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Mutters

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zehnten Band

30. April 1969

Dieses Bewußtsein ist wirklich außerordentlich, es hat einen so ausgeprägten Sinn für Humor!... Jetzt befaßt es sich mit der Erziehung des Körpers, und als erstes hat es alle moralischen Auffassungen weggefegt. Der Körper befindet sich spontan in einer Art Anbetung, da zeigte ihm dieses Bewußtsein plötzlich eine riesige Schlange mit zwei gewaltigen Fängen in dieser Haltung (aufgerichtet vor Mutter). Gleichzeitig erläuterte es: "Giftzähne... Auch sie wurden von der Höchsten Güte erfunden ..." Weißt du, auf eine unwiderstehliche Weise... Der arme Körper zögerte ein wenig, er war ziemlich verblüfft... Ihm wurde klar, daß er noch nie daran gedacht hatte. Er hatte die Dinge genommen, wie sie sind, die Welt, wie sie ist, und hatte sich nie gefragt: "Wie kann es das geben?"... (Lachend) Er brauchte eine Viertelstunde, um sein Gleichgewicht zurückzugewinnen.

Ständig geht das so – ein verbissener Kampf gegen ALLE möglichen Konventionen. Gleichzeitig ist dieses Bewußtsein ständig bemüht, einem das Gefühl einer unwiderstehlichen Macht einzuflößen. Dabei handelt es sich aber keineswegs um eine persönliche Macht; es hat nichts mit der Person zu tun. Man muß lediglich in Einklang mit dem Bewußtsein stehen, das die Welt beherrscht, und dieses Bewußtsein hat eine unwiderstehliche Macht. Aber es fegt alle vorherrschenden Auffassungen über den Haufen – ALLE –, und es zeigt auch die Dummheit der Auffassungen auf, die man gemeinsam hat (im selben Bewußtsein) und die natürlich im Widerspruch zueinander stehen – all das. Sobald man einhält (nach einem Erlebnis wie mit dieser Schlange: das dauert ein, zwei, zehn Minuten, je nachdem), wenn man ruhig und friedlich verharrt, breitet sich das Gefühl einer grenzenlosen Unermeßlichkeit aus, ein... auf englisch sagt man ease [Wohlbefinden], etwas äußerst Friedliches und zugleich Vibrierendes, mit dem Gefühl, daß sich alles, alles in Harmonie befindet. Dies geschieht in einem großen Licht – ein intensives, ins Goldene tendierendes Licht (es ist nicht wirklich golden, ich weiß nicht, wie man diese Farbe bezeichnen kann). Solange man dort bleibt, geht alles gut – ALLES GEHT GUT: dem Körper geht es gut, alles geht gut. Sobald man jedoch von dort herauskommt und in die anderen Bewegungen eintritt, sieht man, daß alles, alles... daß es eine Welt voller Widersprüche ist, daß alles im Widerspruch steht: Chaos und Widerspruch. Während dort alles vollkommen harmonisch ist.

Auf diese Weise erhält der arme Körper seine Lektion.

Er versucht gar nicht mehr, irgend etwas verstehen zu wollen. Er hat begriffen, daß er nicht verstehen kann; er sagt: "Gut, soll man mit mir machen, was man will!"

Diese Schlange, weißt du... Warum plötzlich diese Vision? Ich weiß es nicht... Ich befand mich in einem Zustand, wo ich eine allgemeine Harmonie aufbauen wollte – wahrscheinlich war es zu begrenzt oder unvollständig oder... Da erschien die Schlange 1 . Schließlich ist das Universum der manifestierte Herr, und für diesen Körper ist es auf jeden Fall die Vollkommenheit, aber offensichtlich ist er unfähig zu verstehen. Die Art, wie diese Schlange plötzlich kam, veranlaßte ihn, sich zu sagen: "Sieh an! Daran hatte ich nie gedacht." (Das stimmt nicht.) Viele Theorien erklären das Böse als eine Aktion der gegnerischen Kräfte im Universum, aber das wirkt völlig kindisch. Wie immer, zeigte es etwas SEHR SUBTILES im Spiel der Kräfte auf. Um zu versuchen [das Böse] zu verstehen, wurde die Idee einer "Zeitfolge", d.h. aufeinanderfolgender Schöpfungen ins Leben gerufen, was absurd ist. Und das wirklich Subtile daran war, daß diese Giftzähne eine Verteidigung und keinen Angriff darstellten; und es bewies dies dadurch, daß die Giftzähne erst NACH dem Angriff existierten – aber ich kann das nicht erklären.

