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Mutters

Agenda

neunten Band

28. Februar 1968

(Der ganze Ashram ist auf den Beinen, um der Einweihung Aurovilles beizuwohnen. Mutter liest ihre Botschaft, die durch das indische Radio direkt nach Auroville übertragen wird:)

"Grüße von Auroville an alle, die guten Willens sind.

In Auroville sind all jene willkommen, die nach Fortschritt und einem höheren, wahreren Leben streben."

(Dann liest Mutter die Charta:)

Auroville Charta

1) Auroville gehört niemandem im besonderen. Auroville gehört der Menschheit als Ganzes.

Um sich jedoch in Auroville aufhalten zu können, muß man ein williger Diener des göttlichen Bewußtseins sein.

2) Auroville wird der Ort einer fortwährenden Ausbildung, eines steten Fortschritts und einer Jugend sein, die niemals altert.

3) Auroville will die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft sein. Unter Ausschöpfung aller äußeren und inneren Entdeckungen geht es kühn den zukünftigen Verwirklichungen entgegen.

4) Auroville wird der Ort sein für materielle und spirituelle Forschungen, um der konkreten menschlichen Einheit einen lebendigen Körper zu verleihen.

(Die Radioverbindung wird beendet...
Schweigen)

Was für eine königliche Ruhe! Dies geschieht nicht oft. Bis halb zwölf. Wenn du mir etwas zu sagen hast, ich höre.

Hast nicht du etwas zu sagen?

Nein, nein, das reicht! (Mutter lächelt)

Ich verbringe alle meine Tage und Nächte damit, die Atmosphäre zu beruhigen. Dies hat Ausmaße angenommen... Weißt du, wie diese Bewegungen, die sich so zu drehen beginnen, wie der Wind in den Wirbelstürmen oder wie Meeresstrudel, und dann geht es immer schneller und immer stärker. Also werden die Leute krank, sie fühlen sich wie erschlagen, sie sind zu nichts mehr fähig. Seit drei Tagen verbringe ich meine Zeit damit, die Atmosphäre zu beruhigen. Glücklicherweise wenden sie sich an mich (natürlich nicht "ich"), sie haben dabei die Empfindung, daß es hier einen stabilisierenden Faktor gibt, der alles Durcheinander wieder richten kann, andernfalls... Schwierig wurde es durch die wirklich große Anzahl der äußeren Zugänge: zum Darshan am 21. waren mehr als viertausend Personen da, und dann all jene, die für heute und morgen gekommen sind, das heißt, fünf- oder sechstausend, die ernährt und untergebracht werden müssen... Wirklich eine Heidenarbeit.

Und dann wurde ich gebeten, es möge keinen Regen geben, aber auch keinen Sonnenschein! (Mutter lacht) Nun, das ist nicht ganz einfach, aber vorhin ist Z gekommen, um mir zu sagen, daß die Gegend von Auroville clouded [bewölkt] sei, d.h. keine Sonne... Diese kleinen Wesenheiten sind sehr zuvorkommend, aber man verlangt das Unmögliche von ihnen. Gleichzeitig richtet man an mich all diese gegensätzlichen Anliegen: "Ich brauche unbedingt Regen"; "Ah, nein, bloß keinen Regen; ich brauche Sonne"; "Oh, nein, ich will keine Sonne ..." Wie sollen sie das bloß anstellen!

Bist du zufrieden?

Zufrieden? Was soll das heißen?

Geht es?

Ich weiß nicht. Ich habe den Eindruck, daß es dort gut geht.

Z erklärte mir vor zwei Tagen: "Ach, das war eine gute Lektion! Nun sind wir davon überzeugt, daß die Lebensart des Westens nicht besser ist als unsere." Denn sie glaubten die ganze Zeit, daß die materialistische Methode zu besseren Verwirklichungen führe – alle glaubten das –, nun sind sie eines Besseren belehrt.

