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Mutters

Agenda

elften Band

29. Juli 1970

Geschichten, Komplikationen...

Könnte Nolini denn nicht etwas tun?

Nolini will seinen Frieden haben.

Ach! Was hast du mir zu sagen?

Ich habe einen Brief von Monsignore R [P.L.s Freund]. Interessiert dich das?... Du weißt, daß er Ende letzten Jahres kommen wollte, glaube ich, und "zufällig" wurde er immer davon abgehalten.

Das wundert mich nicht.

Dann mußte er sich vor kurzem einer schweren Operation unterziehen. Er hatte dir im Februar einen Brief geschrieben, den er nie abgeschickt hat, und nun gab er ihn Z 1 mit, um ihn dir zu überbringen.

Sieh an!...

Ist er immer noch krank?

Nein, er ist auf dem Weg der Besserung. Er ist in eine Affäre verwickelt... Ich habe dir erzählt, daß dieser Mann Hunderte und Aberhunderte von Millionen besitzt, ein beachtliches Vermögen, das er von verschiedenen Frauen geschenkt bekam – er hat eine Macht über Frauen.

Hat er wieder etwas erhalten?

Ja, er bekam wieder hundert Millionen Schweizer Franken von einer Bankierswitwe.

Dieser Mann ist schon ziemlich alt, oder?

Ich habe sein Foto hier.

Oh, zeig mal!

Da ist er gerade mit der Frau, die ihm die hundert Millionen gab.

Das ist amüsant... (Mutter betrachtet das Foto) Oh, tragen sie keine Tracht mehr? Sind sie in Zivilkleidung?...

Das hängt vom jeweiligen Anlaß ab.

(Mutter schaut) Ach, so ist das... Sieh an!...

Er ist wohl um die fünfzig?

Etwas älter, glaube ich.

(nach einem Schweigen)

Das ist interessant. Was schreibt er denn?

 

27. Februar 1970

Mutter,

je länger die Wartezeit wird, um so intensiver wird mein Verlangen, Sie zu sehen. Ohne Zweifel vervielfältigen sich die Hindernisse vor meinen Schritten, weil unsere Begegnung eine beachtliche Wirkung auf mein Leben haben wird. Ich bin betrübt, diese Abfahrt nach Pondicherry immer wieder verzögert und auf später verschoben zu sehen.

Morgen, für Ihren Geburtstag 2 werde ich mit meinen Gedanken und Gebeten mitten unter Ihren Kindern sein, so glücklich, Ihnen ihre wärmsten und herzlichsten Wünsche darzubringen.

Möge Gott Sie noch lange Jahre für die Zuneigung ihrer unzähligen Freunde bewahren – die alle Ihren Rat und Ihre Gegenwart brauchen, um ihr Wesen zu reinigen und der Größe des vom Schöpfer gewollten Übermenschen entgegenzuwachsen.

Ich möchte Ihnen, Mutter, erneut meine Bewunderung und Zuneigung ausdrücken und meinen unermeßlichen Wunsch, möglichst bald in Ihrer Nähe zu sein.

 

(nach einem Schweigen)

Arbeitet P.L. immer noch für ihn?

Ja, seit seiner schweren Krankheit hat ihm R alle Vollmachten übertragen, um dieses riesige Vermögen zu verwalten – viele Millionen.

All das wurde ihm geschenkt?

Ja. Und nun ruht alles auf P.L.s Schultern.

(nach einem langen Schweigen)

Hat Z dir gesagt, daß sie fortgehen möchte 3?

Ja.

Was brachte sie zu dieser Entscheidung?

Liebe Mutter, ich habe einen seltsamen Eindruck bei ihr... Zweimal fühlte ich mich veranlaßt, ihr zu sagen: "Möge die Gnade mit Ihnen sein!", denn ich habe das Gefühl, daß nur die Gnade sie retten kann.

Etwas ist geschehen.

Ja, liebe Mutter. Vor ihrer Abfahrt nach Europa erlebte sie den Zusammenbruch all ihrer mentalen Konstruktionen...

Ja, das weiß ich.

