Mutters
Agenda
neunten Band
(Mutter gibt Satprem eine Blume namens "Transformation".)
Ich schenke dir die echte Transformation.
Warum die "echte"?
Ich sage dir das, weil im Kopf der meisten Leute eine große Verwirrung herrscht, zum Beispiel was den Begriff "Fortschritt" betrifft. Wenn ich von Fortschritt spreche, meine ich: "vom mentalen Bewußtsein in ein höheres Bewußtsein übergehen". Die meisten Leute verstehen darunter jedoch: "einen materiellen oder mentalen oder sonst irgendeinen Fortschritt zu machen ..." Wenn man den Leuten also von Transformation erzählt, denken sie an alle möglichen seltsamen Sachen... Wenn wir jedoch von Transformation sprechen, meinen wir damit die supramentale Transformation.
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Etwas später
Ich habe einige alte Papiere wiedergefunden (ich kann nicht mehr lesen, ich sehe nicht mehr klar genug), ich weiß nicht, worum es sich handelt. Hier ist ein Umschlag von dir.
Es geht um eine Frage über die "Aphorismen" von Sri Aurobindo:
51 – Wenn ich von einem "heiligen Zorn" sprechen höre, wundere ich mich über die Fähigkeit der Menschen, sich selbst zu betrügen.
Das ist herrlich!
Die Frage dazu war: "Man ist immer "aufrichtig", wenn man sich selbst betrügt; man handelt immer für das Wohl anderer oder im Interesse der Menschheit oder um dir zu dienen, das versteht sich von selbst. Wie kommt es, daß man sich täuscht, und wie kann man das erkennen?" 1
Das ist sehr wahr.
Erst gestern, noch bevor ich das las (ich hatte es ja nicht gelesen), hatte ich diesbezüglich eine lange Vision – das ist erstaunlich.
Aber das liegt wirklich auf einer ganz anderen Ebene...
Ja, wenn man den höheren Teil seines Mentals als Richter seiner Handlungen nimmt, kann man sich "guten Glaubens täuschen". Denn das Mental ist unfähig, die Wahrheit zu sehen, und es urteilt mit seiner eigenen beschränkten Fähigkeit – nicht nur beschränkt sondern ohne ein Bewußtsein der Wahrheit. So handelt das Mental "guten Glaubens", es tut eben, was es kann.
Für diejenigen, die sich ihres Psychischen voll bewußt sind, ist es natürlich nicht möglich, sich zu täuschen – wenn sie ihr Problem dem Psychischen unterbreiten, können sie von dort die göttliche Antwort erhalten. Aber selbst dann hat die Antwort nicht denselben Charakter wie diejenige des Mentals, die genau, kategorisch, absolut ist, und sich durchsetzt. Im Psychischen ist es mehr eine TENDENZ als eine Behauptung – etwas, das im Mental noch verschiedenen Auslegungen offenstehen kann.
Ich komme auf meine gestrige Erfahrung zurück. Nachdem ich die Sache betrachtet hatte, kam ich zu dem Ergebnis, daß man unmöglich einem Menschen etwas vorwerfen kann, der nach bestem Wissen und Gewissen handelt, denn wie könnte er auch über dies hinausgehen?... Gerade diesen Fehler begeht die Mehrzahl der Leute: sie beurteilen einen anderen Menschen nach ihrem eigenen Bewußtseinsstand, der andere hat aber nicht ihren Bewußtseinszustand! Sie können also nicht wirklich urteilen (ich spreche nur von den Gutwilligen, wohlgemerkt). So kommen wir wieder auf diesen famosen Satz zurück: "sich guten Glaubens täuschen". Wahr daran ist: Nach der Vision eines totaleren oder höheren Bewußtseins irrt sich eine bestimmte Person; entsprechend dieser Person selbst tut sie jedoch das Maximum von dem, was sie für richtig hält.
Das läuft darauf hinaus zu sagen, daß es absolut unmöglich ist, jemandem Vorwürfe zu machen, der gemäß seinem eigenen beschränkten Bewußtsein aufrichtig gehandelt hat. Wenn man es genau nimmt, haben alle ein beschränktes Bewußtsein, außer DEM Bewußtsein. Nur DAS Bewußtsein ist nicht beschränkt. Aber alle Manifestationen sind zwangsläufig beschränkt, es sei denn, sie treten aus sich selbst hinaus und vereinigen sich mit dem Höchsten Bewußtsein. Dann... Unter welchen Bedingungen ist das jedoch möglich?