(Mutter scheint eine Welt simultaner Dinge zu betrachten
und sucht nach Worten)

Jedenfalls war dies wieder eine entscheidende Wende in der Entwicklung des Körpers. Einmal mehr fühlte er, daß alles, was er wußte, alles, was er glaubte, all das... rubbish [Unsinn] ist, wie man auf englisch sagt, und solange man sich nicht in diesem absolut leuchtenden, absolut stillen und alles enthaltenden Bewußtsein befindet... [kann man nicht verstehen]. "Alles enthaltend" erweckt noch den Eindruck einer Begrenzung; es ist nicht alles "enthaltend" sondern umfassender als alles Existierende. Dieses Bewußtsein ist umfassender als die manifestierte Welt; man hat fast das Gefühl, daß es ein umfassenderes Bewußtsein gibt: die manifestierte Welt "belegt nur eine Stelle" in diesem Bewußtsein (wie soll ich das erklären?), sie ist nicht das GANZE Bewußtsein... (wahrscheinlich liegt die Schwierigkeit nur an der Unfähigkeit des Körpers, völlig aufnahmefähig zu sein, und dennoch muß er selber verstehen...) Diese Haltung muß offenbar beibehalten werden. Ist es eine Haltung?... Eine Seinsweise. Eine Seinsweise... Vor allem gibt es keine Grenzen (aber dies ist eine alte Erfahrung, die er seit langem hat), keine Begrenzungen: eine Art Fähigkeit, sich mit allen Dingen zu identifizieren, aber nur infolge eines höheren Willens, der uns bewegt (des "zentralen" Willens, könnte man sagen). Der Körper bleibt so... (weite Geste). Dieser Eindruck wurde so akut... Die beiden Aspekte (zwei absolut entgegengesetzte Dinge) wurden so intensiv: einmal eine absolute Unfähigkeit, irgend etwas zu verstehen – die Erkenntnis, daß es sich auf jeden Fall jeglichem Verständnis entzieht –, verbunden mit der Wahrnehmung, daß die Grenzen der Macht immer weiter zurückweichen, verlöschen und verschwinden. Diese Macht wird... einfach phantastisch! Unvorstellbar.

Gleichzeitig zeigte es... ach, ständig lehrt es einen etwas: z.B. wie Menschen, die noch die Empfindung eines Ichs haben, wenn sie ein wenig von dieser Macht empfangen (d.h. wenn sich diese Macht ihrer bedient), von einer Art Entsetzen gepackt werden, und warum dies so geschieht: eben weil ihr Ego riesige Ausmaße annimmt. Dies erschien, um die Notwendigkeit meines gegenwärtigen Zustandes zu verdeutlichen. Mein Körper hat das Gefühl seiner getrennten Existenz fast gänzlich verloren, es wurde auf ein Minimum reduziert; nur auf der rein materiellen Ebene wird er noch daran erinnert, vor allem wenn er sich an den Dingen reibt. Und wenn er in solchen Augenblicken weiß oder fähig ist oder die Zeit hat, in diesen Zustand einzutreten... dann verschwindet die Schwierigkeit augenblicklich wie durch ein Wunder. Etwas kam sogar, um zu zeigen, wie auf diese Weise (Mutter hält beide Zeigefinger eng aneinandergedrückt, um dann den rechten Zeigefinger leicht zu senken) das Leiden existiert: so bedeutet es Leiden –, und auf die andere Weise (Mutter hebt leicht den linken Zeigefinger) es nicht mehr da ist. (Mutter deutet dieselbe Bewegung an:) Auf die eine Weise bedeutet es Leiden; auf die andere existiert es nicht mehr. Damit der Körper genau lernt, bei welcher Haltung das Leiden nicht mehr existiert.

Solche Dinge kommen ständig, ständig, Tag und Nacht, ununterbrochen – eins nach dem anderen, eins nach dem anderen. Man müßte Stunden damit verbringen, alles zu erzählen.

Heute morgen empfing ich jemanden, und zehn Minuten lang war da eine konstante Erfahrung der Arbeitsweise: Wie die Aktion stattfindet... Wenn jemand mit mir spricht, sehe ich gleichzeitig, wie sich die Angelegenheit wirklich verhält, und der Widerspruch in dem, was die Person erzählt – beides. All das ist nicht mental sondern eine konkrete Erfahrung... Oder man bringt mir eine Neuigkeit (z.B. von irgendeinem Geschehnis), man sagt es mir in Worten, und gleichzeitig ist die Sache selbst da, und ich beobachte den Unterschied zwischen dem Gesagten und dem tatsächlichen Geschehen. So geht es ununterbrochen... Die Leute kommen (ich sehe unzählige Leute, erschreckend, mehr als je zuvor): ich sehe im Vordergrund, was sie denken und wie sie erscheinen wollen, und dahinter, was sie wirklich sind – mühelos, ohne zu suchen, automatisch. All das ist die Auswirkung dieses Bewußtseins... Auch wenn ich selber spreche und etwas zu erklären versuche, sehe ich gleichzeitig den Unterschied zwischen dem, was die Worte vermitteln können, und dem, was IST. (Lächelnd) Das erschwert natürlich das Sprechen.