Daraufhin hat sich alles erweitert, und sie öffnete sich der Vitalebene (dem höheren Vital), und sie sagt: "Das Göttliche ist überall", es ist die "unermeßliche Liebe", und "alles fließt ohne Widerstand durch mich hindurch"... Tatsächlich fühlt man in ihrer Gegenwart eine beachtliche vitale Kraft, die weit über sie hinausgeht, und für sie ist es das Göttliche, das sich auf dieser Ebene ausdrückt [Solarplexus].

(In einem betrübten Tonfall) Ach...

Alles ist "unermeßliche Liebe", und "überall ist es dasselbe"... Ich sagte ihr: "Aber bedeutet Sri Aurobindo denn etwas für Sie?" – "Oh", erwiderte sie, "bloß keine Formen! Es ist überall dasselbe, es gibt keine Formen; ich sehe Mutters Gesicht überall – alles ist das gleiche. Es ist eine Illusion zu sagen, daß es in Pondicherry mehr gibt als anderswo ..." Denn sie will ihre Kinder [die in der Ashram-Schule waren] in eine Schweizer Schule schicken.

Ja, ich weiß.

Da fragte ich sie: "Sind die Kinder denn glücklich darüber?" – "Oh", erwiderte sie, "dort drüben entspricht alles den Ideen von Mutter, es ist genau dasselbe." Und sie sagte mir: "Glauben Sie etwa, es besteht ein Unterschied zwischen dem Göttlichen hier und dem Göttlichen dort?..." Sie ist völlig offen auf der Ebene der vitalen Kräfte. In ihrer Nähe empfängt man eine Art vitales Anbranden – nicht häßlich, nicht tief, aber... Mit einem großen Verlangen, "den anderen zu helfen", "zu handeln", "Instrument zu sein" usw.

Oh!...

Sie sagt: "Es fließt ohne Widerstand durch mich hindurch."

(nach einem langen Schweigen)

Das überkam sie vor ihrer Abreise [nach Europa]. Ich hatte den Eindruck (keine Gedanken: etwas wie eine höhere Wahrnehmung), daß sie vielleicht "gezogen" hatte, denn die Kraft, die durch sie hindurchging, war zu groß für sie. Das hatte ich vorher gesehen und gefühlt: bevor sie abfuhr. Aber nach ihrer Rückkehr sah ich sie, und... es war, als hätte sie die Atmosphäre verlassen.

Ja, sie hat sie verlassen.

Ich hatte das Gefühl von etwas Brodelndem.

Ja, sehr stark.

Sehr stark, aber... Für mich situiert sich das da (Geste ganz nach unten). Es ist nichts (Geste, als zerbröckele etwas zwischen den Fingern).

Aber es hat eine Wirkung.

Oh, ich...

Ihre "unermeßliche Liebe" liegt hier [im Bereich des Solarplexus]; sie sagt, daß es dort ständig poche, verstehst du.

Ja, es ist vital... Denn ich beobachtete ein weltliches Wimmeln.

Ja, genau so ist es... Als ich in ihrer Nähe war, verhielt ich mich ganz ruhig, um zu wissen, was ich ihr sagen sollte, und die Andeutung war: "Sag nichts!"

Ja.

"Sag nichts!" Ich sah lediglich, daß sie sich auf einem gefährlichen Weg befindet, und zweimal sagte ich ihr: "Möge die Gnade mit Ihnen sein!" Denn ich hatte den Eindruck, daß nur die Gnade sie retten kann.

Sobald sie mir sagte, sie wolle ihre Kinder in die Schweizer Schule schicken, und daß diese Schule genau das lehre, was ich sagte...

Ja, es ist "dasselbe".

Ich kenne dieses Gewirr von Lehren: das spielt sich auf Bodenniveau ab. Aber ich sagte absolut nichts, denn... es gab nichts zu sagen.

Ich auch nicht... In Europa geriet sie in ein bestimmtes Milieu schwerreicher Leute: "Super-Künstler", "Super-Bankiers", eine ganze gekünstelte und enttäuschte Welt, für die das "Spirituelle" nur eine weitere Art Theater ist, verstehst du: plötzlich entdecken sie alle eine "spirituelle Seele" in sich selbst. In diesem Milieu wurde sie tätig, und dort hat sie eine große Wirkung, und deshalb habe ich den Eindruck, sie will zurückkehren, um dort zu arbeiten.