Es handelt sich um das Problem der Identifikation mit dem Höchsten, dem Höchsten Einen – das Eine, das alles ist.
(Schweigen)
Ein ganzer Zweig des menschlichen Denkens konnte sich die Identifikation mit dem höchsten Bewußtsein nicht anders vorstellen als durch die Auflösung der individuellen Schöpfung. Sri Aurobindo sagt jedoch im Gegenteil, dies sei möglich, OHNE diese Schöpfung aufzulösen. Sie haben die Idee, man müsse die Schöpfung beseitigen, weil sie die Schöpfung auf die menschliche Schöpfung beschränken – einem menschlichen Wesen ist das nicht möglich, für ein supramentales Wesen ist es jedoch möglich. Und dies wird der wesentliche Unterschied beim supramentalen Wesen sein: es kann sich mit dem Höchsten Bewußtsein vereinen, ohne seine endliche Gestalt zu verlieren.
Für den Menschen ist dies unmöglich. Das weiß ich.
Wie ich dir sagte, kann man die Einheit mit dem höchsten Bewußtsein erlangen; sobald man sie aber zum Ausdruck bringen will, ist es damit vorbei, es wird wieder... (Geste des Eingeschlossenseins in einer Schachtel). Die Substanz, aus der wir bestehen, ist einfach nicht genügend rein, erleuchtet, transformiert (egal welches Wort man hier verwendet), um das höchste Bewußtsein ausdrücken zu können, ohne es zu entstellen.
(Schweigen
Mutter verfolgt eine Erfahrung)
Eine bestimmte Undurchlässigkeit der Materie, der Substanz, hindert sie daran, das Bewußtsein manifestieren zu können... und genau diese "Undurchlässigkeit" (ich weiß nicht, wie ich das nennen soll) verleiht der Materie das Gefühl, daß sie existiert.
Das ist Teil der Erfahrung dieser letzten Tage. Seit... ich weiß nicht, seit Wochen lebe ich in einer Art fließendem Zustand – einem durchlässigen Fließen –, und erst in dem Maße, wie dieses Fließen durch etwas ersetzt wird, das ich hier "Undurchlässigkeit" nenne, kehrt eine Art Konkretisierung der Existenz des Körpers zurück.
Verstehst du, der unmittelbare Kontakt des psychischen Wesens mit der Substanz des Körpers, ohne Zwischenträger, vermittelt die Empfindung... Handelt es sich um eine "Empfindung"? Ich weiß nicht, es ist weder eine Empfindung noch eine Wahrnehmung sondern eine Art "gespürter Vision", eine äußerst präzise Sicht der Wertigkeit der Schwingungen in bezug auf eine höhere Schwingung, die... in unmittelbarerer Weise ein Ausdruck der höchsten Schwingung ist (das ist alles, was ich darüber sagen kann).
Dies läßt sich nur sehr schwer ausdrücken, aber der Körper ist dabei, eine Erfahrung zu durchleben, die er noch nie hatte, und es gleicht einem Übergang von Ungenauigkeit zu Genauigkeit, von einem gewissen Fließen zu... es handelt sich nicht um eine konkrete Sache: von etwas Fließendem und Ungenauem zu etwas Genauem. Alle Ereignisse (egal welch kleines variierendes Ereignis ihm widerfährt) sind Gelegenheiten für eine neue Wahrnehmung. Vorher war alles fließend und verschwommen; nun beginnt es, genauer zu werden – genauer, exakter. Damit verliert es aber auch etwas von seiner fließenden Qualität.
Das ist sehr schwer auszudrücken.
Ich hatte nie darüber nachgedacht. Seltsam, es ist nicht willkürlich, diese Erfahrung ist mir erst gerade zuteilgeworden. Es ist noch nicht sehr klar.
Im Grunde bewirkt das Mental eine Genauigkeit, die fehlt, wenn es nicht da ist. Seine Aufgabe innerhalb der Schöpfung besteht gerade darin, zu präzisieren, zu erklären und gleichzeitig zu beschränken.
1 Diese Frage datiert von 1961, siehe Agenda Bd. 2 vom 17. Januar 1961.