn irgend jemand das Überleben leugnet, habe ich nun den Beweis, daß ein solches existiert." Da sagte ich mir: "Warum funktioniert mein Gehirn immer noch nach seiner gewöhnlichen Routine, wo doch das Bewußtsein der Gegenwart konstant da ist?" Und heute morgen hatte ich diese Erfahrung, und während derselben hatte ich den Eindruck: So also sah Sri Aurobindo die Dinge! (Lachend) Das muß es sein!... Und seit einiger Zeit bemerke ich: Sobald sich etwas formuliert – für diesen Körper oder für andere Körper, für Ereignisse, für... – weder ein Verlangen, noch eine Aspiration, aber so etwas wie die lebendige Wahrnehmung einer Möglichkeit, die sich realisieren SOLLTE – manchmal kommt so etwas –, dann geschieht es! Und es geschieht automatisch, unverzüglich. Heute morgen, während, oh, einer halben Stunde, war es so reizend, so angenehm, der Eindruck: "Ah, da haben wir's! SO muß man die Dinge sehen!"

Nachher mußte ich mich um andere Sachen kümmern, aber es ist immer noch da. Die Frage war: "Warum nur? Warum hat dieses Gehirn nicht die Fähigkeit, die Dinge wahrzunehmen und sie zu beschreiben, wie er es vermochte?"

Die Schlußfolgerung daraus: Ich habe immer gehört (ich weiß nicht, ob es stimmt), daß die Männer so und die Frauen anders denken. Äußerlich ist es nicht sichtbar, aber vielleicht ist die Haltung – die mentale Haltung – verschieden. Die mentale Haltung seitens Prakriti ist immer die Aktion; die mentale Haltung seitens Purusha 4 ist die Konzeption: das Leitprogramm, die Gesamtschau und auch die Feststellung, so als ob er beobachtete, was Prakriti getan hat, und sehen würde, wie es getan wurde. Jetzt verstehe ich. So ist das. Natürlich ist kein Mann (hier auf Erden) ausschließlich maskulin, und die Frauen sind nicht ausschließlich feminin; all das wurde vermischt und wieder vermischt. Ebensowenig gibt es eine einzige Rasse, die absolut rein ist: all das ist vorbei, vermischt (dies ist eine andere Art, die Einheit wiederherzustellen). Aber es gab TENDENZEN. So wie das, was ich über die Israelis und die Moslems schrieb, nur eine Art ist, es auszudrücken; wenn man mir sagte: "Sie selbst haben das ja gesagt", würde ich antworten: "Ja, ich habe das gesagt, ich kann auch andere Dinge sagen, viele andere!" Es ist eine Weise, gewisse Dinge auszuwählen und für eine bestimmte Aktion in den Vordergrund zu rücken (es geschieht immer für eine Aktion). Aber im Moment ist alles so: vermischt, und vermischt überall im Hinblick auf eine allgemeine Vereinigung – es gibt keine einzige Nationalität, die rein und von den anderen abgesondert wäre, das existiert nicht mehr. Aber für eine gewisse Schau hat jedes Ding seine wesentliche Rolle, seinen Daseinsgrund, seinen Platz in der universellen Geschichte. Wie dieser so starke Eindruck, daß die Chinesen vom Mond stammen, daß, als der Mond sich abkühlte, gewisse Wesen auf der Erde Zuflucht nahmen, und daß diese Wesen der Ursprung der chinesischen Nation sind. Aber jetzt bleibt nur noch eine Spur – eine Spur, die Erinnerung an ihre Besonderheit. Überall ist es so; betrachtet man die Individuen einer Nation, gibt es in jeder Nation alles, aber mit der Erinnerung... der Erinnerung an eine Besonderheit, die ihr Daseinsgrund in der großen irdischen Entfaltung war.

(Mutter versinkt in Kontemplation)

Er war da, so gegenwärtig, so konkret, hast du ihn gefühlt? Sri Aurobindo.

Ich hörte auf, weil die Zeit um war.

Wenn er so ist, bist du darin eingeschlossen – du bist nicht außerhalb, sondern darin. Er ist so, umhüllend. Du bist darin.

Ein Teil deiner Atmosphäre (Geste oberhalb von Satprems Kopf) ist völlig in Einklang damit, ohne Unterschied.

 

1 Siehe Gespräch vom 21. Juni 1967. Es war keine Notiz von Mutter, sondern die ungefähre Aufzeichnung eines Schülers, die man ganz einfach veröffentlicht hatte, als wären es Mutters Worte.

Rückwärts zum Text

2 Aphorismus 35: Die Menschen lieben immer noch den Schmerz. Wenn sie jemanden sehen, der über dem Schmerz und der Freude steht, verdammen sie ihn und schreien: "Oh, du Gefühlloser!" Deshalb hängt Christus immer noch an seinem Kreuz in Jerusalem.

Rückwärts zum Text

3 Siehe Agenda Bd. 1 vom 1. Januar 1957.

Rückwärts zum Text

4 Prakriti-Purusha: die beiden ewigen Prinzipien, weiblich und männlich, die sich ausdrücken können durch Werden und Sein, Natur und Seele, Kraft und Bewußtsein...

Rückwärts zum Text

 

 

 

 

 

 

 

in French

in English