Ich habe mich nur auf eines konzentriert: Hat das eine Wirkung auf P.L.? Denn P.L. ist ganz...

Ja, aber P.L. hat etwas, das sich letztlich nicht täuschen läßt.

Hoffen wir es!

Er steht ein gutes Stück darüber.

Gerade hast du mir diesen Brief vorgelesen... Dieser Mann ist sehr mental... Er will nicht "mich" sehen, sondern er hat sich eine mentale Konstruktion aufgebaut (aber das macht nichts, man kann durch alles mögliche arbeiten)... Doch da war noch etwas in dem Brief – mehr, als ich dachte. Ich dachte immer, er sei ein sehr mentaler Mann mit einer vitalen Anziehungskraft – vielleicht ist da noch etwas anderes... Aber sie lassen sich von den vitalen Formationen einnehmen. Auch bei P.L. hatte ich immer das Gefühl, er müsse beschützt werden.

Sagte Z, wann sie fortgehen wolle?

Ende August. Nächstes Jahr will sie, glaube ich, im Februar mit Monsignore R zurückkommen.

(langes Schweigen)

Als sie von ihren Absichten sprach, sagte ich ihr absolut nichts, aber ich schaute, und mir wurde sehr deutlich gesagt: "Sie braucht diese Erfahrung."

Ja.

Sie braucht diese Erfahrung.

Das habe ich auch gefühlt. Nur ist es eine gefährliche Erfahrung.

Oh... es kann bedeuten, daß die Verwirklichung erst in einem späteren Leben stattfinden wird.

(langes Schweigen)

Ich glaube, ich habe dir das erzählt: Als P.L. dort drüben den Skandal auslöste [im Vatikan], wurde mir deutlich gesagt, dies sei "der Beginn der Konvertierung des Christentums". Natürlich interessiert mich das sehr viel mehr als all die persönlichen Fragen...

Aber ich sehe, daß P.L. vielleicht nur ein Vermittler ist, und R ist vielleicht... wie soll ich sagen?

Der Kanal.

Ja, vielleicht: um dort drüben den Strom einzuführen.

(Schweigen)

Mir wurde gesagt, der Papst sei der reichste Mann der Welt.

Ja, das stimmt.

Der materielle Reichtum scheint dort konzentriert zu sein. Von diesem Standpunkt aus ist diese Konvertierung wichtig – vom positiven Standpunkt aus gesehen (es gibt auch einen sehr wichtigen negativen Standpunkt)... Die Reichtümer der Erde müssen für die Transformation der Erde eingesetzt werden 4 .

(Mutter tritt in eine lange Konzentration,
schließt fest die Augen,
betrachtet etwas und geht tief in sich)

Z macht Propaganda, um die Leute von hier fortzuführen.

Von hier?

Ja, ein Kind schrieb mir gestern oder vorgestern: "Z will, daß ich mit ihren Kindern in eine Schweizer Schule gehe." Und plötzlich sagte sie mir, daß sie hier nicht mehr glücklich sei. Vorher war es genau das Gegenteil...

Liebe Mutter, ich habe einen gewissen Einfluß auf Z, denn sie kam durch mein Buch hierher, und jedesmal kommt sie zu mir, als suche sie eine Billigung oder Bestätigung – sie fühlt, daß es etwas Höheres gibt. Als sie zu mir kam, bewegte ich mich nicht, sagte nichts, obwohl ich eine Gefahr, eine Falschheit spürte; aber glaubst du, ich sollte eingreifen? Denn sie wird mir zuhören...

Ich möchte nicht, daß sie bleibt.

Du möchtest es gar nicht.

Nein, denn sie braucht diese Erfahrung... Aber als ich den Brief dieses Kindes erhielt, erschien mir der Fall ernster. Wenn sie Propaganda macht, um die Leute von hier wegzulocken...