(Schweigen)

Auch in allgemeiner Hinsicht ist es wie eine Demonstration... Der Mensch mißt dem Leben und dem Tod eine große Bedeutung zu – für ihn ist dies ein großer Unterschied und ein ziemlich kapitales Ereignis – nun zeigt man mir, in welchem Ausmaß die Störung des Gleichgewichts, die sich in den äußeren Umständen als das ausdrückt, was die Menschen "Tod" nennen (der aber nur in den äußeren Erscheinungen stattfindet), wie sozusagen beides ständig zugegen ist: diese alles umfassende Harmonie, die die eigentliche Essenz des Lebens ist, und diese... Trennung (eine Art Trennung, ja, eine Zerstückelung), eine SCHEINBARE, IRREALE TRENNUNG, die nur eine KÜNSTLICHE Existenz hat und die Ursache des Todes ist – wie die beiden so eng ineinander verwoben sind, daß man jederzeit und bei jeder beliebigen Gelegenheit vom einen zum andern überwechseln kann. Dabei verhält es sich überhaupt nicht so, wie die Menschen glauben, nämlich, daß etwas "Schwerwiegendes" geschehen muß – keineswegs, etwas völlig Unerhebliches kann den Ausschlag geben. Es bedeutet lediglich, hier zu sein oder da zu sein (Mutter deutet mit ihrer Handkante ein Umschwenken an), und schon geschieht es. Hier zu sein (leichtes Umschwenken nach links) und hier zu bleiben, bedeutet, es ist beendet; eine Sekunde hier zu sein und dann dort zu sein (Geste zwischen den beiden), bedeutet das Leben, wie wir es kennen, mit Leiden und Unannehmlichkeiten – allerlei Dinge. Und dort zu sein (leichtes Umschwenken nach rechts), bedeutet ewiges Leben, absolute Macht und... man kann nicht einmal von "Frieden" sprechen, es ist... etwas Unwandelbares. Alles ist gleichzeitig da: dieser Zustand und jener Zustand sind beide da. Der Mensch schafft eine Art mehr oder weniger ungeschicktes Gemisch aus beidem.

Aber einige Sekunden des wahren Zustandes in voller Reinheit bedeuten... eine gewaltige Macht. Das ist allerdings noch in weiter Ferne.

Ich erinnere mich noch an die Zeit, wo der Körper Angst bekam, wenn eine Minute oder ein Augenblick dieses Zustandes eintrat – nicht direkt "Angst", aber er fühlte eine Beunruhigung. Das liegt etwa... ich weiß nicht, etwas mehr als zehn Jahre zurück. Seitdem hat eine ganze Kurve stattgefunden, und jetzt ist es umgekehrt: Wenn er sich in diesem Zustand befindet, fühlt er sich normal – er fühlt, daß es normal ist. Die ganze Beschaffenheit der Welt scheint aber noch eine Bremse zu sein, und etwas muß... An diesem "Etwas" arbeitet dieses Bewußtsein. Eine Veränderung muß im irdischen Bewußtsein stattfinden, damit das Neue sich einrichten kann.

Aber das ist eine ständige Aktion.

(Schweigen)

Vielleicht wollte ich dir noch etwas anderes sagen, ich erinnere mich nicht mehr... (Mutter sieht sich um und findet einen Zettel). Das ist es vielleicht.

Why do men want to worship?...

(Mutter lacht) Es ist wieder dieses Bewußtsein!

It is much better to become than to worship! 2

(Mutter wiederholt energisch) Better to become! Why do men want to worship the Divine? [Besser zu werden. Warum wollen die Menschen das Göttliche anbeten?] Better to become! 3

Das entspricht ganz der Art dieses Bewußtseins!

Auf alles hat es eine Antwort, ständig. Jetzt ist es sehr aktiv geworden... Ich erhielt einen Brief von Y, in dem sie berichtet, was all die jungen Leute tun, die wegen Auroville kamen. Sie haben jetzt einen Platz: das Büro von "= 1", irgendwo in der Nähe der Bibliothek. Sie haben ein Appartement und organisieren dort alles mögliche, inbegriffen "improvisierten Tanz". Y schrieb mir (übrigens mit viel Lobhudelei), und am Schluß sagte sie: "Doch es ist wichtig zu wissen, was Sri Aurobindo und dann Sie davon halten." (Mutter lächelt ironisch) Dieses Bewußtsein ließ mich ihr antworten: "Achten Sie nur darauf, daß es nicht entartet ..." Es sagte (ich erinnere mich nicht mehr, denn es kam nicht von mir): "Seht zu, daß es im Rahmen ..." ich weiß die Worte nicht mehr. Aber von einer unbezahlbaren Ironie, mein Kind. Ich schickte es ihr.

Ständig, ständig spricht und antwortet es. Es zwingt mich zu schreiben: "Antworte dies... Sage das ..." Verstehst du, es hat den Platz des Mentals eingenommen.

Das ist äußerst interessant.

 

1 Vielleicht will Mutter damit sagen, daß das "Gift" nicht als Waffe dient, um "Böses" anzurichten, sondern um die "harmonischen" Begrenzungen aufzubrechen, in denen man sich einschließt.

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2 "Warum wollen die Menschen anbeten? – Es ist besser zu WERDEN, als anzubeten."

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3 Später fügt Mutter hinzu: "Nur weil man zu faul ist, sich zu ändern, betet man an."

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