Ich habe dir schon erzählt, daß der sowjetische Konsul begeistert ist. Er hatte die Charta gesehen – zuerst auf englisch – (auf englisch heißt es Divine's Consciousness, mit Apostroph), und er sagte: "Schade, daß dies die Vorstellung von Gott hervorruft." S hatte ihn aufgesucht, und sie sagte: "Das ist keineswegs der Fall! Die ganze Sache hat mit Religion nichts zu tun, was sich im Französischen sehr gut zeigen läßt." Dann las er "göttliches Bewußtsein", und das hat ihn befriedigt. Er sagte dazu: "Das ist genau das, was wir zu verwirklichen versuchen, und ohne diese Worte wird es offiziell von der sowjetischen Regierung unterstützt und anerkannt werden." Dann bat man ihn um die russische Übersetzung, allerdings ist es nicht seine Übersetzung, die man in Auroville lesen wird, sondern diejenige von T, die keine Angst vor Worten hat. Ich habe ihm eine Ermächtigung geschickt und ihm erklären lassen, daß die Worte allein eine mehr oder weniger geschickte Übertragung sind, nicht nur der Idee, sondern auch dessen, was über die Idee hinausgeht, d.h. des Prinzips, und daß es nicht besonders darauf ankomme, ob es sich um das eine oder andere Wort handelt (jeder verwendet die Worte, die ihm am besten passen), und so habe ich ihn ermächtigt, die Worte zu verwenden, die für seine Regierung annehmbar sind. Der sowjetische Konsul hat zugestimmt und sich sehr zufrieden gezeigt. Dann sagte er: "Wenn die sowjetische Regierung etwas offiziell unterstützt, dann ist es ihr ernst damit." – Das weiß ich, es ist wahr, sie sind sehr großzügig. Ich hoffe also, daß dies ein günstiges Ergebnis zeitigen wird. Und genau darauf wollte ich hinaus, weißt du: Amerika ist seit langem enthusiastisch – das ist erfreulich, aber vielleicht verstehen sie es weniger gut. Die Russen sind von Natur aus Mystiker; das hatte der Kommunismus verboten und unterdrückt, wodurch sich natürlich viel Kraft angesammelt hat. Und jetzt will es aufbrechen.

Wenn beide gleichzeitig Auroville unterstützten, hätten wir keine finanziellen Sorgen mehr!

Das ist Schritt für Schritt gekommen, Schritt für Schritt. Ich habe dir schon gesagt, was Sri Aurobindo mir im Hinblick auf den Zustand Indiens offenbarte, daß Indien den gegenwärtigen Zustand der Menschheit symbolisiere, und dafür, sagte mir Sri Aurobindo, sei Auroville gegründet worden. 1 Da verstand ich. Von dem Augenblick an wurde es sehr klar – "klar", ich will damit sagen, es bewirkte, daß diese Erkenntnis sich ausbreitet, und die Leute zu verstehen beginnen.

 

Addendum

(Auszug aus einem Gespräch von Mutter mit einem Schüler
über Auroville)

Eine absolut durchgehende Aufrichtigkeit ist notwendig. Der Mangel an Aufrichtigkeit ist der Grund für die gegenwärtigen Schwierigkeiten.

In allen Menschen gibt es Unaufrichtigkeit. Es gibt vielleicht kaum mehr als hundert Menschen auf Erden, die vollkommen aufrichtig sind. Die eigentliche Natur des Menschen macht ihn unaufrichtig, er ist sehr verworren, denn er ist andauernd dabei, sich selbst zu betrügen, sich die Wahrheit vorzuenthalten, sich zu entschuldigen. Yoga ist das Mittel, Aufrichtigkeit in allen Teilen des Wesens zu erzielen.

Es ist schwierig, aufrichtig zu sein, aber man kann es zumindest in mentaler Hinsicht tun, und soviel kann man von den Aurovillianern verlangen.

Die Kraft ist gegenwärtig wie nie zuvor, und nur die Unaufrichtigkeit der Menschen hindert sie daran, herabzukommen und empfunden zu werden. Die Welt lebt in Falschheit, alle menschlichen Beziehungen gründeten sich bisher allein auf Lüge und Täuschung. Die Diplomatie zwischen den Nationen basiert auf Lüge. Man gibt vor, den Frieden zu wollen, und bereitet sich gleichzeitig auf den Krieg vor. Allein eine vorbehaltlose Aufrichtigkeit zwischen den Menschen und den Nationen ermöglicht das Kommen einer transformierten Welt.

Auroville ist der erste Versuch dieser Erfahrung. Es ist möglich, daß eine neue Welt geboren wird, wenn die Menschen die Anstrengung der Transformation und das Streben nach Aufrichtigkeit auf sich nehmen. Vom Tier zum Menschen waren Jahrtausende notwendig; dank seines Mentals kann der Mensch dies jetzt beschleunigen und bewußt eine Transformation auf einen Menschen hin anstreben, der göttlich sein wird.

Diese Transformation mit Hilfe des sich selbst analysierenden Mentals ist ein erster Schritt; darauf gilt es, die vitalen Impulse zu transformieren – was viel schwieriger ist –, und vor allem das Physische umzuwandeln: jede Zelle unseres Körpers muß bewußt werden. Dies ist meine Arbeit hier. So wird es möglich sein, den Tod zu besiegen. Aber das ist eine andere Geschichte; das wird die Menschheit der Zukunft sein, vielleicht in einigen Jahrhunderten, vielleicht schneller. Das hängt von den Menschen und den Völkern ab.

Auroville ist ein erster Schritt in diese Richtung.

 

1 Siehe das Gespräch vom 3. Februar 1968.

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