Wenn die Leute von hier fortgehen, erkennen sie auf einmal, was sie verloren haben. Solange sie hier sind, sind sie sich darüber nicht im klaren, denn unsere Erscheinung ist... Das Vital schmückt sich nicht, weißt du, es spielt keine Komödie, so werden sie leicht getäuscht. Erst wenn sie fortgehen, erkennen sie plötzlich, was sie verloren haben. Deshalb... Aber ich stelle mich nicht auf diesen Standpunkt, sondern es betrifft das, was wir "die Schwere des Falls" von Z nennen könnten. Als ich sah, daß sie imstande war, die Leute von hier wegzulocken... Als mentale Verirrung ist es ernst.

Ihre Verirrung ist die "Realisation", daß es "überall das gleiche" ist, wie sie sagt, und daß die äußeren Formen – Mutter, Sri Aurobindo – eine Art Illusion sind und daß in Wirklichkeit eine große unpersönliche Kraft existiert, die überall DIESELBE ist.

(Mutter schüttelt den Kopf,
Schweigen)

Ich glaube nicht, daß der Moment gekommen ist, in den Kampf einzutreten, verstehst du... Die ganze Transformation des Christentums beginnt, und die ganze Welt des Westens... Wir dürfen noch nicht in den Kampf eintreten, wir müssen das sein lassen. Wir werden sehen.

Aber weißt du, bei Monsignore R spüre ich, daß dieser Mann eine Öffnung nach oben hat. Er versteht SEHR GUT, was der Übermensch ist – für ihn bedeutet der Übermensch etwas. Dadurch kann er berührt werden.

Das ist möglich... Er ist ein sehr mächtiger Mann (ich sah es, als du mir das Foto zeigtest), sehr mächtig.

(langes lächelndes Schweigen)

Nicht sprechen... Nicht zu früh sprechen.

(langes Schweigen)

Antwortest du etwas auf den Brief?

(nach einem Schweigen)

Wir sollten ihm diesen Satz von Sri Aurobindo schicken – du kennst ihn: "In der Stunde Gottes ist alles möglich ..." Ich erinnere mich nicht mehr genau. Gestern abend habe ich das übersetzt... "Nichts ist unmöglich in der Stunde Gottes ..." Ein einziger Satz. Nur das möchte ich ihm sagen. (Satprem sucht die Stelle vergebens)

Liebe Mutter, wir können ihm den Satz einfach als von dir kommend schicken.

Von "mir" hat es keinen Wert.

Es war ganz kurz: "Nichts ist unmöglich, wenn die Stunde Gottes gekommen ist ..." oder "in der Stunde Gottes" 5... Mein Gedächtnis... Ich erinnere mich an so viele Eindrücke, aber nicht an Worte und Sätze.

Außerdem sehe ich zu viele Leute und tue zu viele Dinge.

Nur das möchte ich ihm sagen... Denn ich hatte gerade eine phantastische Vision... Eine Vision ohne Form... (wie soll ich sagen?) Eine Vision der Wiege der Zukunft... die nicht allzu fern ist. Eine Zukunft... ich weiß nicht.

Aber es möchte nicht ausgesprochen werden.

Nur das: Eine gewaltige Masse (Geste) schwebt über der Erde.

 

1 Jemand, der im Ashram wohnte und gerade von einem Europa-Besuch zurückgekehrt war.

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2 Mutters Geburtstag ist am 21. Februar – der 28. ist das Gründungsdatum von Auroville.

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3 Z steht in Verbindung mit Monsignore R und P.L.

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4 Erinnern wir uns an Sri Aurobindo: "Aller Reichtum der Erde gehört dem Göttlichen, und diejenigen, die ihn in Händen haben, sind Verwalter, keine Besitzer. Heute ist er bei ihnen, morgen vielleicht anderswo. Alles hängt davon ab, wie sie den ihnen anvertrauten Besitz verwalten, in welchem Geist, mit welchem Bewußtsein sie sich seiner bedienen und zu welchem Zweck." The Mother, XXV.12

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5 Die genaue Referenz lautet: "All things shall change in God's transfiguring hour" (Alles wird sich ändern in Gottes verwandelnder Stunde) Savitri, III.4, S. 341.

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